Wer hat Angst vor Thomas Minder?
Thomas Minders Zorn ist nicht gekühlt. Dass der Unternehmer mit seiner Abzocker-Initiative dank der Krise zum Schreck der Wirtschaftselite wurde, genügt ihm nicht. Minders Mission gegen Gehaltsexzesse ist noch nicht erfüllt.
Herr Minder, Sie sind ein kleiner Unternehmer, der aus dem Nichts zum mächtigen Player aufstieg und wegen seiner Abzocker-Initiative gefürchtet wird. Erstaunt Sie Ihr Aufstieg? Thomas Minder: Diese Frage ist mir noch nie gestellt worden. Man hat schon vieles über mich gesagt. Etwa dass ich mir einbilden würde, in der Zukunft lesen zu können. Ich erwidere: Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, wohin die Gewinnmaximierung und die Entschädigungsexzesse führen. Hat die Schweizer Wirtschaftselite vor Ihnen noch mehr Angst als vor der US-Steuerbehörde? Warum drehen Sie die Frage nicht um? Vor wem hat Thomas Minder Angst? Vor wem hat unsere Volkswirtschaft Angst? Vor wem? Vor Topmanagern wie Walter Kielholz, dem früheren Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse (CS). Figuren wie er haben das Gedankengut der Gewinnmaximierung und der Bonusexzesse in der Schweiz verbreitet. Die Swiss Re hat nach 2000 unter Kielholz als CEO 11 Milliarden Franken Eigenkapital vernichtet. Gerade ein Rückversicherer wie die Swiss Re müsste einen vorsichtigen Manager haben, der die Erfahrung kennt, mitten im Tsunami zu stehen. Sie schiessen sich auf eine Person ein, meinen aber ein System. Man kann und muss Namen nennen. In der Schweiz sind es Marcel Ospel bei der UBS, Walter Kielholz bei Swiss Re und CS, Philippe Bruggisser bei der Swissair. Das sind die wahren Brandstifter, die Milliardenbeträge und Tausende von Stellen vernichtet haben, ohne dass sie dafür bestraft werden. Ausser Kielholz sind sie mittlerweile abgetreten. Aber sie haben einen Geist verbreitet, der weiterlebt. Die «Handelszeitung» hat den Durchschnittslohn eines Geschäftsleitungsmitglieds bei den 53 grössten Schweizer Firmen für das Jahr 2008 aufgelistet. An der Spitze stand die CS mit 7,1 Millionen Franken – bei einem gleichzeitigen Verlust von 8,2 Milliarden. Super! Auf Platz zwei war die Swiss Re mit 6,1 Millionen Durchschnittsgehalt bei einem Verlust von 864 Millionen. Ein solches Entschädigungssystem ist krank, tiefkrank. Deshalb fordere ich mit meiner Initiative, dass nicht der Verwaltungsrat (VR) über die Vergütung der Geschäftsleitung entscheidet, sondern die Eigner, die Aktionäre. Ihre Initiative zeigt Wirkung. Daniel Vasella beendet an der baldigen Novartis-Generalversammlung sein Doppelmandat als CEO und VR-Präsident. Herr Vasella ist für mich nicht unbedingt ein Feindbild. Er leitet eine gut geführte Unternehmung, die sich der Nachhaltigkeit verschreibt. Das verdient Hochachtung. Verwerflich finde ich, dass er sein Anfangsgehalt von 1 bis 2 Millionen Franken mehr als verzehnfacht hat. Die Lohnschere zwischen dem CEO und dem Angestellten hat sich bei Novartis um einen Faktor 700 geöffnet. Das ist doch keine gute Corporate Governance mehr. Vasella verdient doch nicht 700 Mal mehr als ein Angestellter? Nimmt man nicht nur Vasellas im Geschäftsbericht ausgewiesenes Salär von 20 Millionen Franken, sondern den Marktwert oder den Share Value, dann kommt man auf über 40 Millionen. Und der effektive Lohn Vasellas ist noch höher, wenn man etwa die Flüge im Privathelikopter einberechnet. Aber diese Rechnung macht niemand. Wie viel Entschädigung kassieren Sie als Chef der Trybol AG? Das hat nichts mit meiner Initiative und unserem Thema zu tun. Warum nicht? Jeder anständige KMU-Unternehmer reinvestiert Gewinne in sein Unternehmen. Aber auf eine Million im Jahr kommen auch Sie? Zeigen Sie mir den KMU-Unternehmer, der sich eine Million auszahlt. KMU