In das Leben zurückfinden
BO-Leserinnen und -Leser haben Walter Zumofen zum BO-Kopf 2009 gewählt. Der 66-Jährige hat im Spital Frutigen die Wassergeburt salonfähig gemacht. Im letzten Jahr hat er seine schwer kranke Frau in den Tod begleitet.
Es ist still im Frutiger Haus von Walter Zumofen. Das einzige, was ab und zu durch die Wände dringt, ist der Lärm der vorbeifahrenden Züge in Richtung Bern und Wallis. Im Haus in der Nähe des Bahnhofs erinnern brennende Kerzen daran, dass hier wenige Tage vor Weihnachten Walter Zumofens Frau Christine gestorben ist.
«Ich habe das wohl schwierigste Jahr meines Lebens hinter mir», erzählt der 66-Jährige im heimeligen Wohnzimmer. Während 24 Jahren prägte Walter Zumofen das Geschehen im Spital Frutigen fmi als Chefarzt Gynäkologie und Geburtshilfe. Vor knapp einem Jahr wurde der gebürtige Walliser pensioniert. Er verbrachte das letzte Jahr damit, seine Frau zu pflegen, die an der tödlich verlaufenden Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankt war. Dabei handelt es sich um eine heimtückische, eher seltene Erkrankung des Nervensystems. Folgen davon sind der Muskelschwund im ganzen Körper.
100 Mal Abschied «Meine Frau musste in den letzten fünf Jahren Hundert Mal Abschied nehmen. Zuletzt konnte sie nicht mehr schlucken und sprechen», erzählt der gestandene Arzt, der im letzten Jahr zum Pfleger wurde. «Dank meiner Frau konnte ich meinen Beruf als Arzt mit grosser Leidenschaft ausführen. Ohne sie hätte unser gemeinsames Leben nicht funktioniert.» Christine Zumofen habe die beiden Kinder, eine Tochter und einen Sohn, grossgezogen und sich um den Haushalt und ihr gemeinsames soziales Leben gekümmert. «Mit der Pflege bis zu ihrem Tod konnte ich ihr etwas zurückgeben. Das war mir sehr wichtig», sagt Zumofen. Die Krankheit seiner Frau bezeichnet er als «empörend; sie raubt einem alles, einfach alles.»
Schiffsdoktor in Uniform
Im Spital Frutigen ging im Februar 2009 eine Ära zu Ende, als der Frauenarzt, der die Geburtshilfe-Abteilung aufgebaut hat, in den Ruhestand trat. Seine Innovationen kennen nicht nur die Kandertaler: So ist Walter Zumofen vor allem dafür bekannt, dass er die Wassergeburt ins Oberland brachte. «Eigentlich sah ich mich einst als Schiffsdoktor in weisser Uniform», hatte er kurz nach seiner Pensionierung im Porträt gegenüber dieser Zeitung leicht ironisch bemerkt.
Es sollte jedoch anders kommen: Nach Arbeitsstellen in Chur und später als Oberarzt in Aarau wollte er sein eigener Chef werden. Zumofen erzählt, wie er zum Chefarzt der Geburtshilfe-Abteilung in Frutigen wurde: «Das Spital Frutigen hatte 1984 zwar noch keine eigene Geburtsabteilung. Geplant war sie aber, und zwar auf Initiative der Bevölkerung. Am Abend der Abstimmung, in welcher der Spitalneubau mitsamt einer Geburtshilfe-Abteilung angenommen wurde, unterschrieb ich den Vertrag als zukünftiger Chefarzt.»
Rückblickend ist Zumofen glücklich über den Verlauf seines Lebens: «Ich hatte bisher ein reich erfülltes Leben, das ich um nichts missen möchte.»
60 Prozent Wassergeburten «Ich habe die Existenz des Spitals immer sehr unterstützt», sagt der ehemalige Chefarzt nicht ohne Stolz. Gesundheitspolitik habe ihn schon immer interessiert: Wichtig sei, kostendeckend zu arbeiten und die vorhandenen Betten auszulasten. Zumofen kritisiert die aktuelle Spitalpolitik: «Die Zentralisierung der Spitäler ist keine gute Idee. Kleine, feine Spitäler, müssen nicht zwingend teurer sein als grosse. Wenn sie ökonomisch und qualitativ gut arbeiten, haben sie genauso ihre Daseinsberechtigung.»
Dass ein Spital auf qualitativ hohem Niveau auch Patienten von ausserhalb anziehen kann, hat der ehemalige Chefarzt mehr als bewiesen. Mit der Einführung der Wassergeburt in den 90er-Jahren im Spital Frutigen hat er Hunderte von Schwangeren auch ausserhalb des Kandertals für die Geburt ins Spital Frutigen gelockt. Die Geburt im Wasser sei für die Frau viel schmerzloser als auf dem Stuhl, ausserdem sei die Gebärende im Wasser weniger exponiert. «Für das Kind spielt es keine Rolle, ob es an der Luft oder im Wasser zur Welt kommt», erklärt Zumofen. 1997 schaffte das Spital Frutigen als eines der ersten Spitäler im Land eine spezielle Gebärwanne an, und es nimmt heute – mit 60 Prozent Wassergeburten – in diesem Bereich eine Vorreiterrolle ein.
Zurück ins Leben finden
Zurzeit versucht Walter Zumofen wieder zurück ins normale Leben zu finden. Zeit und Musse, seinen Ruhestand zu geniessen, hatte er bis jetzt kaum. Während den Monaten der Pflege seiner Frau schlief er jede Nacht nur wenige Stunden, oft auch nur an der Oberfläche. Dies, damit er es nicht verpasste, falls seine Frau um Hilfe gerufen hatte. «Noch heute schlafe ich des manchmal unruhig. Es braucht halt viel Zeit, alles zu verarbeiten», sagt er nachdenklich. Während den Jahren der Krankheit seiner Frau hat er rund 1000 Briefe an eine imaginäre Person geschrieben, um seinen Frust und seine Nöte loszuwerden. «Vielleicht werde ich aus den Texten mal ein Buch machen.»
Das Tennisspiel möchte Walter Zumofen zudem wieder aufnehmen und Wanderungen und Skitouren unternehmen, um körperlich fit zu werden. Und auch, um seinem Leben wieder einen Hauch von Normalität zu verleihen.
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