Schaffhauser mit Unterland-Anschluss
Rüdlingen hat sich von einem verschlafenen Fischer- und Bauerndorf zu einer steuergünstigen Wohngemeinde entwickelt. Am 29. August kann ein Rüdlinger gar Regierungsrat werden. Von Daniel Schurter
Unsere Nachbarn: Rüdlingen (2) Rüdlingen – Früher wurde die Angst und der Respekt vor dem Rhein von Generation zu Generation weitergegeben. Heute geniessen die Rüdlinger unbeschwert die Vorteile, die ein Fluss direkt vor der Haustür zu bieten hat. Vorbei sind die Zeiten, als die Wassermassen über die Ufer traten und grosse Gebiete wertvollen Ackerlands überschwemmten. 1882 erfolgte die Rhein-Korrektion. Der Flusslauf wurde begradigt und die Ufer wurden befestigt. * Nun schwingt das Pendel auf die andere Seite. Der Naturschutz erobert Terrain zurück. Unter dem Stichwort Renaturierung sollen natürliche Flusslandschaften wiederhergestellt werden. Der Alte Rhein bei Rüdlingen, die gegenüberliegenden Rheinufer auf Zürcher Gebiet und der Thurunterlauf bilden gemeinsam das grösste zusammenhängende Auengebiet der Schweiz. Der Kanton Zürich wird in den nächsten Jahren über 50 Millionen Franken investieren, damit die Thur auf ihrem letzten Abschnitt vor der Einmündung in den Rhein wieder mäandrieren kann. * Der Kanton Schaffhausen wollte sich nicht an den Kosten für das Thurauen-Projekt beteiligen. Nun schaut Rüdlingen bei dem Grossprojekt zu und darf nicht mitreden. Obwohl man beim Hochwasserschutz zu den Direktbetroffenen gehört. «Wir sind willkommene Gäste, aber keine gleichwertigen Partner», kritisiert die Gemeindepräsidentin von Rüdlingen, Käty Leutenegger. Die parteiunabhängige Politikerin (58) ist seit 1993 das Oberhaupt der Gemeinde. * Die Zusammenarbeit mit den Zürchern wird gesucht, ist aber nicht einfach. «Wir machen täglich Grenzerfahrungen», sagt Käty Leutenengger schmunzelnd. Die Kantonsgrenzen seien zum Teil unüberwindlich hoch. Dies habe sich unlängst bei einem umstrittenen Bauprojekt in der Nachbargemeinde Flaach gezeigt. Bei der inzwischen bewilligten Erweiterung des Campingplatzes am anderen Rheinufer hätten die Rüdlinger gerne mitgeredet. Nur fehlten dazu laut Gemeindepräsidentin die tauglichen Rechtsmittel. Käty Leutenegger spricht von «einem Geholper im nachbarschaftlichen Verhältnis». Man versteht sich trotzdem gut. * Rüdlingen und Buchberg bilden den südlichen Kantonsteil von Schaffhausen. Die beiden Exklavengemeinden sind umgeben von Zürcher Gemeinden und von deutschem Hoheitsgebiet. Die Sogwirkung der Agglomeration Zürich macht sich wirtschaftlich bemerkbar. «Wir nehmen uns als Teil des Zürcher Unterlandes wahr», sagt die Gemeindepräsidentin. Das zeigt sich an den offiziellen Abfallsäcken, Rüdlingen gehört zum Kehrichtzweckverband der Unterländer Gemeinden. Das zeigt sich beim Trinkwasser, das aus dem Rafzerfeld und von der Gruppenwasserversorgung Stadtforen bezogen wird. Im öffentlichen Verkehr stellt Rüdlingen den Anschluss ans Zürcher S-Bahn-Netz per Bus zum Bahnhof Rafz sicher. Das Postauto, das über viele Kurven um den Irchel herum nach Winterthur fährt, sei etwas für Touristen, heisst es. * Nur 15 Kilometer sind es eigentlich bis zur Kantonshauptstadt Schaffhausen. Sich als kleine Randgemeinde auf höherer Stufe Gehör zu verschaffen, erfordert aber Hartnäckigkeit. «Wir müssen für unsere Rechte einstehen», sagt