holen noch die Grossmutter und die Kinder in die Firma, wenn das Geschäft schlecht läuft, und der Chef verzichtet als Erster auf ein hohes Salär. Wenn jetzt CEOs wie Oswald Grübel grosszügig auf ihre Boni verzichten, dann finde ich das nicht der Rede wert, sondern in schweren Zeiten schlicht selbstverständlich. Taugen Ihre Ratschläge aus der KMU-Perspektive überhaupt für globale Grosskonzerne? Wieso denn nicht? Wir haben ja gesehen, wohin die Entwicklung des «Too big to fail» geführt hat. Wegen des Hangs zur Grösse ist kein Produkt, keine Firma und kein Manager besser geworden. Und kein Kunde zufriedener. Im Gegenteil. Überdies: 98 Prozent der Schweizer Unternehmen sind KMU. Wir brauchen eine Schweizer Wirtschaftspolitik, die auf KMU ausgerichtet ist. Auf das Unternehmertum, auf Ich-AGs, auf Selbstständigkeit, auf kleine Einheiten. Herr Minder, sind Sie eigentlich ein Kapitalismuskritiker? Um Himmels willen, nein. Ich kritisiere den Wachstumsspirit eines Economiesuisse-Präsidenten Gerold Bührer. Der frühere CEO Peter Wuffli hat in der UBS-Mitarbeiterzeitung getitelt: «Wachstum ohne Grenzen». Sein Vorgänger Marcel Ospel sagte: «I hate to be overtaken», und er liess die UBS-Sitzungsräume in Ferrari-Rot anmalen. Kann man dieses Wachstumsdenken überhaupt stoppen? Das ist schwierig. Vielleicht hilft Moral. Sie selber rufen ja zu zwinglianischer Mässigung auf. Hören Sie mir auf mit Moral und Ethik! Mir geht es in erster Linie um Bodenständigkeit, Verlässlichkeit, um Nachhaltigkeit und um die Frage, was gute Corporate Governance ist. Mir geht es auch um die Schweizer Volkswirtschaft. Als die Swissair kollabierte, flossen am Flughafen Kloten Tränen. Eine Welt brach zusammen. Das Ineinanderspielen von Politik und Wirtschaft hatte kläglich versagt. Am selben Wachstumsspirit wie die Swissair groundete kürzlich auch die UBS um ein Haar. Wie wollen Sie mit Ihrer Initiative in der kleinen Schweiz globale Exzesse stoppen? Des Thema brodelt doch in der ganzen westlichen Hemisphäre. Deutsche oder Amerikaner können keine Initiative lancieren. Richtig. Aber man sieht ja, wohin die Entwicklung im Ausland geht: zur Besteuerung von Boni, zu mehr staatlicher Regulierung. Ist das die Richtung, die Ihnen vorschwebt? Nein. Staatsinterventionen und Zwangsfusionen haben die Entwicklung noch verschärft. Grossunternehmen sind noch mammutartiger und unführbar geworden. Es kann nicht sein, dass staatliche Behörden wie die Finma einem Unternehmen mehr zu sagen haben als die Eigner. Leider haben die Verschwender in den Chefetagen den Staat auf den Plan gerufen. Sie geben den Tarif durch, was im Land falsch läuft. Sie haben sicher auch ein Heilungsrezept. Ich bin kein Arzt, ich operiere nicht. Ich bringe einen vernünftigen, mittleren, bürgerlichen, liberalen Lösungsvorschlag. Ich will nicht limitieren wie die Jungsozialisten, und ich will nicht den Staat pushen. Das Problem ist, dass nicht mehr Unternehmer die Grossunternehmen führen, sondern Manager. Manager gehen mit Geld unvorsichtig um, weil es fremdes Geld ist. Mit Unternehmern an der Spitze, die ihr eigenes Geld einsetzen, hätte es nicht solche Abstürze gegeben. Es braucht einen neuen Geist in den Unternehmen und Verwaltungsräten. Sie haben sich letzte Woche mit Christoph Blocher verbündet. Er war mit Bankier Martin Ebner ein Pionier der Gewinnmaximierung. Stört Sie das nicht? Es bringt doch nichts, in der Geschichte zu graben. Wenn ich bei jedem Politiker die Fieberkurve aufzeigen wollte! Nehmen wir etwa diejenige von Gerold Bührer. Als Nationalrat hat er mir seine Leserbriefe gegen Abgangsentschädigungen gezeigt. Dann erklärte er, man solle Thomas Minder nicht nachgeben, und er weigert sich, in den Medien gegen mich zum Streitgespräch