Rieseninvestitionen ins Gehirn
Viele Krankheiten haben ihre Ursache im Gehirn. Viel mehr wissen aber selbst die Neurowissenschaftler nicht.

Der knapp 1,5 Kilogramm schwere Kloss in unserem Kopf – das Gehirn – ist das komplexeste und geheimnisvollste Gebilde. Heute kennen wir das Alter des Universums exakt, wir setzen zum Sprung auf den Mars an und wissen schon ziemlich genau, welche Folgen unsere Umweltzerstörungen haben. Aber was im Gehirn abläuft, ist nach wie vor ein Rätsel. Das soll sich nun ändern. Sowohl die EU als auch die USA haben Milliarden für die Hirnforschung in Aussicht gestellt.
Im Januar hat die EU dem Human Brain Project der ETH Lausanne, bei dem ein menschliches Gehirn im Computer simuliert werden soll, eine Milliarde Euro zugesagt. Und vor kurzem hat Barack Obama US-Neurowissenschaftlern 3 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Die Forscher möchten eine detaillierte Karte des Gehirns zeichnen, eine sogenannte Gehirnaktivitäts-Karte. Die Vorhaben sind nicht direkt vergleichbar, doch beide wollen massenhaft Daten über die Vorgänge im Gehirn sammeln, um diese verstehen zu lernen.
Wenig medizinischer Nutzen
Beginnt eine neue Ära der Hirnforschung? Und können die Vorhaben halten, was sie versprechen? Als der ehemalige US-Präsident George Bush senior für die 90er-Jahre die «Dekade des Gehirns» ausrief, kam Euphorie auf. Wichtige Forschungszentren wurden gegründet, die Zahl der Neurowissenschaftler explodierte, und die Vermählung der Hirnforschung mit Disziplinen wie der Molekularbiologie und den Computerwissenschaften führte zu einem Technologiesprung.
Doch selbst mit den ausgeklügeltsten Maschinen konnten die Geheimnisse des Gehirns nicht gelüftet werden. Folgenreiche Erkenntnisse für die Behandlung von Krankheiten oder für das Verständnis des Bewusstseins sind ausgeblieben. Namhafte Pharmafirmen haben die Forschung in der Psychopharmakologie beendet, weil sie die Hoffnung auf neue Erkenntnisse, die sich in Medikamente ummünzen lassen, aufgegeben haben. Die gebräuchlichen Psychopharmaka stammen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts und wurden meist zufällig entdeckt.
Bewusstsein und Chemie
Dass jetzt gleichzeitig verschiedene grosse Investitionen in die Hirnforschung angekündigt wurden, mag Zufall sein – bitter nötig sind sie auf jeden Fall. Das zeigt eine Berechnung von Forschern der Uni Zürich: Die durch Depressionen ausgelösten Kosten belaufen sich auf 10 Milliarden Franken – pro Jahr, in der Schweiz. Allgemein verursachen die «Krankheiten des Gehirns» ein Drittel der Gesundheitskosten. So gesehen relativiert sich die Milliarde Euro, die über zehn Jahre verteilt den vielen Forschern des Lausanner Projektes zufliessen, also 100 Millionen Franken pro Jahr. Zum Vergleich: Genauso viel muss die Schweiz künftig allein für den Betrieb des Kampfflugzeugs Gripen aufwerfen.
Kritiker bemängeln, dass die Forscher erneut einer strikt materialistischen Philosophie folgen, die den Menschen und seine Krankheiten auf Nervensignale und Neurotransmitter reduziert. Tatsächlich ist die Erkenntnis, dass unsere Gefühle, unser Bewusstsein und auch unsere Persönlichkeit auf chemischen Vorgängen im Gehirn beruhen, erschreckend. Doch deswegen muss sie nicht falsch sein. Es gibt unzählige Studien und Beschreibungen von Fällen, in denen Verletzungen des Gehirns die Persönlichkeit eines Menschen veränderten. Dass aber je ein Beinbruch jemanden plötzlich aggressiver oder ängstlicher gemacht hat, konnte noch niemand zeigen.
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