Wie Dörfer ihr Gesicht verlieren
In Lyss, Münsingen oder Schönbühl wuchern austauschbare Zentrumsbauten und rauben dem Dorf den Charakter. Altbauten werden zu Tode saniert. Wenn sie bloss noch Kulissen sind, will sie die Denkmalpflege bald von der Liste wertvoller Baudenkmäler streichen.
Der Fotoband «Es war einmal ein Dorf» weist über das Seeländer Dorf Ins hinaus. Denn mit seinen Bildern einer verschwundenen Dorfwelt legt der Fotograf Heini Stucki den Finger auf eine Wunde, die in zahllosen Berner und Schweizer Dörfern klafft. Abrisse und gesichtslose Neubauten treiben ihnen Identität und Eigenleben aus. «Dass ein Dorf seinen Charakter verliere, wird oft behauptet, wenn ein charakteristisches Gebäude verschwindet», sagt Michael Gerber, der Denkmalpfleger des Kantons Bern. Erlebt hat er es eben in der Diskussion um das alte Salzdepot, das in Belp nun abgerissen wird. Reaktionen kämen vor allem von Alteingesessenen. «Ein Dorf verliert seinen Charakter aber nicht einfach mit einem Altbau», sagt Gerber, «sondern durch die Art der nachfolgenden Neubauten.» Künstliche Dorfzentren Abgerissene Altbauten und Bauernhäuser werden oft durch kleinteilige Neubauten oder aber überdimensionierte Bürogebäude ersetzt, die aus der Reihe tanzen und das räumliche Gefüge der alten Dorfkerne stören. Vor allem in florierenden Gewerbeorten wie Lyss und Münsingen oder in Dörfern, die in stadtnahen Agglomerationsräumen aufgehen, haben sich gesichtslose Gewerbe- oder Bürobauten und Wohnblocks bis in die Ortskerne eingeschlichen. «Die wirtschaftliche Entwicklung muss in einem Dorf möglich bleiben, ein grosser Gewerbebau kann aber in einem Dorf zu dominant werden», sagt Hermann Häberli, Berner Münsterarchitekt und Obmann der Bauberater beim Berner Heimatschutz. In zahlreichen Dörfern sind in den letzten Jahrzehnten ganze Dorfzentren gebaut worden. Im Bestreben, dem Ort eine neue Mitte und Identität zu verleihen, wurden in Boll, Schönbühl oder Ittigen austauschbare Überbauungen errichtet, die ausserhalb der Geschäftszeiten menschenleer sind und die Gesichtslosigkeit der Dörfer gar noch verstärken. «Zentren zu bauen ist schwer, sie müssen wachsen», sagt Häberli. Wertlose Kulissenbauten Architektonisch anspruchsvolle, klug in die Umgebung eingepasste Neubauten hätten es in Dörfern oft schwer, weiss Heimatschützer Häberli. Statt neu gebaut wird lieber saniert, um noch den Anschein des Alten zu wahren. Dabei entstehen bisweilen Kulissenbauten: ausgekernte Hybride, denen man nur noch am gerundeten Dach oder an der Holzfassade ansieht, dass sie vor dem Totalumbau ein Bauernhaus oder ein Chalet waren. «Solche Häuser stossen auf Akzeptanz, gerade in Touristenorten, weil sie eine Art künstliche Heimat produzieren», sagt Hermann Häberli. Jenen zu Tode sanierten Attrappen der Vergangenheit – etwa den total verwandelten Bauernhäusern, die Dorfbibliotheken und Bankfilialen beherbergen – wird die Denkmalpflege aber künftig in den Dörfern öfter die Anerkennung versagen. Denkmalpfleger Michael Gerber bestätigt, dass bei der Revision der Architekturinventare reine Kulissenbauten aus der Liste der wertvollen Baudenkmäler gestrichen werden können. Schreitet mit der Modernisierung die Entseelung der Dörfer ungebremst voran? Grössere Gemeinden wie Köniz hätten die finanzielle Potenz und das Know-how, architektonisch anspruchsvolle Erneuerungen wie das Zentrum rund um den Bläuackerplatz zu realisieren, relativiert Gerber. In Dörfern, wo aber die Mittel für qualifizierte Planungsverfahren fehlten, entstünden dagegen oft moderne Bausünden. svb>
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