anzutreten. Gestern sagte er dies und heute etwas anderes, weil er nun das Sprachrohr der Topunternehmen ist. Von mir hören Sie ein klares Ja oder Nein. Sie sind also unabhängig? Natürlich bin ich unabhängig. Ist man unabhängig, wenn man sich mit Blocher verbündet? In der Politik brauchen Sie Allianzen. Ich habe nun den Fünfer und das Weggli. Wenn der Gegenvorschlag von Blocher und mir nicht durchkommt, unterstützt die SVP meine Initiative. Sie gelten als schwierig und schwer zu lenken. Hat Blocher Sie oder haben Sie ihn im Griff? Wir haben uns auf gleicher Augenhöhe getroffen, wir haben schon seit Jahren Kontakt. Wenn Blocher anruft und sagt, er wolle mit Ihnen reden, dann können Sie nicht einfach Nein sagen. Ich rede ja jetzt auch mit Ihnen. Ihr Schulterschluss mit Blocher ärgert die Linken. Könnte Sie dies wichtige linke Stimmen kosten? Die SP hat keinen Franken an meine Initiative bezahlt. Sie hat sie nicht unterstützt, sie stand bloss ideologisch dahinter. Sie hat dafür weniger Unterschriften gesammelt als die kleinen Schweizer Demokraten. Otto Ineichen hat den Unterschriftenbogen im Kanton Luzern gratis verteilt, Ulrich Schlüer hat ihn gratis seiner «Schweizerzeit» beigelegt, der SP-Zeitung aber konnte ich den Unterschriftenbogen nicht gratis beilegen. Das Links-rechts-Denken geht mir auf die Nerven. Ich bin in keiner Partei. Indem ich Hand bot zu einem verbesserten Einigungsvorschlag, demonstriere ich der Bevölkerung, dass ich sach- und lösungsorientiert bin. Wegen Ihres Begehrens könnten Firmen ins Ausland abwandern und Arbeitsplätze verschwinden. Schenken Sie der Bevölkerung auch da reinen Wein ein? Wissen Sie eigentlich, dass es für den Wegzug ins Ausland eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung braucht? Meine Initiative würde auch noch den Stimmenzwang für die Vorsorgeeinrichtungen eines Unternehmens einführen. Ich glaube kaum, dass eine Novartis-Pensionskasse einem Wegzug zustimmen würde. Und überhaupt will eine Firma doch in einem Land sein, wo die Eigner etwas zu sagen haben. Unsere Initiative stärkt den Standort Schweiz. Wenn FDP, CVP und Economiesuisse mit dem Wegzug von Firmen drohen, ist das blosse Angstmacherei. Was verteidigen FDP und CVP? Ihre Geldgeber. CVP-Präsident Christophe Darbellay hat im letzten Sommer Wochen gebraucht, bis er auf eine 120000-Franken-Spende der UBS verzichtete. Ich prophezeie, dass FDP und CVP bei den nächsten Wahlen noch einmal kräftig verlieren, wenn sie die Nein-Parole gegen meine Initiative ergreifen sollten. Sie spüren wie bei der Minarett-Initiative die Temperatur im Volk nicht. Ihre Initiative hat vor allem dank der Krise breite Unterstützung erhalten. Sind Sie ein Krisengewinner? Nein. Ich habe in Leserbriefen und Kolumnen schon vor zwanzig Jahren das gleiche Gedankengut vertreten wie heute. Aber damals hat Sie niemand erhört. Heute profitieren Sie von der Krise. Sollte diese bald abklingen, könnte Ihr Begehren an Drive einbüssen. Träumen Sie von einer baldigen Hochkonjunktur? Schon 2006, als wir mit dem Unterschriftensammeln begannen, mussten wir den Leuten gar nichts erklären. Sie unterschrieben einfach so. Die Leute haben Debakel wie dasjenige der Swissair nicht vergessen. Man meint vielleicht, die Abzocker-Initiative sei erst jetzt ein virulentes Thema, weil nun auch Leute wie Gerold Bührer langsam umdenken. Wenn einer wie Bührer umdenkt, tanzt dann bald das ganze Establishment nach Ihrer Pfeife? Vielleicht das Politestablishment. Aber keine einzige börsenkotierte Schweizer Firma hat bis jetzt auch nur einen der 24 Punkte meiner Initiative an ihrer Generalversammlung vorgelegt. Interview:Stefan von Bergenstefan.vonbergen@bernerzeitung.ch >
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