Kampf gegen die Barbarei auf der Bühne des Stadttheaters
Die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja wurde zum Symbol des staatlichen Terrors des Russland unter Putin. Im Theater 49 war nun ein Stück zu sehen, das sich ihr mithilfe ihrer eigenen Worte annähert.

Während der ganzen Vorstellung tropft es aus dem Wasserkanister in den Eimer. Alle paar Sekunden, unerbittlich, unaufhörlich, und auch wenn die Protagonistin daraus einen Schluck nimmt, geht es danach weiter.
Es ist unklar, ob dies so beabsichtigt ist oder bloss das Resultat eines undichten Bühnenutensils. Aber es ist die perfekte akustische Untermalung: Als befinde man sich in einem feuchten, kalten, einsamen Keller, weit weg von den Augen der Welt, allein mit sich und seinen Gedanken.
Die russische Journalistin Anna Politkowskaja fand sich selbst immer wieder in solchen Situationen, während der Bombardements in Tschetschenien, auch als sie von russischen Streitkräften festgehalten und verprügelt wurde. Und vermutlich noch viel häufiger im übertragenen Sinn, im Gefängnis ihrer Erlebnisse.
«Wir leben in finsteren Zeiten», schrieb sie in ihrem Buch über den zweiten Tschetschenien-Krieg. Während viele Kriegsreporter angesichts der Gräuel und der eigenen Hilflosigkeit zu Zynikern werden, wurde Politkowskaja jedoch zur Aktivistin. Eine, die journalistisch Anklage erhob gegen den russischen Staat und die tschetschenischen Marodeure und letztlich mit ihrem Leben dafür bezahlte.
Die Person...
Eine Frau, eine Stimme: Im Stück «Anna Politkowskaja – Eine nicht umerziehbare Frau», das am Freitagabend im Theater 49 zu sehen war, steht zwar die Person im Zentrum, mitreissend und sprachmächtig gespielt von Kornelia Lüdorff, die den Zuschauern die Abgründe der Protagonistin schrittweise eröffnet. Aber eben auch das Wort: Das Stück besteht aus einem einstündigen Monolog, den Autor Stefano Massini stark am Buch Politkowskajas über den Krieg im Kaukasus angelehnt hat.
Dieser war ein dunkles Kapitel in der an dunklen Kapiteln reichen russischen Geschichte, ein Resultat des Zerfalls der Sowjetunion und des aufkeimenden internationalen islamistischen Terrors. Die begangenen Grausamkeiten wurden zu einem grossen Teil von Politkowskaja publik gemacht, die dafür zur Feindin der Mächtigen auf beiden Seiten wurde.
Den Zuschauern wird nichts erspart. Schonungslos werden die Folter- und die Todesmethoden erklärt, detailreich der Zynismus des Staatsapparates offengelegt, ohne Pathos die Zweifel der Journalistin am eigenen Tun beschrieben – damit ist man sehr nah an der Arbeit Politkowskajas.
Wer sich mit dem Thema nicht auskennt, hatte wohl mitunter Mühe, dem reissenden Strom an Informationen zu folgen. Die Barbarei, gegen die sie ankämpfte, und die Last, die sie dabei mit sich trug, wurden aber auch so deutlich.
...und das Wort
Das ist politisches Theater in Reinform. Mithilfe unterschiedlicher Erzählmittel nähert sich das Stück unter der Regie von Jennifer Wigham dem Thema an, lässt etwa Politkowskaja blutjunge russische Soldaten interviewen, die Tschetschenen zusammenbinden und in die Luft sprengen. Oder lässt sie Korrespondenz mit Behörden vorlesen, die ihr, der unverbesserlichen und nicht umerziehbaren Nestbeschmutzerin, unverhohlen drohen.
Das ist spannend, aber auch äusserst deprimierend: Heldengeschichten haben zwar meist ein Happy End. Aber in Russland unter Putin überleben die Helden nicht. Die Journalistin wurde 2006 in Moskau mit vier Kugeln niedergestreckt – das war wohl der einzige Weg, sie zum Schweigen zu bringen.
Bis heute ist unklar, wer hinter dem Mord steckt. Ihr Mut ist jedoch nicht vergessen, und ihr Andenken wird von Mitstreitern inner- und ausserhalb Russlands weitergetragen. Über die Person Politkowskaja oder ihre Motive erfährt man im Stück zwar wenig. Aber muss man wirklich erklären, weshalb jemand auf Menschlichkeit pocht?
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