Korrektur eines Sündenfalls
ist Leiter des Teams Stadt Bern
Ist die Stadt Bern sicher? Während Gemeinderat und RGM-Parteien die Frage mit Ja beantworten, halten die Bürgerlichen mit einem Nein dagegen. Sicher ist: Die Stadt Bern ist nicht unsicherer als andere Schweizer Städte – wer in der Innenstadt shoppen geht oder im City West ein Kino besucht, kann das mit ruhigem Gewissen tun. Sicher ist aber auch: Zu gewissen Nachtzeiten gibt es in Bern «Problemzonen». Das Protokoll eines BZ-Reporters, der letztes Wochenende die Nacht von Samstag auf Sonntag in der «Problemzone» Aarbergergasse verbrachte, erstaunte: Zwischen 23 Uhr und 5 Uhr rapportierte er unter anderem eine Messerstecherei, eine Pöbelei und eine Massenschlägerei, bei welcher die Polizei in Bedrängnis geriet. Drei Mal musste die Sanitätspolizei in jener Nacht alleine in der Aarbergergasse eingreifen. Die Polizei fuhr im Viertelstundentakt auf. Gerade Letzteres zeigt, dass die Probleme dort kaum mit zusätzlicher Polizeipräsenz zu lösen wären. Viel präsenter können die Ordnungshüter gar nicht mehr sein. Man müsste darüber nachdenken, die Betreiber der Nachtklubs stärker in die Verantwortung zu nehmen. Den Hebel ansetzen könnte man auch bei der Justiz: Der Messerstecher von letztem Wochenende befand sich Anfang Woche bereits wieder auf freiem Fuss. Er dürfte kaum nachhaltig abgeschreckt sein. Auch wenn mehr Polizeipräsenz kein Wundermittel für die Aarbergergasse ist: Das spricht nicht gegen die Sicherheitsinitiative der FDP und den Gegenvorschlag des Gemeinderats, welche beide die Polizei verstärken wollen. Denn die Sicherheitsdiskussion zielt eigentlich am Kern der Sache vorbei. Seit 27 Jahren wurde die Polizei in der Stadt Bern nicht mehr verstärkt. Dies, obschon sich die Aufgaben vervielfacht haben. So explodierte der Aufwand alleine für grosse Sportanlässe in acht Jahren um das Zehnfache. Angestiegen ist auch die Zahl der Demos. Hinzu kommen Delikte wie häusliche Gewalt, welche neu zu verfolgen sind. Vor diesem Hintergrund müsste die Diskussion über Initiative und Gegenvorschlag geführt werden: Wenn die Aufgaben der Polizei stark zunehmen, ihr Bestand aber nicht angepasst wird, muss sie anderswo zurückfahren. Überspitzt gesagt: Jene Polizisten, die im Viertelstundentakt durch die Aarbergergasse fahren, fehlen in Bümpliz und in der Länggasse. Eine weitere Folge sind prekäre Arbeitsbedingungen für die Polizistinnen und Polizisten. Unter den vielen Nacht- und Wochenendeinsätzen und den noch mehr Überstunden leiden die Arbeitsmoral und am Ende gar die Leistung. Die aktuelle Missstimmung im Polizeikorps ist auch diesen Zuständen geschuldet. Kurz: Wem das Wohl von Arbeitnehmenden nicht egal ist, darf unmöglich gegen jegliche Aufstockung der Polizei sein. Doch welcher Variante ist nun der Vorzug zu geben? Der Initiative, welche rund 40 neue Frontstellen für 5,8 Millionen Franken will, oder der gemeinderätliche Gegenvorschlag, welcher für 2,2 Millionen 14 zusätzliche Polizisten für Fusspatrouillen brächte? Die meisten Argumente gegen die Initiative halten einer näheren Betrachtung nicht stand. Als Beispiel sei die Behauptung des «Sicher mit Mass»-Komitees genannt, beim Gegenvorschlag werde die Umsetzung rascher in die Hand genommen. Das ist objektiv falsch. Richtig ist, dass die komplette Umsetzung länger geht, weil mehr Polizisten rekrutiert werden müssen. Die ersten 14 stehen aber genauso schnell bereit. Ebenfalls ein Scheinargument ist der Einwand, dass der Gegenvorschlag «Fusspatrouillen» bringe und nicht bloss «Patrouillenpräsenz», was auch im Auto möglich sei. Abgesehen davon, dass Fusspatrouillen in brenzligen Situationen nicht ungefährlich sind, wie die Aarbergergasse-Reportage zeigte: Solche Vorgaben greifen in die operativen Belange ein. Die Polizei weiss selbst am besten, wann zu Fuss und wann im Auto patrouilliert werden soll. Als einziges echtes Argument gegen die Initiative bleibt die Frage nach dem Preis. Und dieses Argument ist in zweierlei Hinsicht ein gewichtiges. Einerseits bezahlt die Stadt Bern pro Kopf bereits jetzt kantonsweit mit Abstand am meisten für die Polizei. Doch eine bessere Abgeltung dieser Zentrumslasten steht momentan nicht zur Debatte. Jetzt geht es darum, bald und nicht vielleicht irgendwann die Engpässe bei der Polizei zu beheben. Andererseits ist wegen der drohenden Defizite der Zeitpunkt für einen 6Millionen teuren Ausbau der Polizei nicht der richtige. Doch in der Stadtberner Politik ist der Zeitpunkt dafür nie richtig. In den letzten 27 Jahren wurde die Polizei nicht einmal aufgestockt, als es gratis gewesen wäre: Mit der Polizeifusion 2007 sank der Preis für identische polizeiliche Leistungen von 34 Millionen auf 28 Millionen Franken. Obschon ein Bericht des Gemeinderats 2006 den Bedarf nach zusätzlichen Polizeistellen klar aufzeigte, entschied derselbe Gemeinderat, dass der Fusionsgewinn zweckentfremdet werden soll. Es ist nun an der Zeit, den Fusionsgewinn dorthin zurückzuführen, wo er hingehört: zur Polizei. Sechs zusätzliche Millionen bei einem Budget von über einer Milliarde Franken werden die Stadt nicht in den Bankrott bringen. Die Bevölkerung hat am 7.März mit einem Ja zur Initiative die wohl einmalige Gelegenheit, den Sündenfall von 2007 rückgängig zu machen. adrian.zurbriggen@bernerzeitung.ch>
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