Ein Kornlager wird zum Begegnungsort
Eine Ausstellung im Berner Kornhaus zeigt die wechselvolle Geschichte des 300-jährigen Hauses. Einst Kornlager, Weinkeller, Flüchtlingsunterkunft und Museum, ist es seit 20 Jahren ein Ort der Begegnung.
«Ein Schriftsetzer, der den in Deutschland herrschenden Standrechtshyänen entkommen ist, sucht Arbeit.» Dieses Inserat erschien 1849 in den Berner Medien. Der Inserent war einer von über 1000 politischen Flüchtlingen, die nach den Hanauer Krawallen vom Kanton Bern aufgenommen wurden. Das zum Kurfürstentum Hessen gehörende Hanau war Mitte des 19. Jahrhunderts Zentrum der demokratischen Bewegung in Deutschland.
Die verfolgten Flüchtlinge, die gegen die neoabsolutistische Staatsform aufbegehrten, wurden auf verschiedene Gebiete im Kanton Bern verteilt. Auch in der Stadt Bern gab es eine Unterkunft: das Kornhaus, wo auch der Arbeit suchende Schriftsetzer mit 246 anderen Gleichgesinnten Unterschlupf fand. Der grosse Flüchtlingssaal befand sich oben, im dritten Kornboden. Es gibt eine anonyme Lithografie, welche die prekären Verhältnisse dieses Notquartiers dokumentiert – und sie ist eines von zahlreichen Dokumenten, die in der aktuellen Ausstellung «300 Jahre Kornhaus» gezeigt wird.
Vorsorge für Hungersnöte
Das Kornhaus als Aufnahmezentrum politischer Flüchtlinge. Das ist nur eine von vielen Nutzungen, die das Haus in den letzten 300 Jahren erlebt hat. 1711 begann der Aushub für das Fundament dieses monumentalen Werkes des einheimischen Hochbarocks. Im März 1715 wurde die Aufrichte gefeiert, ein Jahr später das erste Korn eingelagert, der eigentliche Sinn und Zweck des 57 Meter langen und 20 Meter breiten Neubaus.
Im 18. Jahrhundert dienten Kornhäuser als Vorsorge für Hungersnöte und Krieg. Und das neue Stadtberner Kornhaus war das prächtigste der über 20 Kornhäuser in Stadt und Land. Mit der Einsetzung des Reliefs beim Westgiebel war der Bau 1718 schliesslich abgeschlossen. Unter dem Boden befand sich ein grosser Gewölbekeller für Weinfässer. Das Erdgeschoss, eine von 34 Pfeilern getragene Halle, war ein Marktort für die Bevölkerung.
Das Museum des Kantons
Nach dem Untergang des alten Bern 1798 verlor das Kornhaus seine ursprüngliche Bedeutung. Jahrzehntelang diente es als Lagerraum und Sanitätsmagazin. 1874 verkaufte der Kanton Bern das Haus der Gemeinde Bern für 200000 Franken. Hauptmieter blieb indes der Kanton, der im Kornhaus für die nächsten fast 100 Jahre ein Gewerbemuseum betrieb.
Immerhin wurde das Kornhaus zwischen 1895 und 1898 umgebaut, von Adolphe Tièche, dem Architekten der Klinik Münsingen und der Militärkaserne im Beundenfeld. Er war es, der im Kornhaus unter anderem die grossen Fenster und das breite Treppenhaus eingebaut hat. Und der Zugang zum Kornhauskeller, zum Grande Cave, wurde durch eine repräsentative Treppenanlage ermöglicht, eine neue Galerie sorgte für mehr Platz.
Woran allerdings nicht alle Bernerinnen und Berner Freude hatten, war das Erdgeschoss. Die offene Halle wurde nämlich mit Ladenlokalen und einem Postamt verstellt. In diesem Zustand schlummerte das Haus jahrzehntelang dahin.
Offenes Haus für alle
1975 liess die Stadt die Kornhausfassade restaurieren. Sie wurde in den ursprünglichen Zustand mit den schmalen Fenstern zurückversetzt. 12 Jahre später forderte eine Gruppe um den Kunsthistoriker Paul Hofer, das Kornhaus als Begegnungsort mit spontanen Aktivitäten zu konzipieren. Das stiess bei der Stadt auf offene Ohren. Der Kanton kündigte seinen Mietvertrag – das Gewerbemuseum war Vergangenheit. 1998 wurde das neue Kornhaus eröffnet, mit einem Café im Erdgeschoss, einem Forum für Medien und Gestaltung sowie einer Bibliothek in den oberen Räumen. Allein das Kornhausforum mit seinen Events wird heute jährlich von 40000 Menschen besucht.
Ausstellung «300 Jahre Kornhaus Bern», bis 3. Nov.; Di–Fr: 10 bis 19 Uhr, Sa: 10 bis 17 Uhr. Eintritt frei.
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