Der diskrete Anti-Schnegg-Kandidat
Christophe Gagnebin (SP) soll Pierre Alain Schnegg schlagen und im Berner Jura die rot-grüne Regierungsmehrheit zurückholen. Seine Qualitäten werden geschätzt. Die Wahl aber mutet ihm kaum jemand zu.

Vor der Wohnungstür stehen seine Tourenskis. Wenn es in diesem Winter genug Schnee hatte, schnallte Christophe Gagnebin sie an. Nachts, nach all den Abendsitzungen, die sich jüngst häuften, da er Regierungsrat werden will. Er montiert die Stirnlampe, läuft in der Dunkelheit mit den Fellen aufwärts auf den Mont Soleil und gleitet hinunter, heim nach Tramelan. «Ich mache das gern allein», sagt er.
Introvertierter Jurassier
Nächtliche Alleingänge passen zu Gagnebin. Er wirkt zurückhaltend, reserviert, fast etwas scheu. «Den Uhrmachern von Tramelan sagt man nach, dass sie still und in sich gekehrt sind, sie machen konzentriert einen Schritt nach dem anderen», erklärt Gagnebin. Er ist Lehrer an der kaufmännischen Abteilung der bernjurassischen Berufsschule. Aber viele seiner Verwandten arbeiten in der Uhrenindustrie. Er tickt wie sie. Gagnebin charakterisiert die Leute von Tramelan – und sich selbst – als «introvertierte Individualisten».
Diesen stillen Kandidaten schickt die SP am 25. März in die einzige richtige Kampfwahl. Von den amtierenden Regierungsräten bekommt es bloss SVP-Mann Pierre Alain Schnegg mit einem Herausforderer zu tun: Christophe Gagnebin. Erneut werden die Mehrheitsverhältnisse in der Regierung also im Berner Jura entscheiden. Für einen Angriff auf den polarisierenden Macher Schnegg ist Gagnebin allerdings fast zu unauffällig.
Pierre-Yves Grivel, Präsident der bernischen FDP aus Biel, fallen zu Gagnebin lauter positive Adjektive ein: anständig, korrekt, kompetent, seriös. Grosse Chancen, den sehr präsenten Schnegg zu schlagen, gibt er Gagnebin aber nicht. «Die SP will unbedingt Schnegg angreifen und braucht dafür einen Kandidaten. Jetzt macht sie mit Gagnebin einen Versuch», sagt Grivel. Das Handicap des SP-Gegenkandidaten sei, dass er in linken Kreisen, nicht aber im deutschsprachigen Kantonsteil bekannt sei.
Ein Leben für Tramelan
Das ist auch so, weil Gagnebin 2008 aus dem Grossen Rat ausgetreten ist. In Bern hat man hat ihn seither vergessen. Er blieb auch unauffällig, weil er sein ganzes Leben in Tramelan verbracht hat. Er ist hier aufgewachsen, hier sitzt er heute im Gemeinderat. Deutschsprachige Literatur zeugt in seinem Büchergestell immerhin von Abstechern an die Universitäten von Lausanne und Zürich, wo er deutsche und französische Literatur sowie Geschichte studiert hat. Seine Frau kommt aus Berlin. Gagnebin spricht hervorragend Hochdeutsch. «Ich habe im Wahlkampf also doch einen Wettbewerbsvorteil», sagt er mit dem ersten Lächeln des Tages.
Für einen Ort wie Tramelan muss man ziemlich viel Liebe aufbringen. Die Winter sind hier kalt, die Steuern und die Arbeitslosenrate hoch. Auf seiner Terrasse demonstriert Gagnebin den Blick in die weite, unverbaute Jura-Landschaft. Über dem Tannenwald drehen sich träge die mächtigen Windturbinen auf dem Mont Soleil. Tramelan liegt in einer leeren Ecke des Kantons Bern. Der Ort in der einsamen Landschaft kommt Auswärtigen verloren vor. Gagnebin mag diesen Berner Aussenposten. Tramelan habe sich seit der Uhrenkrise erholt, sagt er. 6000 Einwohner hatte der Ort vor der Krise, dann stürzte die Bevölkerung auf 4000 ab, jetzt ist sie wieder auf 4600 gestiegen. «Ich zahle hier gern Steuern», bekennt Gagnebin. Die Infrastruktur sei in der weitläufigen und wasserarmen Jura-Gemeinde halt teuer.
