Revolutionäre Nächte
Im Gasthof Tanne in Trachselwald wurde Schweizer Geschichte geschrieben. Seit 2014 steht die Beiz leer. Eigentümer Daniel Luginbühl glaubt nicht, dass hier nochmals gewirtet wird.
Niklaus Leuenberger! Jeremias Gotthelf! Monika Fasnacht! Wer da nicht alles im Gasthof Tanne eingekehrt ist. Revolutionäre Wirte, aufmüpfige Pfarrer, resolute Jasserinnen. Ja, die Geschichte dieses Gasthofs unterhalb des Schlosses Trachselwald ist eine bewegende und angereichert mit illustren Protagonisten. Nachzulesen ist sie im Heimatbuch von Hans Minder.
Das früheste Datum, das darin über die Tanne steht, ist das Jahr 1643. Zu jener Zeit hielten die Abgeordneten der «Landschaft Emmental», eine Art militärischer Verbund bestehend aus einem halben Dutzend Gemeinden aus dem mittleren und oberen Emmental und dem Oberaargau, dort jeweils ihre Versammlungen ab.
Dass sie dabei auch dem einen oder anderen lukullischen Vergnügen frönten, davon zeugt eine überlieferte Abrechnung. Dem damaligen Wirt Hans Dubach sei eine Rechnung über 403 Pfund beglichen worden, heisst es. Eine schöne Stange Geld, hat doch damals zum Beispiel eine Kuh gerade mal rund 40 Pfund gekostet.
Konspirative Sitzungen
In der Tanne wurde aber nicht nur hemmungslos geschlemmt, sondern auch politisiert – und konspiriert! Am 24. März 1653 haben sich die Ausschüsse der Emmentaler Gemeinden in der Tanne zu einer sogenannten Landsgemeinde versammelt, um nichts weniger als eine der ersten Revolutionen der europäischen Geschichte in Gang zu bringen: den Bauernkrieg.
In der Tanne hat die Versammlung damals Niklaus Leuenberger, einen Landwirt aus Rüderswil, zu ihrem Vertreter gewählt, damit er am Landtag vor der Berner Obrigkeit für die Belange der Landwirte spräche.
Jawohl, just jenen Niklaus Leuenberger, der später zum Anführer der Berner Untertanen im Bauernkrieg aufstieg und nur fünf Monate später, im August 1653, enthauptet und gevierteilt wurde. Ausgeliefert hat ihn damals übrigens Landvogt Samuel Tribolet, der am 24. März ebenfalls in der Tanne zugegen war.
Keinen Täter gefunden
Vor allem zwei Familien haben den Gasthof mit Pfisterrecht, Metzg- und Schalrecht über die Jahre geführt: Dubach und Lanz. Kreuz und quer durch ihre Stammbäume stellten die Familien die Wirte.
Väter, Söhne, Töchter, Schwiegersöhne, Halbbrüder, Enkel und so weiter und so fort. Bis 1864 schwangen Dubachs die Kellen. Danach übernahm für zwanzig Jahre eine Familie Hirsig die Beiz, bis sie ab 1884 an die Familie Lanz aus Eriswil überging, wo sie dann bis ins Jahr 2000 auch blieb.
Johann Ulrich Lanz hatte die Wirtschaft für 50 000 Franken gekauft. Er sei ein gewiefter Geschäftsmann gewesen, heisst es. Ein Mann, der die Vorteile des Standorts als Amtssitz nutzte und den Gasthof weitherum bekannt gemacht hat. Am Montag, 26. Januar 1903, in aller Herrgottsfrühe, brannte die Tanne nieder.
Die Familie Lanz hatte den Gasthof erst fünf Jahre zuvor umfassend sanieren lassen. Damals hiess es, das Feuer sei absichtlich gelegt worden. Ein Täter konnte aber nie gefunden werden. Hans Ulrich Lanz begann unverzüglich mit einem Neubau. 1915 kaufte er in Sumiswald ein weiteres Gasthaus, zog dorthin und übergab die Tanne seinem Sohn.
Feuchtfröhliche Stunden
1944 wurde der inzwischen 94-jährige Johann Ulrich Lanz für die Berner Zeitschrift «Geschichte und Heimatkunde» porträtiert und erzählte ein bisschen aus dem Nähkästchen über seine Zeit in der Tanne.
Er berichtete etwa, dass die Beiz vor allem von den Amtsangelegenheiten lebte, für die «ein gewisses Publikum ins Schloss musste». Neben Notaren, Geometern und Richtern gehörte etwa auch der Pfarrer Bitzius aus Lützelflüh, besser bekannt als Jeremias Gotthelf, zu den regelmässigen Besuchern.
Lange war es auch so, dass die kantonalen Beamten ihren Lohn im Schloss abzuholen hatten, was immer wieder feuchtfröhliche Nächte zur Folge hatte. Und solche scheint es viele gegeben zu haben. Es sei immer wieder vorgekommen, dass der eine oder andere Gast am nächsten Morgen in der Küche gefrühstückt habe.
Auf die Familie Lanz folgte dann im Jahr 2000 Daniel Luginbühl, der den Gasthof bis 2014 führte und ihn aus wirtschaftlichen Gründen schliessen musste. Seither versucht er, das Wirtshaus zu verkaufen. Bisher ohne Erfolg. Er geht auch heute noch davon aus, dass in der Tanne wohl nie mehr gewirtet wird.
Nachdem Luginbühl die Beiz definitiv geschlossen hatte, fanden trotzdem noch Anlässe statt. So reiste im September 2014 etwa eine Crew des Schweizer Fernsehens an, um vier Sendungen für den «Samschtig-Jass» aufzuzeichnen – damals noch mit dem SRF-Urgestein Monika Fasnacht.
Das Heimatbuch kann auf der Gemeindeverwaltung Trachselwald bestellt werden – solange Vorrat. Subskriptionspreis: 590 Franken.
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