Zu Gast in den «struben Zyten»
machen musste.
Zwei Pferde ziehen das Fuhrwerk in die Dämmerung hinein, der Mond steht als schmale Sichel am Himmel. Die Aussicht über den Längenberg ist atemberaubend – wären da nicht die zwei dunklen Gestalten, die sich am Wegrand durch den Schnee kämpfen. Beide sind schwer beladen mit Holz, das sie im Wald gesammelt haben. Wer nicht genau hinschaut, sieht die beiden zerlumpten Gestalten kaum. Das Bild ist charakteristisch für das Stationentheater «Strubi Zyte», das am Donnerstagabend Premiere hatte. Die Gegend um den Rüschegg-Hoger, wo die Zuschauer rundherum geführt werden, ist ein wichtiger Akteur im Geschehen. Die Schrunden und Buckel boten Mitte des 19.Jahrhunderts dem Gesindel von nah und fern Unterschlupf. Gleichzeitig ist die Landschaft ein guter Nährboden für allerhand Mythen und Schauermärchen. So begegnen die Zuschauer auf dem Weg auch dem grünen Reiter, dem man ja nicht die falsche Antwort geben darf – sonst muss man ihm ewig folgen. «Tod durch Auszehrung» Die Bilder, welche die Zuschauer auf der rund zweieinhalbstündigen Tour zu sehen bekommen, erzählen keine zusammenhängende Geschichte. Sie werfen vielmehr Schlaglichter auf die «struben Zyten»: Hunger, Missernten und Armut prägten die Zeit in den Vierzigerjahren des 19.Jahrhunderts. «Tod durch Auszehrung» war eine immer häufigere Todesursache, bestätigt denn auch der Totengräber, der im Schnee bis tief in die Nacht Gräber ausheben muss. Die beiden Fuhrwerke laden die Zuschauergruppe von 25 Leuten schliesslich im Gfell ab. In diesem Weiler sind die Leute beschäftigt mit ihrem Handwerk, das ihnen in diesen kümmerlichen Zeiten ein Auskommen bescherte. Die Besucher aus der Gegenwart schauen den Besenbindern, Korbern, Weberinnen zu und dürfen auch Fragen stellen. So erfährt man vom Käser, dass der Ziger eingesalzt und geräucht werden muss, um ihn haltbarer zu machen. Auf dem Hausierer-«Cher» Die Zuschauer sind auf der gesamten Tour nicht bloss Zaungäste, sondern begleiten die Schauspieler in ihrem damaligen Alltagsleben. So macht sich die Gruppe mit dem Hausiererpaar Elsi und Sämi auf den Weg, um im Unterland ihre «Ruschtig» zu verkaufen: Körbe, Besen und Bürsten, die während des Winters von den Rüschegger Familien hergestellt wurden. Sie kommen beim Almosner des Schluechtteils vorbei, der sich bemüht, den Armen zu helfen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, nach Amerika auszuwandern oder sich in fremde Kriegsdienste zu verdingen. Nach einem Schluck Armensuppe im Ofenhaus kraxelt die Gruppe zur Kirche Rüschegg hinauf, die hell beleuchtet auf der Hügelkuppe strahlt. Unter dem Bild von Franz Gertsch erzählt Johann Dürrenmatt, der damalige Gemeindeschreiber von Guggisberg, wie die Abtrennung des Schluechtteils zur Gemeinde Rüschegg vonstatten ging. Klar, dass da auch das Guggisberglied nicht fehlen darf. Stimmungsvolles Spiel Die fast ausschliesslich einheimischen Laiendarsteller überzeugen mit ihrem Spiel. Regisseur Theo Schmid und seine Truppe haben es geschafft, stimmungsvolle Bilder zu erzeugen. Diese werden durch den Rundgang um den Hoger, den die Zuschauer selber gehen müssen, noch verstärkt. Dabei kommen auch die Eigenheiten der Rüschegger und ihr ganz eigener Dialekt zum Tragen. Sichtlich stolz sind sie auf ihr Dorf, das sich vom Armenhaus zu einer respektablen Gemeinde gemausert hat. Anna TschannenDie Vorstellungen von «Strubi Zyte» sind restlos ausverkauft. Das weitere Jubiläumsprogramm ist auf www.rueschegg-150jahre.ch zu finden. >
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