Damit haben sie nicht gerechnet
Gemeindepräsident Andreas Kurt dachte zuerst an einen Aprilscherz, als er vernahm, dass sein Dorf neu vom Zweitwohnungsartikel betroffen sein soll. Doch nun hat die Gemeinde Zeit, ihre Zahlen nochmals zu überprüfen.

Die 11 235 Stimmberechtigten aus dem Oberaargau, die am 11. März 2012 Ja sagten zur Zweitwohnungsinitiative, dürften Tourismusdestinationen wie die Riederalp oder die Bettmeralp im Auge gehabt haben, als sie ihren Stimmzettel ins Abstimmungskuvert steckten oder persönlich in die Urne warfen. Jedoch kaum Ursenbach im eigenen Verwaltungskreis.
Und doch fand Gemeindepräsident Andreas Kurt seine Gemeinde am 1. April in dieser Zeitung unter denjenigen, die künftig vom Artikel betroffen sein sollen, den das Stimmvolk damals in die Bundesverfassung schrieb. Dieser – genau ist es Art. 75b, Absatz 1 – hält nämlich fest: «Der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde ist auf höchstens 20 Prozent beschränkt.»
Einschneidende Obergrenze
Für die beiden Walliser Feriendestinationen, die hoch über dem Aletschgletscher thronen, ist diese Obergrenze sehr einschneidend, beträgt ihr Anteil an Zweitwohnungen doch um die 85 Prozent. Sie gehören damit zu den Spitzenreitern in der Schweiz. Das geht aus den neu erstellten Wohnungsinventaren der Gemeinden hervor, die das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) Ende März publizierte.
Im Bundesbüchlein zur Zweitwohnungsinitiative sprach der Bundesrat von etwa einer halben Million Zweitwohnungen, was für die gesamte Schweiz etwa 12 Prozent aller Wohnungen entsprach. Diese Zahl war aus der Volkszählung von 2000 und der Gebäude- und Wohnungsstatistik von 2010 errechnet worden.
Ein Erstwohnungsanteilplan
Gemäss den Tabellen aus den Inventaren, die nun beim Bundesamt für Raumentwicklung heruntergeladen werden können, gibt es sogar 700 000 Zweitwohnungen. Diese Steigerung ist nicht nur der jüngsten Entwicklung geschuldet, wie Martin Vinzens, Chef der Sektion Siedlung und Landschaft im ARE, erläutert.
Gemäss Absatz 2 besagten Artikels in der Bundesverfassung sind die Gemeinden nämlich verpflichtet, einen Erstwohnungsanteilplan zu erstellen. Für diesen wurde nun genauer definiert, was eine Erst- und eine Zweitwohnung ist.
Insbesondere können die Gemeinden freiwillig jene Wohnungen erfassen, die Erstwohnungen gleichgestellt sind. Neben Dienstwohnungen und Wohnungen in Alpgebieten, die zu landwirtschaftlichen Zwecken verwendet werden, sind das laut Martin Vinzens auch Wohnungen von Wochenaufenthaltern.
Da nicht alle Gemeinden diese Wohnungen erfasst hätten, seien die Wohnungsinventare im Moment nur eingeschränkt untereinander vergleichbar, schreibt das ARE.
Das Beispiel Eriswil
Aus diesem Grund fährt das Bundesamt auch nicht mit voller Härte des Gesetzes in jenen 66 Gemeinden ein, die neu davon betroffen sind. Sie haben vielmehr einen Monat Zeit, Stellung zu nehmen.
Ursenbachs Gemeindepräsident lässt sich denn von der Nachricht auch nicht ins Bockshorn jagen: «Ich vermutete zuerst, es könnte sich um einen Aprilscherz handeln», sagt Andreas Kurt. Dann hätten ihm Nachfragen in der Gemeindeverwaltung gezeigt, dass wohl bei der Datenerhebung etwas schiefgelaufen sei.
Dass es dabei durchaus Ermessensspielraum gegeben habe, räumt auch Martin Vinzens ein. Insbesondere gelte dies für die bisher meist nicht erfassten Wohnungen, die Erstwohnungen gleichgestellt werden dürfen.
Wie sich allein das auswirken kann, zeigt wiederum ein Blick auf die vom ARE veröffentlichte Tabelle: Eriswil hat diese als einzige Gemeinde im Oberaargau ausgewiesen – mit dem Effekt, dass die 46 betroffenen Wohnungen den Zweitwohnungsanteil von 16,9 auf 10,2 Prozent drückten.
Spitzenreiter Farnern
Doch selbst wenn eine Gemeinde im Geltungsbereich des Zweitwohnungsartikels bleibt, halten sich die Auswirkungen in Grenzen. Farnern war dies nämlich von Beginn weg – und ist mit einem Anteil von 25,8 Prozent Zweitwohnungen Spitzenreiter im Oberaargau. Folgen habe dies bisher keine gehabt, erklärt Gemeindepräsident Roland Guazzini.
«Die Ferienwohnungen, die wir haben, wurden alle zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren erstellt, und wir wollen keine neuen mehr.»
«Die Ferienwohnungen, die wir haben, wurden alle zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren erstellt, und wir wollen keine neuen mehr.» Bei Baugesuchen werde dies in der Bewilligung so festgeschrieben. Die Bautätigkeit in Farnern sei zwar recht bescheiden, doch jeder Neubau führe so zu einer Reduktion des Zweitwohnungsanteils.
53 Prozent Ja im Oberaargau
Doch zurück zum Entscheid vom 11. März 2012, als das Schweizer Stimmvolk der Zweitwohnungsinitiative hauchdünn mit 50,6 Prozent zustimmte. Im Oberaargau war der Anteil der Ja-Stimmen mit 53,2 Prozent etwas höher.
13 Oberaargauer Gemeinden lehnten die Initiative ab – darunter mit 116 zu 122 Stimmen auch Ursenbach. Das ist allerdings nichts im Vergleich mit den 73 Prozent Nein-Stimmen aus dem Wallis mit seinen Tourismusdestinationen wie der Bettmeralp und der Riederalp hoch über dem Aletschgletscher.
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