Das grosse Dilemma mit den Waffen
Die Exporte von Kriegsmaterial sorgen hierzulande seit Jahrzehnten für heisse politische Gefechte. Es ist ein Spannungsfeld zwischen Politik, Wirtschaft, Recht und Ethik. Das Parlament soll Klarheit schaffen, fordern Rechtsgelehrte.
Der Export von Kriegsmaterial löst in der Schweiz seit Jahrzehnten emotionale Diskussionen aus. Zwar boomt das Geschäft (siehe Grafik). Aber es kommt immer wieder zu eigentlichen Skandalen, welche in der politisch eigentlich neutralen Schweiz für grossen Wirbel sorgen. Da war zum Beispiel 1968 der Fall des Zürcher Betriebes Oerlikon-Bührle, der mit Hilfe gefälschter Papiere ein UNO-Embargo gegen Nigeria umging und Waffen lieferte. Da war aber auch die Lieferung von Sturmgewehren an Libanon im Jahr 1982, in dem dort Bürgerkrieg herrschte. Oder da waren die PC-9-Flugzeuge der Pilatuswerke, welche 2006 im Tschad mit Waffen bestückt und im Bürgerkrieg im sudanesischen Darfur eingesetzt wurden. Angesichts dieser Vorkommnisse ist es nicht verwunderlich wird das Schweizer Stimmvolk in regelmässigen Abständen gefragt, ob es die Ausfuhr von Kriegsmaterial verbieten will. 1972 wurde dies hauchdünn mit 50,3 zu 49,7 Prozent der Stimmen abgelehnt. 1997 fiel das Nein mit 77,5 Prozent wuchtig aus. Dass am kommenden 29.November nur zwölf Jahre später wieder über ein Verbot abgestimmt wird, hat auch mit der Politik des Bundesrates zu tun. Theorie greift nicht Seit 1938 ist die Regierung für die Überwachung der Kriegsmateriallieferungen verantwortlich. Die Verfassungsbestimmung und das Kriegsmaterialgesetz enthalten allerdings nur vage Aussagen darüber, wie die Schweiz den Export von Waffen und anderem Kriegsgerät regeln soll. Der Bundesrat hat darum per Dezember 2008 in einer Ausführungsverordnung präzisiert, dass keine Rüstungsgüter an Länder geliefert werden dürfen, die «in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt» sind oder in denen «Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt» werden. Das Problem: Die Theorie auf dem Papier wird in der Praxis immer wieder umgangen. Professoren in Aufruhr Rainer J. Schweizer, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität St.Gallen, kritisiert gemeinsam mit 70 weiteren Rechtsgelehrten in einem Brief an den Bundesrat, es sei zu wenig klar, in welchen Fällen die Schweiz auf den Export von Rüstungsgütern zu verzichten habe. Im Gespräch nennt er als aktuelles Beispiel den Konflikt in Afghanistan. «Zwar billigt die afghanische Regierung in ihrem Land die Truppen der USA, Deutschlands oder Grossbritanniens, die mit Schweizer Rüstungsgütern operieren. Und der UNO-Sicherheitsrat hat zum Umgang mit Terroristen einen Beschluss gefasst. Doch in Tat und Wahrheit herrscht dort Krieg.» Das sei für die Bevölkerung das eigentlich Entscheidende. In Fall eines bewaffneten Konfliktes komme das humanitäre Völkerrecht zum Tragen, «was die Schweiz veranlassen müsste, keine Rüstungsgüter zu liefern, die in Afghanistan eingesetzt werden». Der Schutz der Kriegsopfer sei entscheidender als ein spezifisches UNO-Mandat für eine Staatengruppe. Als weiteres Beispiel nennen die Kritiker Saudiarabien. Einer der wichtigsten Abnehmer von hiesigem Kriegsmaterial verstosse systematisch gegen die Menschenrechte. Heikle Prozesse Entscheide für oder gegen den Export von Kriegsmaterial an ein Land sind schwierig zu fällen. Gilt es doch, politische, wirtschaftliche, rechtliche sowie ethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Politisch: Bleibt die Schweiz trotz Exporten neutral? Wirtschaftlich: Bleibt die Rüstungsindustrie konkurrenzfähig, wenn sie nicht exportieren darf? Rechtlich: Verletzt die Schweiz internationale Bestimmungen? Und ethisch: Sollen Schweizer Waffen töten? Christian Wasserfallen, Berner FDP-Nationalrat und Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, pflichtet bei, dass der Entscheidungsprozess komplex ist. Er betont aber, dass die Schweiz die Lage im Griff habe. Er studiere jährlich den vertraulichen Bericht über die Kriegsmaterialexporte und könne festhalten: «Es gibt beinahe keine Probleme und Missbräuche schon gar nicht.» Abgesehen davon liege es in der Natur der Sache, dass Kriegsmaterial für militärische Zwecke verwendet werde. «Es gibt Konflikte, die sind nicht mit Worten zu lösen. Rüstungsgüter können auch einen Beitrag zur Stabilisierung eines Landes leisten.» Parlament gefordert Die Berner SP-Nationalrätin Evi Allemann, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, wünschte sich allerdings statt Waffen, mehr diplomatisches und friedensförderndes Engagement der Schweiz in der Welt. Der Bundesrat und die Behörden stellten beim Export von Kriegsmaterial den Profit über ein Menschenleben. Dieser Meinung ist natürlich auch Jo Lang, grüner Nationalrat aus Zug und Mitinitiant der Exportverbotsinitiative. Für ihn kann nur ein Ja zum Verbot den Bundesrat und die Behörden disziplinieren. Rainer J. Schweizer hingegen sieht das Parlament in der Pflicht. «Es sollte den Bundesrat aus dem Dilemma befreien und klare Grundsätze im Bundesgesetz festschreiben. Das würde die Regierung in ihrer Entscheidungsfindung stärken.» Noch sieht das Parlament keinen Handlungsbedarf. Verschärfungen wurden zuletzt stets deutlich abgelehnt. Je nach Abstimmungsresultat am 29. November könnte sich das schon bald ändern.Michael Widmer>
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