Neue Musik von WandaSchnaps und Testosteron gegen den Schmerz
Die Wiener Indie-Rocker von Wanda haben ein neues Album – es erscheint nur Tage nach dem Tod ihres Keyboarders.

Ehrensache, dass diese Platte direkt mit einer Keyboardmelodie losgeht, der Pop-Gott ist, was das Timing betrifft, schliesslich ein besonders launischer Hundesohn. Also hat er Christian Hummer vier Tage vor der Veröffentlichung des neuen Wanda-Albums genommen, nach «langer, schwerer Krankheit», wie Wanda letzte Woche mitteilte. Die Melodie aber bleibt. Fantum, Liebe und das dumme menschliche Gehirn funktionieren da ja nicht rational. Nichts und niemand ist im Pop deshalb jemals ganz weg, völlig egal, wie weit weg.
Gilt hier noch mal besonders. Die Keys eröffnen nicht nur, sie haben ja sogar Auftakt, heben also ein Achtel vor dem Rest aus dem Nichts an. Und wie. Quäkendes Gebritzel. Spandex-blödes Zirpen. Grauenhaft. Was bei dieser eben genau darin satanisch begabten Band natürlich heisst, dass sich das alles, noch während das Gehirn nach Ablehnung, Rationalisierung oder einem schützenden Bach-Choral fahndet, bereits hineingefräst hat in die hinterste Windung und sich dort verbeisst. Und dass man es jetzt den restlichen Tag nicht wieder loswird. Alles bleibt. Und bei Wanda bleibt alles noch ein bisschen hartnäckiger. Glückwunsch.
«Nach einer Schlägerei im Spital – wir brauchen uns eh ned versteck’n.»
Wobei genau diese infernalischen Beharrungskräfte, die den Wienern innewohnen, und zwar in wirklich allem, was sie tun, natürlich beides bringen: tiefe Liebe; und weiss glühende Abscheu. Was zu den Texten führt und bei denen auch direkt zu den ersten Zeilen. «Einer nach dem andern hört zum Rauchen und zum Saufen auf / Und alle geh’n sie joggen im Park / Tragischerweise bin ich anders drauf / Mein Glaube ist der Wodka und der Wodka mein Grab». So hebt das also an: Keyboard, geachtelter Stampfbeat, Wuchtakkorde, Säuferromantik. Titel: «Rocking in Wien».
Enden wird es im 6/8-Takt, schunkeliger Groove, wehmütiges Klavier, im Laufe des Songs ein paar promilletrübe Gitarren, und über allem hebt Marco Michael Wanda, Sänger und schamanenhaftes Krafttier der in Schnaps und Testosteron Ertrinkenden, zu einer letzten hymnischen Lautschreierei an. Es geht um Freundschaft. Also geht es um Männlichkeit. Und da eben um eine besonders unterleibsatte. Sprich: «Unsere Augen san leer, und wir steh’n zu nervös an der Eck’n / Nach einer Schlägerei im Spital, wir brauchen uns eh ned versteck’n». Es wird auch in der Folge viel gestanden in diesem Lied. Die Frauen stehen weinend im Bad. Und die Männer «steh’n Mann neben Mann». Weil: «Mir san eine Gang, und wir hoilten z’amm». Titel: «Eine Gang».
Und da wird es nun freilich interessant. Marketingtechnisch wohl noch ein bisschen mehr als künstlerisch, aber wer in der Popkultur Kunst und Vermarktung trennscharf auseinanderdividieren kann, der werfe bitte den ersten Stein. Jedenfalls: Wenn Künstler auch dafür geliebt werden, dass sie einen Mangel nicht nur offenlegen, sondern auch noch ein bisschen lindern, dann wird «Wanda», das Album, das heisst wie die Band, wohl viele Freunde finden.
Vermutlich mehr unter Männern und unter denen womöglich nicht bei den jüngsten. Aber wer kann auch so was gerade noch sicher vorhersehen. Die Melodien und Arrangements, das Pathos, der Schmerz, die Liebe und jene Emotionen, die etwas weiter unten ansetzen, also alles, was zwischen «Rocking in Wien» und «Eine Gang» aufscheint, und zwar im Wortsinn, als wenigstens manchmal grellgeiles Leuchten, ist schon weiterhin immer mal wieder unwiderstehlich. Nie neu. Aber manchmal toll.
Man nehme exemplarisch nur «Va bene», das Lied, das wirklich sehr viel Mangel und Linderung enthält: «Man wird ängstlicher, man wird einsamer / Man wird grausamer, man wird kindischer / Und vergesslicher, man wird lächerlicher und verletzlicher / Und es muss trotzdem alles weitergeh’n». So singt der Schamane. Und die Flächen und Chöre und das ganze Geflirr und Gewese baut sich auf, gross und immer grösser.
Und dann bricht es aus, die Chöre werden zum strahlenden und trotzdem natürlich todtraurigen «Aaaaaaahhhh», die Gitarre kreischt ein paar fiese Dissonanzen, und das stete Weitergehen führt vielleicht zurück ins Leben und womöglich sogar zu ein bisschen Exzess und Ausbruch, wer weiss. Ein bisschen mehr Leben würde gerade ja vielleicht ganz guttun. Und wenn das so ist, dann ist «Wanda» das perfekt richtige Album für die falsche Zeit. Von der absolut falschen Band für die richtige Welt. Oder umgekehrt.
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