«Ich würde es wieder tun»
Mit 29,3 Prozent der Stimmen haben ihn die TT-Leserinnen und -Leser zum TT-Kopf 2009 gewählt: den Thuner Stefan Dänzer. Er rettete im Januar 2009 in Steffisburg fünf Menschen beim Brand im «Bären» das Leben.
Es brennt. Stefan Dänzer erwacht, weckt drei Männer in den Zimmern nebenan. Alle vier rennen aus dem Haus. Er spurtet zurück. Polizei und Feuerwehr versuchen vergeblich, ihn aufzuhalten. Rauch verhindert die Sicht. Er weiss, noch schlafen zwei Männer in einem Zimmer. Unaufhörlich schlägt er mit der Faust an die Türe. Endlich erwachen sie. Die Männer rennen durch die Flammen nach draussen.
Stefan Dänzer hat in der Nacht vom 11.Januar 2009 im «Bären» in Steffisburg fünf Menschen gerettet. Die Schweizerische Carnegie-Stiftung für Lebensretter ehrt ihn mit einem Diplom, die TT-Leserinnen und -Leser wählen ihn zum TT-Kopf 2009, zum «Thuner des Jahres». Für ihn ist der Brand nicht der erste Schicksalsschlag. Doch davon später.
Nichts mehr zu verlieren
«Ich verspürte keinen Sinn mehr, arbeitete wie ein Wilder und sah nur noch in meinen beiden Söhnen eine Aufgabe», erinnert sich der bald 45-Jährige, der von seiner Frau und den Söhnen Aaron und Elias (17 und 13) getrennt lebt, an diese Zeit und sinniert: «Vielleicht, wer weiss, gab mir in diesem Tiefpunkt gerade das Gefühl des ‹nichts mehr zu verlieren haben› die Kraft, ein zweites Mal ins brennende Haus einzudringen.»
Am 27.Januar vermeldet die Polizei die Brandursache: ein Defekt in der elektrischen Leitung im Keller.
Ein neues Leben aufbauen
Alles spricht vom «Lebensretter», nicht jedoch davon, dass auch Stefan Dänzer alles verloren hat. «Mein altes Leben verbrannte und mit ihm alle Fotos von meinen beiden Söhnen.» Dass er den Verlust seines Hab und Gutes bald als Chance empfinden wird, daran denkt er zunächst nicht. «Es war, als ob meine Vergangenheit und damit auch viele Schmerzen und Erinnerungen verbrannt wären. Ich fühlte mich leer und im freien Fall.»
Drei Monate lebt Stefan Dänzer bei Freunden. Sie besorgen ihm in einer Sammelaktion Kleider und stehen ihm zur Seite. Bis das neue Leben beginnt: «In einer Studiowohnung im Dachstock des Restaurants Frohsinn in Thun habe ich mein Zuhause gefunden», erzählt der gebürtige Wimmiser. «Ich konnte alles selber sanieren, streichen, zimmern und einrichten – das hat mir wieder Lebensfreude und Kraft gegeben.»
Krebs: Viele Jahre im Spital
Dass er die Kraft hat, aufzustehen, weiss Stefan Dänzer. «Als Kind half ich im Holzbetrieb meines Vaters mit.» Es war klar, dass er Schreiner lernt, danach die Handelsschule absolviert und Meisterkurse besucht. Das Ziel war vorgegeben: Vaters Betrieb zu übernehmen. Doch es kam anders. Immer wieder bricht er als 20-Jähriger zusammen. Der Hausarzt behandelt ihn. Drei Jahre lang. Doch er bleibt krank. Sein Vater schickt ihn zu einem Spezialisten nach Thun – und Stefan Dänzer musste sofort ins Spital. Die Diagnose: Darmkrebs. Es folgen drei Jahre voller Zweifel und Schmerzen, Operationen, Spitalaufenthalte, Chemotherapien, Bestrahlungen. Er wiegt 45 Kilogramm.
«Als ich körperlich als gesund galt, reiste ich nach Israel in ein Kibbuz, um mich zu erholen und neu zu orientieren», erzählt er. Nach zwei Jahren kehrt Stefan Dänzer zurück, lernt seine zukünftige Frau kennen, der erste Sohn wird geboren. Noch bevor er vor dem Entscheid steht, in Vaters Fussstapfen zu treten, stirbt dieser. 60 Jahre alt. An Krebs. Ausgelöst durch Asbestbelastung. Der Betrieb mit 30 Mitarbeitern wird 1995 verkauft.
Neue Narben im Gesicht
Stefan Dänzer zieht mit seiner Familie nach Thun. Der zweite Sohn wird geboren. Trotzdem zieht der Vater aus, das Sorgerecht wird geteilt, es folgen Gelegenheitsjobs. Der Darmkrebs ist geheilt, doch äussere Narben kommen hinzu. Im Gesicht, beim Mund und über dem Auge. «Die hat mir ein Ex-Jugoslawe zugefügt», sagt er. Es sei im Selve-Areal passiert, vor 13 Jahren. «Ich half einem Kollegen, der ein Tanzlokal betrieb, als Türsteher aus», erzählt Stefan Dänzer. «Der Mann griff nach einer Bierflasche, schlug sie an eine Tischkante und stiess mir mit den Glasscheibenspitzen an der zerbrochenen Flasche mitten ins Gesicht.» Zum Arzt sei er nicht gegangen. «Deshalb sind die Narben nicht schön verheilt.»
Stefan Dänzer arbeitet seit 1998 als Gerüstbauer bei Ferruccio Ravani in Thun. «Das gefällt mir, auch wenn es körperlich schwere Arbeit ist», sagt er, der Sportliche, der anpackt, mithilft, mit den Söhnen Fussball spielt, baden geht und in der Freizeit mit Freunden zusammensitzt.
Der Traum von Australien
Auch wenn innere Narben bleiben: «Heute bin ich immer noch gesund – doch als Erinnerung an die schwere Zeit und als Wertschätzung an die Heilung rasiere ich meinen Kopf kahl», sagt Stefan Dänzer. Er lebt zurückgezogen und sagt von sich, er brauche Zeit, um Vertrauen zu Dritten zu fassen. «Ich freue mich an der Sonne, an der Natur, an den Söhnen und habe Mühe mit der Oberflächlichkeit vieler Menschen.» Er träume von einer Reise nach Australien und wünschte, er könnte mit 55 aufhören zu arbeiten. «Israel und der Kibbuz haben mich geprägt. Ich bin sensibel und ertrage schlecht, wenn geschrien oder geflucht wird.»
Der Rauch des Feuers ist vorbei, die Sicht im neuen Leben wieder klar. Noch heute wird Stefan Dänzer von vielen Menschen regelmässig auf die Nacht des 11.Januar 2009 angesprochen. «Wenn ich zum Beispiel den geretteten Männern auf der Strasse begegne, bedanken sie sich immer wieder», sagt er und weiss: «Ich würde es wieder tun und ein zweites Mal ins brennende Haus rennen.»
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