Philippe Perrenouds Warnung
Warum versucht er zehn Jahre nach seinem Abgang aus Bern wieder den Sprung dorthin? Gagnebin weicht aus: «Es gab schon 2006 eine Anfrage, aber dann kam Philippe Perrenoud.» Auch der 2016 abgetretene Gesundheitsdirektor wohnt in Tramelan. Gagnebin kennt ihn gut. Er weiss, dass Perrenoud im Amt nicht immer glücklich war. Er habe sich die Kandidatur deshalb gut überlegt, sagt Gagnebin.
Er rückt nun doch noch damit heraus, warum er erst jetzt, mit 54 Jahren, antritt: «Weil nach der Abstimmung in Moutier die Jura-Frage endlich erledigt ist.» Gagnebin hätte diese Frage «ungern mit nach Bern genommen». Sie sei seiner Region «auferlegt worden». Von wem, sagt er nicht. Gagnebin gilt, wie die bernjurassische SP, als probernisch. Er will sich aber nicht als Antiseparatisten bezeichnen lassen. «Ich setze mich für eine Zugehörigkeit zum Kanton Bern ein, weil ich die Zweisprachigkeit wichtig finde und die mehrsprachige Schweiz als Wunder betrachte», sagt er. Der Jura-Konflikt sei «eine kalte Suppe», ist er überzeugt. Grenzen würden in naher Zukunft unwichtiger. Er träumt von einem Jura ohne Jura-Frage.
Die Jura-Frage holt ihn ein
Und doch hat ihn diese Frage noch einmal eingeholt. Denn die separatistische Linkspartei PSA hat in der Person der jungen Maurane Riesen eine eigene Regierungskandidatin aufgestellt. Sie ist die Lebenspartnerin von Valentin Zuber, PSA-Präsident und Sohn von Maxime Zuber, dem langjährigen und schillernden Ex-Stapi von Moutier. Zuber junior hält Christophe Gagnebin für den «schlechtestmöglichen Kandidaten, eine antipathische Persönlichkeit und einen alten Antiseparatisten».
Gagnebin mag diese Anwürfe nicht kommentieren, er räumt nur ein, dass er für die Zubers offenbar ein probernisches Feindbild sei. Die Kandidatur von Maurane Riesen dürfte Gagnebin linke Stimmen kosten. «Nicht unbedingt», erwidert dieser ver- schmitzt, Philippe Perrenoud sei gewählt worden, obwohl auch Maxime Zuber kandidiert habe.
«Nicht unbedingt»
Gagnebin sieht sich nicht als Gegner von Pierre Alain Schnegg, sondern als Alternative zu ihm. «Ich stehe für andere Werte», sagt er. Er setze sich für soziale Gerechtigkeit, für den Schutz Schwacher, für einen demokratischen Führungsstil ein. «Gagnebin ist ein linientreuer Linker und ein verlässlicher Gegner», sagt der Anwalt und SVP-Nationalrat Manfred Bühler aus Cortébert. Er könne übrigens aus Begegnungen im bernjurassischen Rat bestätigen, dass beim etwas trockenen Gagnebin auch Humor aufblitzen könne.
Eines ist Kandidat Gagnebin bestimmt: ein typisch bernischer Regionalpolitiker. Für Zentralisierungen sei er «nicht unbedingt», verwendet er erneut seine rhetorische Ausweichformel. Gemeinden sollten sich auf jene Aufgaben konzentrieren können, die sie von der Umsetzung bis zur Finanzierung wirklich beherrschten. Was ohnehin der Kanton umsetze, etwa die Sozialhilfe, solle auch Kantonssache sein, findet Gagnebin. Dass die Fusion von Tramelan mit seinen Nachbargemeinden kürzlich scheiterte, machte Gagnebin nicht unglücklich. Der behäbige Kanton Bern müsste von ihm keine Revolution befürchten. «Spieglein, Spieglein an der Wand,wer regiert künftig das Berner Land?» Für unsere Porträtserie, die mit diesem Beitrag endet, mussten die zehn Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Spiegel im Regierungsratszimmer posieren.
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