Ein Reich aus Kalk und Wasser
Mitten in der Stadt Bern verbirgt sich ein mehrere Hundert Meter langer Stollen. Ursprünglich als Schutzraum gedacht, wurde er mit der Zeit zu einer Tropfsteinhöhle.
Ein leises Rauschen dringt durch die massive Eisentür, die beim grossen Parkplatz des Berner Klösterlistutzes in den Hang führt. Als Walter Steffen die Tür öffnet, wird das Rauschen lauter. Ein kalter Windhauch weht den Menschen entgegen, die sich hinter ihm auf dem Parkplatz versammelt haben. «Willkommen in der Berner Tropfsteinhöhle», sagt Steffen und verschwindet mit einem grossen Schritt in der Dunkelheit.
Im Inneren des Stollens öffnet sich den Besucherinnen und Besuchern ein langer Gang, der mit Beton umschlossen ist. Rechts geht es steil in die Tiefe: Unter dem Stollen verläuft ein deutlich breiterer Abwasserkanal, der Ursprung des Rauschens. Nach einigen Metern verändert sich die glatte Oberfläche des Gangs. Schneeweisse filigrane Muster schlängeln sich über die Wände, Hunderte von winzigen Stalaktiten hängen von der Decke herunter, und der Boden ist mit kleinen runden Kalksteinen bedeckt.
Nach etwa 100 Metern mündet die Höhle in eine etwas breitere Kammer, wo sich das Wasser in einem Becken angesammelt hat. Die sechs darin eingelassenen Bodenlampen tauchen die Tropfsteinhöhle in schimmerndes Licht. Und in den Wänden klaffen mächtige Bohrlöcher.
Ein gescheitertes Bauprojekt
Natürlichen Ursprungs ist die Berner Tropfsteinhöhle nicht. Es handelt sich bei ihr um einen ehemaligen Sondierstollen, der während des Zweiten Weltkriegs gebaut wurde. 1944 veranlasste der Berner Gemeinderat die Bohrung mit der Absicht, im Aargauerstalden einen Schutzraum zu erstellen und darin die wertvollen Kulturgüter zu schützen.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass der Hang zu viel Wasser führte. Immer wieder drang Schlamm in den Stollen ein, einmal stürzte gar ein Teil des Stollens ein. Bereits die hohe Luftfeuchtigkeit hätte die Lagerung von Gemälden unmöglich gemacht. 1945 wurde der Bau des Schutzraums aufgegeben und der Stollen mit einer massiven Eisentür verriegelt.
Erst in den 80er-Jahren, als der Abwasserkanal von Muri her gebaut wurde, öffnete man die Tür zum vergessenen Stollen wieder – und machte dabei eine unerwartete Entdeckung: Über die Jahre hatte sich das gescheiterte Bauprojekt in eine Tropfsteinhöhle verwandelt. Das kalkhaltige Hangwasser war in den Stollen eingedrungen und hatte jene Ablagerungen gebildet, welche die Besucherinnen und Besucher bis heute faszinieren.
Das Highlight der Führung
Seither nutzt die Stadt die Tropfsteinhöhle als Attraktion. Regelmässig führt Walter Steffen Interessierte durch den Untergrund Berns und zeigt ihnen neben der Höhle etwa auch den Rathauskanal sowie eine von insgesamt 21 Pumpstationen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der heutigen Führung sind sich einig: Der spannendste Programmpunkt ist die Tropfsteinhöhle. Vorsichtig streichen sie über die Kalkmuster an den Wänden, halten das Erlebnis mit dem Handy fest – und löchern Werner Steffen mit Fragen.
Erst nach einer halben Stunde hat der letzte Teilnehmer des Stadtrundgangs die Tropfsteinhöhle verlassen. Als Letztes tritt Steffen auf den Parkplatz hinaus und schliesst den Zugang hinter sich. Und während er sich von der Gruppe verabschiedet, dringt das leise Rauschen durch die massive Eisentür.
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