die Gemeindepräsidentin. Dies zeige sich beim Thema Atommüll (siehe Box). * Rüdlingen hat den zweittiefsten Steuerfuss im Kanton Schaffhausen – dafür gehören die Bodenpreise zu den teuersten. «Gute Wohnlagen ermöglichen einen tiefen Steuerfuss», sagt die Gemeindepräsidentin, die als Finanzvorsteherin über die Gemeindekasse wacht. In den letzten 20 Jahren gab es sehr viele Zuzüger, und es wurden viele Baulücken geschlossen, also freie Grundstücke überbaut. Beim Bauland sind aus Gemeindesicht keine grossen Reserven mehr vorhanden. Eine Anpassung der kommunalen Bau- und Zonenordnung (BZO) ist laut Gemeindepräsidentin Leutenegger dringend nötig. Doch die Arbeiten seien auf höherer Ebene blockiert. Zuerst müsse das Parlament das kantonale Baugesetz erneuern. * Derweil wartet man in Rüdlingen gespannt auf den 29. August. An jenem Sonntag findet im Kanton Schaffhausen eine Ersatzwahl für den Regierungsrat statt. Zum ersten Mal in der über 160-jährigen Geschichte des Kantons könnte ein Rüdlinger in die Kantonsregierung gewählt werden. SVP-Mann Ernst Landolt ist als Kandidat gesetzt. Seine ersten Erfahrungen als Exekutivpolitiker konnte der 57-Jährige in Rüdlingen sammeln. In seiner Wohngemeinde hat er sich von 1993 bis 2003 im Gemeinderat engagiert. Heute kennt man ihn als kantonalen Bauernsekretär. * Rüdlingen hat sich von einem kleinen Bauern- und Fischerdorf zu einer modernen Wohngemeinde entwickelt. 698 Einwohner sind es laut Gemeindeverwaltung. In seinen strategischen Überlegungen geht der Gemeinderat von einem «Planungsziel» von 1000 Einwohnern aus. Die oberhalb von Rüdlingen gelegene Nachbargemeinde Buchberg rechnet und plant mit den gleichen Zahlen. So könnte die gemeinsame Kläranlage das Abwasser von 2000 Einwohnern reinigen. Eine Fusion der beiden Politischen Gemeinden steht momentan nicht zur Debatte. Dafür sei der «Leidensdruck» zu klein, sagt Käty Leutenegger. Vielmehr gelte es, «kreative Lösungen» zu finden. * Bereits heute arbeiten die beiden Gemeinden in vielen Bereichen erfolgreich zusammen. Das Zusammenwachsen der Bevölkerung zeigt sich im Vereinsleben. Der gemeinsame Turnverein sorgt mit seinen Erfolgen für Furore. Im Aufbau ist auch ein gemeinsamer Kinder- und Jugendchor. * Einst hatten Rüdlingen und Buchberg eine politische Einheit gebildet, bis es 1839 nach langwierigen Streitigkeiten zum Bruch kam. Auslöser war die wirtschaftlich schwierige Situation in der Region. Der Entwicklungsschub der Eisenbahn ging an den abseits gelegenen Dörfern vorbei. In der ärmlichen Gegend mussten die Bewohner ums tägliche Brot kämpfen. Dies habe vermehrt zu Neid und Konkurrenzsituationen geführt, erzählt Leutenegger. Auf die politische Trennung der beiden Dörfer folgte ein Rechtsstreit wegen der Landverteilung. Als man sich bei einzelnen Parzellen nicht einig wurde, musste das Los entscheiden. Damit nicht genug, sorgte wenig später der Bau einer gemeinsamen Kirche auf der Grenze für Ärger. Die Ausrichtung des Kirchturms war höchst umstritten. Erst als der Standort so gewählt wurde, dass die Rüdlinger von ihrem Dorf aus das Zifferblatt ablesen konnten, stand dem Projekt nichts mehr im Weg. Käty Leutenegger, Gemeindepräsidentin von Rüdlingen, fühlt sich auch als Zürcher Unterländerin. Foto: Christoph Kaminski
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