«Etwas Schlimmeres gibt es wohl nicht»
in Lyss zuschauen, wie
Herr Joos, ein 2-jähriger und ein 7-jähriger Bub waren am Freitag in einer Wohnung in Lyss Zeugen eines grausamen Blutbades. Womit lässt sich ein solches Erlebnis vergleichen? Urs Joos: Etwas viel Schlimmeres gibt es für ein Kind wahrscheinlich nicht. Wie kann man die Kinder in dieser Situation unterstützen? Die Verarbeitung hat ganz verschiedene Phasen. Am Anfang steht die Akutphase. In dieser herrscht bei den Kindern ein riesiges Durcheinander. Alles ist anders, sowohl äusserlich wie innerlich, es geht vor allem auch emotional vieles drunter und drüber. Wichtig ist, dass Leute da sind, zu denen die Kinder Vertrauen haben oder aufbauen können und mit denen sie über das Erlebte reden können. Relativ bald geht es dann aber auch darum, einen normalen Alltag zu leben. Welche Aufgabe kann die Erziehungsberatung übernehmen? Im konkreten Fall werden die Kinder von einer andern Institution betreut. Die Aufgabe der Fachpersonen besteht darin, die Leute zu unterstützen, in deren Obhut die Kinder sind. Dies trifft auch auf die Lehrkräfte zu. In der therapeutischen Arbeit mit den betroffenen Kindern versuchen wir zu erreichen, dass die Kinder die Erlebnisse in einem Zusammenhang sehen können. Das Ereignis wird und darf weiterhin einen Platz in ihrem Leben haben. Die Bilder werden immer wiederkommen. Aber die Kinder sollen merken, dass es noch andere wichtige Inhalte in ihrem Leben gibt. Dass sie atmen können, dass es ein Umfeld gibt. Oberstes Ziel muss sein, dass sich nicht das ganze Leben nur um den Vorfall dreht. Wo sind die Kinder? Dazu will ich zum Schutz der Kinder nichts sagen. Wie stark wird sich der kleinere Bub überhaupt an den Vorfall erinnern können? Es werden kaum bewusste Erinnerungen sein. Trotzdem werden tiefe Eindrücke hängen bleiben. Die Reaktionen spielen sich aber auf einer körperlich-vegetativen Ebene ab. Ein Kind beispielsweise, das einen Autounfall überlebt hat, wird noch lange reagieren, wenn es einen Knall hört, wie er beim Unglück zu hören war. Da ausser den Kindern niemand sagen kann, was sich in der Wohnung abgespielt hat, sind sie für die Polizei wichtige Zeugen. Wie heikel ist es, die Kinder für die Ermittlungen einzusetzen? Es ist klar, dass die Polizei bei Kindern mit traumatischen Erlebnissen viel feinfühliger ermitteln muss. Sonst läuft man Gefahr, dass die Kinder nochmals eine traumatische Erfahrung machen. Aber die Polizei hat die notwendigen Spezialisten. Diese Leute wissen auch damit umzugehen, dass Aussagen sehr subjektiv gefärbt sein können. Wie muss man sich die Therapie für die Kinder vorstellen? Bei kleineren Kindern geht es darum, ihnen Sicherheit zu vermitteln. Im Kinderspiel wird das Erlebte oftmals sehr realistisch immer und immer wieder dargestellt. Wenn sie etwas grösser sind, geht es darum, darüber zu sprechen. Ganz wichtig ist bei Kindern, dass man die Therapie portioniert. Sie können noch weniger als Erwachsene auf Knopfdruck über ihre Erlebnisse sprechen. Wenn sie keine Lust dazu haben, dann werden sie einfach nichts sagen. Wie lange dauert die Therapie? Das ist sehr individuell. Es gibt Kinder, die sehr gute Ressourcen haben und auch ohne Therapie mit schwierigen Erlebnissen relativ schnell zurechtkommen, andere brauchen länger und sind auf fachliche Hilfe angewiesen. Die Spannweite ist extrem gross. Die Therapie hätte dann versagt, wenn die Kinder ständig von Angst geplagt wären, Angst zum Beispiel, in die Schule zu gehen, in ein bestimmtes Haus. Aber eines ist klar: Vergessen werden die Kinder dieses Ereignis nie. Interview:Michael Ehrler/BTUrs Joos ist Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie sowie Notfallpsychologe bei der kantonalen Erziehungsberatung Biel. >
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