Ursula Wyss setzt alle unter Zugzwang
Seit Mittwoch ist der Stadtberner Wahlkampf lanciert: Stefan Schnyder, Leiter Ressort Stadt Bern, über die Folgen von Ursula Wyss' Rücktrittsankündigung.
Es war ein Paukenschlag: Die Berner Gemeinderätin Ursula Wyss sorgte am Mittwoch für einen überraschenden Coup. Sie kündigte in der Berner Zeitung an, dass sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr antritt. Das Vorgehen war typisch für die erfahrene SP-Politikerin: Wie eine gute Schachspielerin denkt sie immer mehrere Züge im Voraus. Und wenn sie den entscheidenden Zug gemacht hat, sind Freund und Feind überrascht.
Wobei: Die Rücktrittsankündigung an sich war keine Überraschung. Politische Beobachter hatten dieses Szenario auf der Rechnung. Überraschend war der frühe Zeitpunkt. Die städtischen Wahlen finden erst in zwei Jahren statt. Die tieferen Beweggründe, wieso sich Ursula Wyss für einen Rückzug aus der Politik entschieden hat, behält sie derzeit für sich. Zwei Dinge hingegen sind sicher: Die Überraschung ist ihr gelungen, und sie hat einmal mehr gezeigt, dass es ihr wichtig ist, in der Offensive zu sein und nicht unter Zugzwang zu handeln.
Die Rücktrittsankündigung von Wyss wird für die Arbeit in der Stadtregierung nicht ohne Folgen bleiben. Wer denkt, dass Wyss nun bis zum Ende ihrer Amtszeit passiv auf ein Patt spielen wird, liegt falsch. Im Gegenteil: Sie wird ihre Ziele bis zum Ende ihrer Amtszeit mit viel Offensivgeist verfolgen. Dabei verfolgt sie einen Ansatz, der für die Stadtberner Verwaltung einigermassen neu ist. Statt alles lange abzuklären und sich technisch, juristisch und politisch umfassend abzusichern, setzt sie ihre Vorhaben auf dem kürzestmöglichen Weg um. Einfach mal machen lautet das Motto, wie man es von dynamischen Jungunternehmen her kennt. In diesem Jahr wurden die Resultate dieses Vorgehens klar erkennbar.
So liess Wyss den Waisenhausplatz und verschiedene andere Plätze möblieren, sperrte in den Sommermonaten die Mittelstrasse in der Länggasse und öffnete die Speichergasse für den Velogegenverkehr und konnte sich bei der Inbetriebnahme des Publibike-Systems feiern lassen. Meistens konnte Wyss ihre Schnellzugprojekte als Erfolg feiern lassen. Die Publibike-Panne zeigte indes, dass dieses Vorgehen politische Risiken mit sich bringt, wenn etwas schiefgeht. Kritiker schieben dann schnell den verantwortlichen Politikern die Schuld in die Schuhe. Auch wenn diese woanders liegt.
Die Ankündigung ihres Rücktritts gibt Ursula Wyss eine Chance, sich als Gemeinderätin neu zu erfinden. Sie kann nun unabhängiger von der Parteidoktrin und von Überlegungen in Bezug auf die eigene Karriere politisieren. Für die Stadtregierung jedenfalls wäre es ein Gewinn, wenn sie verstärkt Brücken über politische Gräben baut, ein offenes Ohr für den Gegner hat und diesem auch mal etwas zugesteht. Ein Indiz für diese Entwicklung könnte die Bewilligung des Formel-E-Rennens durch den Gemeinderat sein. Entgegen der weitgehend einhelligen Parteimeinung haben sich Ursula Wyss und ihr Parteikollege Michael Aebersold nicht gegen die Bewilligung des Anlasses gestemmt. Es ist zu wünschen, dass mehr solche Beispiele folgen werden.
Mit ihrer Ankündigung hat Ursula Wyss zudem den Wahlkampf 2020 lanciert. Die SP-Strategen haben nun genügend Zeit, um eine geeignete Kandidatin zu finden. Mit Flavia Wasserfallen, Nadine Masshardt, Ursula Marti, Marieke Kruit und Nicola von Greyerz verfügt die SP über eine breite Auswahl. Doch keine von ihnen kann sicher sein, dass sie den Sprung in die Regierung schaffen wird, denn die Kandidatin wird auf der RGM-Liste auch gegen die Bisherigen Alec von Graffenried (GFL), Franziska Teuscher (Grüne) und Michael Aebersold (SP) antreten. Sollte die RGM-Liste einen Sitz verlieren, würde wohl die Aspirantin auf den Sitz von Ursula Wyss leer ausgehen.
Die Ankündigung von Ursula Wyss hat die Parteistrategen von Mitte-rechts geradezu elektrisiert. Für sie ist das eine gute Nachricht, denn sie können 2020 gegen eine neue Kandidatin von RGM antreten. Doch im Prinzip bleiben ihre Hausaufgaben unverändert. Die Grünliberalen, EVP, CVP, BDP, FDP und SVP werden sich für ein Wahlbündnis zusammenraufen müssen, wenn sie einen zweiten Sitz in der Stadtregierung holen wollen. Dass der Alleingang der Parteien nur dem politischen Gegner hilft, haben die vergangenen Wahlen gezeigt.
Als nächster Spieler ist nun CVP-Gemeinderat Reto Nause am Zug. Von seinem Entscheid, ob er wieder kandidiert, wird es abhängen, ob ein so breites Wahlbündnis zustandekommt. Tritt er wieder an, sinken die Chancen auf eine Wahlallianz, denn in diesem Fall schwinden die Aussichten der Grünliberalen, in der Stadtregierung einen Sitz zu gewinnen. Entsprechend klein wird die Motivation der grünliberalen Parteistrategen sein, ihrer Basis zu beantragen, sich kurzzeitig für den Wahltag mit der SVP ins Bett zu legen.
Tritt hingegen Vizestadtpräsident Reto Nause nicht wieder an, haben die Grünliberalen eine verlockende Aussicht auf einen Sitz in der Stadtregierung. Dann könnten sie bereit sein, bei diesem Zweckbündnis mitzumachen. Dieses wird indes nicht vor Kraft strotzen. Der Stand der Diskussion ist jetzt, dass es zwar einen Wahlprospekt geben wird. Aber ein gemeinsames Bild aller Mitte-rechts-Kandidaten wird darin nicht zu sehen sein. Auch thematisch soll es keine gemeinsamen Programmpunkte geben. Eine schlagkräftige Allianz mit Überzeugungskraft sieht anders aus.
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