Dieser Leichenwagen ist allen Eventualitäten gewachsen
«Ein Traum ist wahr geworden»: Die Bestattungsfirma Zbinden hat zusammen mit lokalen Handwerkern ein Serienauto zu einem unkonventionellen Leichenwagen umbauen lassen.

«Was haben wir gelacht.» Der Weg, den Jürg Zbinden und Daniela Zurbriggen zurücklegten, bis sie sich erstmals ans Steuer ihres neuen Leichenwagens setzen konnten, war ein kleines Abenteuer. Ein Abenteuer, das den beiden Verantwortlichen für den Bestattungsdienst Zbinden mächtig Spass gemacht hat. «Ein richtig cooles Projekt», sagt Daniela Zurbriggen. Und lacht wirklich. Man wäre am liebsten dabei gewesen.
Am Strassenrand liegen noch ein paar Schneereste, doch die Sonne färbt den bewaldeten Hügel gegenüber, auf dem knapp der berühmte Kirchturm von Rüschegg zu sehen ist, frühlingshaft. Der Hauptsitz des Bestattungsdienstes mit seinen Aussenbüros in Schwarzenburg und neu auch in Belp befindet sich im Dorfzentrum von Rüschegg-Heubach. In einem auffälligen gelben Haus, in dem Ortsunkundige auf den ersten Blick eher ein Milchlädeli vermuten oder vielleicht ein Treuhandbüro.
Wer die Türe zum Bestattungsdienst öffnet, blickt direkt in zwei geöffnete Holzsärge und eine stattliche Auswahl an Urnen, die Jürg Zbinden in seiner Drechslerei teilweise kunstvoll selber fertigt. Ums Sterben macht hier niemand einen Bogen.
Bestatter aus Leidenschaft
80 bis 100 Bestattungen führt die Firma Zbinden pro Jahr durch. In Rüschegg selber mit seinen 1700 Einwohnern kommt bei einer durchschnittlichen Sterberate von acht Promille jedoch nur rund ein Dutzend zusammen. Zbinden arbeitet deshalb in der ganzen Region und oft auch in der Stadt, gelegentlich fährt man auch bis Basel oder zum Flughafen Zürich, um im Ausland Verstorbene abzuholen, die zu Hause beerdigt werden sollen.
Zbinden und Zurbriggen sind Bestatter mit Leib und Seele, aber auch clevere Geschäftsleute. Ihnen ist klar, dass sie ihre Businessziele nur mit makellosem Service erreichen. «Rüschegg scheint abgelegener, als es wirklich ist», sagt Daniela Zurbriggen. Budgetangebote im Bestattungswesen sind selbst im Quellgebiet des Schwarzwassers ein Thema.
«Wir wollen auch für die letzte Fahrt alle Kundenwünsche erfüllen.»
Ein Leichenfahrzeug, das allen Ansprüchen genügt, kann deshalb eine Investition sein, die den Unterschied ausmacht. «Genau das war unser Anspruch», sagt Jürg Zbinden. «Wir wollen auch für die letzte Fahrt alle Kundenwünsche erfüllen.»
Im Bestattungswesen gehe es, so Zbinden weiter, nicht immer sehr buchstabengetreu zu und her. Mitunter würden Verstorbene unsachgemäss in Lieferwagen transportiert – und lieblos ohnehin. «Dagegen wollten wir ein Zeichen setzen.» Der neue Leichenwagen ist Zbindens Statement für Professionalität, Korrektheit und Leidenschaft.
Zwingend 4 × 4
Das Problem war nur: Zbindens Traumauto gab es nicht ab Stange. Ein langer Mercedes-Kombi, wie er häufig als Bestattungsfahrzeug im Einsatz steht, würde rasch am Berg stehen, wenn es in Sangernboden oder in Hirschmatt auf unbefestigter, steiler Strasse zu einem abgelegenen Bauernhof geht. «Ohne Vierradantrieb sind wir chancenlos», sagt Zbinden.
