Retro im Chuchichäschtli
Es ist unpraktisch und klobig – und hat trotzdem das Zeug zum Design-Klassiker: Das pastellfarbene Geschirr von Rössler aus den 60er-Jahren. Sammler zahlen dafür hohe Preise.

Wenn sich bei der Familie Haueter in Zielebach Besuch ankündigt, dann nimmt man nicht etwa feines, neues Geschirr mit Goldrand aus der Vitrine. Auf den Tisch kommt ein klobiges, schweres und jahrezehntealtes Porzellan: Die Serie «Carona» von Rössler, der letzten ur-schweizerischen Porzellanfabrik (siehe Kasten). Dieses Geschirr ist der wahre Schatz der Familie: Über die Jahre haben sich Barbara und Gerhard Haueter Services in allen drei Pastellfarben zusammengekauft. Hellgrün, gelb und hellblau. «Das ist vollendetes Design», sagt Gerhard Haueter mit der Begeisterung eines Kenners. «Alles passt zusammen, die Teile bilden eine perfekte Einheit.» Flohmarkt ausgetrocknetIhre Sammlung begonnen haben Haueters mit Teilen, die ihnen Grossvater Haueter geschenkt hat. Der war an der Quelle: Hans Haueter arbeitete von 1966 bis 2001 in der Rössler Porzellan AG, zuletzt als Verkaufsleiter. Der heute 72-Jährige beobachtet erstaunt, was zur- zeit auf Flohmärkten und in Brockenstuben passiert: «Das Geschirr ist heute wieder gesucht wie verrückt.» Das bestätigt Luki Koller, Sammler aus dem Kanton St.Gallen, der ein ganzes Haus im Stile der 50er- und 60er-Jahre eingerichtet hat. «Besonders in den letzten eineinhalb Jahren gab es einen regelrechten Run auf das Geschirr», sagt Koller. Heute sei nur noch sehr wenig Rössler-Geschirr auf dem Markt. Die Gründe für das plötzliche Interesse kann niemand so richtig benennen. Bei ihr sei es pure Nostalgie, sagt eine Sammlerin aus Basel, «die Erinnerung an die Besuche beim Grosi». Andere sehen die neuerliche Rössler-Begeisterung als Auswuchs einer allgemeinen 50er- und 60er-Retro-Welle. Hellblaue PrunkstückeDie Preise für das «Carona»-Geschirr, das häufig über Auktionsplattformen wie Ricardo.ch gehandelt wird, sind horrend: Während eine Tasse original etwa 1.80 Franken kostete, zahlt man heute für eine hellblaue Tasse mit Unterteller schnell einmal 30 bis sogar 50 Franken. Das blaue Service ist das rarste: Es wurde damals in weniger grosser Zahl hergestellt, angeblich, weil die Farbe teurer war als Gelb und Grün. Wahre Prunkstücke sind hellblaue Stücke, die pro Service nur einmal vorkommen: Die Zuckerdose ist gegen 80 Franken Wert, für eine Teekanne blättert man um die 150 Franken hin. Dass es auch ein rosarotes «Carona»-Service gegeben haben soll, gehört allerdings in das Reich der Mythen, die sich zahlreich um das Geschirr ranken. Auch wenn es ihn freut – so richtig verstehen kann der ehemalige Rössler-Mitarbeiter Hans Haueter den Hype nicht. «Die Tassen sind beispielsweise unten spitz und nicht stapelbar. So etwas würde man heute nicht mehr produzieren.» Damals aber, Mitte der Sechziger, als «Carona» im grossen Stil auf den Markt kam, war es ein «Riesenerfolg», sagt der Geschäftsleiter der Firma Rössler, Martin Mathys. Das Geschirr wurde im Frühling lanciert, deshalb wählte man freundliche Pastellfarben. «Damit wurde offenbar der Nerv der Zeit getroffen», sagt Mathys. Er attestiert dem Geschirr eine «sehr hohe Eleganz». Dies, obwohl das Porzellan relativ klobig ist. Billiger und robusterDie Dicke hat ihren Grund – und der ist Teil des Erfolgsgeheimnisses von «Carona»: Als erste Schweizer Firma stellte Rössler Geschirr im Einbrandverfahren her. Statt zwei Mal musste das Porzellan also nur noch ein Mal in den Brennofen, dies dafür bei sehr hohen Temperaturen. Das verbilligte die Herstellung erheblich – erforderte aber eben dickes Porzellan und eine besondere Rohmasse. Daran hat der damalige Firmeninhaber Emil Rössler, der sich in den USA zum Keramikingenieur hatte ausbilden lassen, lange getüftelt. Etwa 1964 – die Angaben variieren – kam das erste «Carona»-Geschirr auf den Markt. Es war nicht nur billiger als die Ware der Konkurrenz, sondern durch seine Dicke auch extrem robust. Das Geschirr sei «unzerstörbar», sagt eine Sammlerin. Auch die Farbe verblasst nicht, weil sie eingebrannt ist. Und Kratzspuren lassen sich mit etwas Glaskeramikputzmittel leicht entfernen. Früher kauften sich viele Familien ein «Carona»-Service als Zweitgeschirr nebst dem Sonntagsgeschirr. «Carona» verwendete man für den Alltag oder im Chalet in den Bergen. «Besonders im Berner Oberland und im Emmental war ‹Carona› stark verbreitet», sagt Hans Haueter. Kaufen konnte man es bei Loeb und Manor, aber auch in zahlreichen Haushaltgeschäften. Keine NeuauflageIn den 70er-Jahren hat die Firma die Produktion der Geschirrserie eingestellt. «Die Nachfrage war gesättigt. Man wollte etwas Neues», erzählt Hans Haueter. Heute wäre die Nachfrage wieder vorhanden – und wie. «Wir haben uns intern schon Gedanken gemacht, ob wir eine Neuauflage starten sollen», sagt Rössler-Geschäftsleiter Martin Mathys. Man habe sich aber dagegen entschieden. «Dadurch würde der Kult kaputt gehen.»
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