Schwäbisches Käthchen für Fortgeschrittene
Ein theatralisch schäumendes Vollbad liess die Kunstgesellschaft Thun ihrem Publikum im Schadausaal des KKThun ein. Das Ensemble des Wandertheaters Kanton Zürich gab vor rund 250 Gästen das «Käthchen von Heilbronn».

Mit «Liebe auf den ersten Blick» liess sich Heinrich von Kleist 1807 nicht abspeisen. Er beschrieb die Magie wie folgt: «Geschirr und Becher und Imbiss, da sie den Ritter erblickt, lässt sie fallen, und leichenbleich, mit Händen, wie zur Anbetung verschränkt, den Boden mit Brust und Scheiteln küssend, stürzt sie vor ihm nieder, als ob sie ein Blitz nieder geschmettert hätte!» Rund 50 Rollen tummeln sich im Original, das im Jahre 1810 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr das Stück zahllose Bearbeitungen, um das Spektakel theaterfähig zu machen.
Das liebreizende Käthchen, Tochter eines Heilbronner Waffenschmieds, findet den Mann ihrer Träume – den Grafen Wetter vom Strahl. Doch der Standesunterschied lässt die Liebe nicht zu. Das hindert das Bürgermädchen nicht, ihrem Ritter in rätselhafter Ergebenheit, heute würde man es Stalking nennen, überallhin zu folgen. Indessen glaubt Strahl in Kunigunde von Thurneck die ihm im Traum erschienene Braut gefunden zu haben. Doch dem Käthchen hat zu gleicher Zeit ein Cherubim zugeflüstert, dass der Graf ihr Bräutigam ist. Bevor sich diese himmlische Vision erfüllt, muss Käthchen eine Feuerprobe bestehen. In Wahrheit ist das Mädchen ein Kind des Kaisers.
Pikante Details
Das Theater Kanton Zürich spielte das märchenhafte Stück mit acht Schauspielerinnen und Schauspielern, die durch darstellerische Leidenschaft und vollem Körpereinsatz das Publikum für sich einnahmen. Allerdings verliessen einige in der Pause das KKThun, vermutlich wegen allzu pikanter Darstellungen. Fausthiebe in den Magen, Silberzwiebeln aus dem Schraubglas, Tritte oder Kniffe in den Hintern, minutenlanges Greinen und Schluchzen, oder ein Griff in den gräflichen Schritt – die Inszenierung unter der Regie von Barbara-David Brüesch zelebrierte emotionale Ausbrüche bis an die Schmerzgrenze.
Perfekte Illusion
Das 200 Jahre alte Ritterspiel von Heinrich von Kleist besticht in dieser Fassung besonders durch eine schwarzgrundige Bühne, auf die raffiniert verschiedenste Bilder projiziert werden, die perfekte Illusionen vermitteln – von dem düsteren Gericht, einem Schloss, dem Garten Eden bis zum Unwetter mit sich wiegenden Bäumen. Eingespielte akustische Effekte lassen nicht selten so manchen zusammenzucken.
Unter den Schauspielenden auf Augenhöhe ist Joachim Aeschlimann hervorzuheben, der die Kunigunde köstlich lasziv mit künstlichen Brüsten verkörpert. Leider war der Text in seiner Gesangseinlage zum Discoplayback aus den 1970er-Jahren nicht zu verstehen.
Chapeau für Michael von Burg, der minutenlang fast nackt auf einem hohen Podest das Elend der Welt zu beschluchzen weiss und auch beim Blick in die Unterhose untröstlich losplärrt. Über zwei Stunden darstellerischer Flickflack mit Salto, bei dem ein älterer Herr in der ersten Reihe anerkennend bemerkte: «Ein fantastischer Aufwand für ein einmaliges Gastspiel. Man verstand jedes Wort und lebte mit!»
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