Der Blut-, Pulver- und Hexenturm
Schon der Name verspricht ein Geheimnis. Und hinter der Tür zum Blutturm wartet tatsächlich Überraschendes.

Wenn die Alpenkette verhangen und die Aussicht unspektakulär ist, bleibt der Blick bei der Einfahrt über die Eisenbahnbrücke nach Bern auch mal an ihm hängen, dem Blutturm. Er steht am Aareufer wie ein alter Mann mit zu kleinem Hut und löchrigem Mantel, der im Winter friert und doch dem Wetter trotzt. Klein und verloren wirkt dieses Überbleibsel von Berns Stadtbefestigung zwischen den hohen Brückenbogen. Was sich hinter diesen meterdicken Tuffsteinmauern verbirgt, das mögen sich Jogger, Aareschwimmer oder die Pendler fragen, die tagtäglich am Blutturm vorbeikommen.
«Der Name Blutturm basiert wohl auf einer Verwechslung mit der Felsenburg.»
Doch sein Äusseres täuscht. Schliesslich wirkt der mittelalterliche Turm geheimnisvoll, sein Name verheisst Gefährliches, Verbotenes, die Geschichten tönen düster, von Hexen, die dort in der Aare ersäuft wurden, oder heimlichen Exekutionen unter dem Ziegeldach. «Das sind höchstwahrscheinlich alles nur Mythen», sagt Turmchef Jonas Schütz. Er schliesst die schmale, versprayte Holztür auf.
Mit Bar und Dancefloor
Über einen hohen Treppenabsatz stolpert man in den dunklen Raum. Eiskalt ist es hier drin an diesem Dezembermorgen. Keine Folterinstrumente oder Gefängniszellen, keine Spuren mittelalterlicher Grausamkeiten – nur ein karg eingerichteter Raum mit Gemälden an den Sandsteinwänden und einem Kamin, Holzfässer stehen herum.

Eine schmale Wendeltreppe führt in den oberen Stock, durch die Gitterfenster weht die Winterluft herein, hier steht eine Bar, im Dachgebälk hängt eine Diskokugel, ausrangierte Verkehrsampeln zeugen von Partynächten.
Einzig der Geruch erinnert an vergangene Zeiten, obwohl man ja selbst nicht da war; es ist diese feuchte, modrige Luft. «Der Name Blutturm basiert wohl auf einer Verwechslung», macht Jonas Schütz die Ernüchterung komplett. Und zwar sei damit wohl die Felsenburg gemeint, wo der Scharfrichter von Bern wohnte. Die Bezeichnung des Turms änderte je nach Verwendungszweck immer wieder, so hiess er auch Hexenturm, Pulverturm oder Harzturm.
Die Leichenhalle
Der Blutturm wurde zwischen 1468 und 1470 als Wehrturm in der Nordwestflanke der Berner Stadtbefestigung erbaut. Bis heute ist der sanft renovierte Bau Eigentum der Stadt und steht unter Denkmalschutz. Wie dem historisch-topographischen Lexikon der Stadt Bern zu entnehmen ist, erlahmen um 1800 die Bemühungen, den Turm für Verteidigungszwecke zu erhalten. Ab 1806 dient er dem anatomischen Institut der Uni Bern als Leichenhalle – die einzige Anekdote mit Gruselfaktor, die dem Faktencheck standhält.
Ab 1954 nimmt sich die Pfadi Berna dem Turm an und übernimmt den gesamten Innenausbau in Fronarbeit: Fenster, Holzböden, Wendeltreppe, Kamin und Stromversorgung. Bis heute ist der Verein Pfadi Berna für den Unterhalt des Blutturms zuständig. Im Schnitt einmal pro Monat finden hier Anlässe statt, Feste oder Sitzungen. Jonas Schütz würde den Turm gerne auch an Externe vermieten, dies ist jedoch aus Sicherheitsgründen nur beschränkt möglich, da der Bau beispielsweise über keine Notausgänge verfügt.
Beliebt bei Kletterern
Der Blutturm und seine Umgebung sind städtisch und modern geworden. Die Mauern sind voller Graffitis, auch Magnesiumspuren der Urban Boulderer sind sichtbar, sie betiteln den Blutturm als den Berner Boulderplatz schlechthin. Die Treppe und das Umland sind beliebter Treffpunkt für Junkies, befindet sich doch die Drogenanlaufstelle direkt oben an der Brücke. «Der gedeckte Zugang ist beliebt, da übernachten auch regelmässig Leute», sagt Schütz. Es ist die Dunkelheit, die diesem Relikt aus dem Mittelalter noch etwas geheimnisvollen Charme lässt. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass der Blutturm mehr verdient hätte.
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