«Wir sind uns bewusst, dass wir als Bestatter sehr kritisch angeschaut werden.»
Die klassische schwarze Farbe ist ebenso ungeeignet, weil das Auto schmutzig aussieht, kaum fährt man durch die kleinste Pfütze. «Wir sind uns bewusst, dass wir als Bestatter sehr kritisch angeschaut werden», sagt Daniela Zurbriggen. Sauberkeit sei absolute Pflicht. Deshalb musste das neue Auto grau sein und nicht schwarz.
«Völlig verrückt»
Je länger Zbinden und Zurbriggen über das neue Fahrzeug nachdachten, desto entschlossener wurden sie, ihr eigenes Ding durchzuziehen. Mit dem befreundeten Garagisten Franz-Peter Raemy im freiburgischen St. Ursen entwickelten sie die Idee, einen Familienvan der südkoreanischen Marke Ssongyong zu kaufen und umzurüsten.
«Völlig verrückt» hätten sie das zuerst gefunden. Und herzhaft gelacht darüber. Doch Handwerker aus der Region, denen sie von ihrer Vision erzählten, waren Feuer und Flamme dafür. Und ehe sie es sich versahen, stand auch für die beiden fest: «Das machen wir.»
Es wurde ein kleines regionalwirtschaftliches Projekt.
Es wurde ein kleines regionalwirtschaftliches Projekt. Das Interieur des Serienvans wurde komplett ausgebaut. Fachleute der Firma Gilgen Door Systems in Schwarzenburg bauten die Metallteile ein, ein Schreiner von Vifian Möbel Schwarzenburg verkleidete den Transportraum in Handarbeit mit Holz.
Sehr wichtig war Jürg Zbinden die peinlich genaue Einhaltung der Vorschriften des Strassenverkehrsamts für Leichenwagen, die auf zwei Seiten festgehalten sind. Zum Beispiel, dass der Führerraum von Gerüchen aus dem Sargbereich freigehalten wird. Dass sich der Sargraum problemlos reinigen lässt. Und dass ohne Wenn und Aber sichergestellt ist, dass der Sarg während der Fahrt nicht verrutschen kann.
Musik im Sargraum
Das neue Auto, das letztlich rund 48'000 Franken kostete, schaffte die Fahrzeugprüfung problemlos. Und Zbinden liess es sich nicht nehmen, noch ein paar Gadgets einbauen zu lassen. Vom Smartphone aus kann er per Bluetooth die Lieblingsmusik des Verstorbenen auf zwei Lautsprecher im Sargraum schicken und ihn so auf seiner letzten Fahrt musikalisch begleiten.
Im Sargraum befindet sich zusätzlich eine Unfallbahre – für den Fall, dass die Bestattungsdienste Zbinden beispielsweise zu einem Strassenunfall gerufen werden und den Leichentransport übernehmen. Für schwierige Leichentransporte in engen, alten Häusern der Region verfügt die Sargbahre über ein spezielles Raupenaggregat, sodass auch schwere Personen über steile, verwinkelte Treppen von einem Bestatter allein zum Auto gebracht werden können.
Lob aus Südkorea
Als der Europa-Verantwortliche des Ssangyong-Konzerns aus Belgien vor einigen Wochen in die Schweiz gereist sei und den Leichenwagen von Rüschegg begutachtet habe, sei ihm fast die Sprache weggeblieben. Er hätte nie gedacht, sagte er laut Zbinden sichtlich beeindruckt, was sich aus einem herkömmlichen Familienauto alles machen lasse.
Ihre Arbeit würden sie nun mit noch einer Spur mehr Freude machen als vorher schon.
Für sie sei «ein Traum wahr geworden», mit diesem Auto arbeiten zu können, sagen Zbinden und Zurbriggen. Ihre Arbeit würden sie nun mit noch einer Spur mehr Freude machen als vorher schon. Freude? An einem coolen Projekt wie dem Leichenwagen von Rüschegg, so lassen sie spüren, muss man einfach Freude haben.
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