In der Fremde bewundert und verehrt
Seit einem Jahr ist Fabian Cancellara der «König von Flandern». 7000 Mitglieder zählt sein belgischer Fanklub, ein abgelegenes kleines Café dient als Vereinslokal.
Die Gegend ist farblos und monoton, der starke Regenfall macht sie noch düsterer. Mitten im belgischen Nirgendwo liegt die 3000-Seelen-Gemeinde Koningshooikt, welche zur Provinz Antwerpen gehört. Im Dorfkern jedoch sticht ein kleines Café ins Auge; die Aufschriften «Fanclub Fabian Cancellara» und «King of Flanders 2010» zieren die Glasfenster. Es ist der Standort des Fanklubs von Fabian Cancellara, der Verein nennt sich Spartacus und ist in Flandern beheimatet. Im Innern des Lokals sind Pokale und Medaillen zu bestaunen, ein einst vom Berner Radprofi getragenes Trikot ist aufgehängt, Zeitungsausschnitte tapezieren die Wände. In grossen Lettern ist etwa von Cancellara, dem «Superman», und von Cancellara, dem «Löwen von Flandern», die Schreibe. Auch der junge Wirt scheint ein Anhänger des 30-jährigen Ittigers zu sein, er serviert Kaffee und Kuchen im Leibchen von Cancellaras neuem Team Leopard Trek. Als sich der Reisende aus der Schweiz vorstellt und sich als Berner erweist, wird er beinahe euphorisch begrüsst. Stammgast im Café Jong Jut ist Remi De Moor. Der 75-Jährige ist der Gründer des Fanklubs; er verteilt Autogrammkarten, Mützen und T-Shirts mit dem Konterfei Cancellaras. Im Schlepptau hat er eine betagte Dame. Mareike Boeexstaene ist 84-jährig und das älteste Spartacus-Mitglied. «Ich liebe Fabian Cancellara, als wäre er mein Sohn», sagt die Belgierin. De Moor lächelt, als er diese Worte hört. «Fabian wird hier bewundert, ja sogar verehrt», sagt er. Für die Belgier ist Cancellara spätestens seit vergangenem Jahr der «König von Flandern». Er besiegte an der Flandern-Rundfahrt sämtliche Gegner, auch Tom Boonen, den einheimischen Star im Sattel. «Boonen lebt im Ausland und zieht sich, wann immer möglich, zurück. Zudem hat er eine Drogenvergangenheit. Er taugt nicht zum Vorbild», erklärt De Moor. Bescheidenheit, Bodenständigkeit und Volksnähe – dies seien dagegen Attribute, welche Fabian Cancellara auszeichnen würden. «Fabian ist einer von uns, ein Star ohne Allüren. Und er hat keine befleckte Vorgeschichte.» Dass einst ausgerechnet die belgische Zeitung «Le Soir» Dopingvorwürfe gegen den Olympiasieger erhob, missfällt De Moor. «Es gibt wohl kaum einen Fahrer, der derart oft kontrolliert wird wie Fabian. Er weiss um seine Verantwortung, ich traue ihm.» 7000 Mitglieder zählt der vor zwei Jahren gegründete Fanklub mittlerweile, die Anhänger kommen nicht nur aus Belgien, sondern auch aus Holland, Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden, Dänemark, Polen, den USA und der Schweiz. Bis vor kurzem hatte Cancellara in seiner Heimat keine organisierte Fangemeinde; einige Radsportbegeisterte hätten sich jedoch bei ihm gemeldet und Bereitschaft signalisiert, einen Schweizer Fanklub zu gründen, erklärt De Moor. Verdutzt habe er zur Kenntnis genommen, dass Cancellara in der Schweiz über einen verhältnismässig bescheidenen Popularitätsgrad verfüge. «Vor wenigen Wochen feierte ich mit Fabian seinen 30.Geburtstag. Wir spazierten drei Stunden durch die Berner Gassen, sassen in verschiedenen Cafés. Aber niemand hat ihn um ein Autogramm gebeten, niemand wollte ein Foto knipsen. Das konnte ich nicht glauben. Bei uns kann er sich ja kaum einen Meter frei bewegen.» De Moor ist sich sicher: «Hätte Fabian einen belgischen Pass, so wäre er ein absoluter Superstar.» Remi De Moors Leidenschaft für den Radsport ist riesig. Der pensionierte Unternehmer, der gutes Geld verdient hat, sponserte einst Sechstagerennen, heute unterstützt er zahlreiche Nachwuchsfahrer. Auf Profit ist er nicht mehr aus, der Erlös aus dem Fanartikelverkauf wird für karitative Zwecke verwendet. Kennen gelernt haben sich Cancellara und De Moor vor fünf Jahren, mittlerweile ist die Beziehung sehr eng. «Für Fabian bin ich irgendeine Mischung aus Freund und zweitem Vater», sagt De Moor. Mit seinem Wohnmobil folgt er dem Berner durch halb Europa, heuer möchte er die Tour de Suisse mitfahren. De Moor ist jedoch nicht nur als Tourist unterwegs – sein Camper dient zuweilen auch als Mannschaftsunterkunft. «Wenn Fabian in einem Zeitfahren früh startet, wartet er oft in meinem Bus, bis der letzte Konkurrent im Ziel ist. Bei mir findet er alles, was er braucht. Er kann sich massieren lassen, sich verpflegen, fernsehen und sogar in Ruhe pinkeln», erzählt De Moor schmunzelnd. Vor allem jedoch könne sich Cancellara zurückziehen und dem Rummel für einmal entfliehen. «Wenn nötig, spiele ich für ihn sogar den Leibwächter», sagt De Moor. Wann immer möglich, ist Remi De Moor am Ort des Geschehens mit dabei. Morgen wird er die Flandern-Rundfahrt irgendwo an der Strecke verfolgen und mit seinen Freunden «so laut schreien, dass Fabian Hühnerhaut bekommt». Das Jong-Jut-Café wird dannzumal aus allen Nähten platzen. «Das gibt ein unglaubliches Fest, egal, ob unser Liebling gewinnt oder nicht.» Am Mittwoch wird der Vorjahressieger dann selbst in Koningshooikt zu Gast sein. Er wird am Nachmittag zum Scheldepreis starten, der teils durch die engen Strassen dieser Gegend führt. Einige Kilometer vor dem Ziel dürfte er absteigen, das Vereinslokal aufsuchen und mit den Leuten feiern. Fabian Cancellara selbst wird sich des Zapfhahns annehmen und Bier ausschenken, dazu mit den Leuten ein paar Brocken Flämisch sprechen. Er wird auch seine Liebe zur radsportbegeisterten Region beteuern. Die Fans werden sie gewiss erwidern. Philipp RindlisbacherKoningshooikt>
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