«Bini eifach chli z aut?»
Der Berner Regisseur Dieter Fahrer zeigt in «Die vierte Gewalt» den Zwiespalt, in dem sich der Journalismus befindet. Verloren zwischen Katzenbildern und Sparauftrag, Aufbruchstimmung und Lethargie.

Ein halb nackter Typ steht vor dem Bundeshaus, tanzt zum Sound, den nur er hört über seine Kopfhörer. Eine alte Dame im Sonntagskostüm spaziert in weitem Bogen an ihm vorbei. Zwei Welten.
Diese Szene, nur zufällig von der Kamera eingefangen, bringt den Dokumentarfilm des Berner Regisseurs Dieter Fahrer («Thorberg») ganz gut auf den Punkt: Da prallt die alte auf die neue Welt. Und zwar heftig.
Über mehrere Jahre hat Fahrer für «Die vierte Gewalt» vier Medien begleitet: die Tageszeitung «Der Bund», die SRF-Radiosendung «Echo der Zeit», das Onlineportal Watson und die neu gegründete Onlinezeitung «Republik». Er wollte herausfinden: Wie haben sich die Medien in Zeiten des unendlichen Nachrichtenflusses verändert?
Alte Generation
Mit dem «Bund», der wie diese Zeitung zum Verlagshaus Tamedia gehört, ist Dieter Fahrer seit je eng verbunden. Seine Eltern hatten ihn schon immer abonniert. Jetzt ziehen sie ins Altersheim.
Und die Familie, die nach ihnen in die Wohnung zieht, hat keine Zeitung mehr im Briefkasten. Das ist die sehr persönliche Ausgangslage des Dokumentarfilmers, der gesteht: «I lise dr ‹Bund›, när bruchi ke Breaking News meh. Oder bini äch eifach chli z aut?»
Ja, die traditionellen Zeitungen leiden unter Leser-, Inserate- und Autoritätsverlust, denn junge Menschen abonnieren keine Zeitung mehr; die neuen Medien, wie das Onlineportal Watson, setzen sich derweil fröhlich und ungehemmt über bisher sakrosankte Regeln hinweg.
Auch News sollen unterhaltend sein, dafür gibt es gar eine Spassredaktorin, die über «Lustiges zur Menstruation» oder Katzenbilder berichtet. Und bei Watson wird in ebenso lockerem Ton über «Native Advertising» referiert.
Das sind als normale Artikel verkleidete Texte, die von Firmen gesponsert sind. Im Film sponsert ein Fondue-Hersteller einen Clip, in dem Watson-Journalisten ein angeblich veganes Fondue testen. Es ist journalistischer Grenzbereich.
Neue Generation
«Der Informationsfluss ist quasi explodiert, aber ich bin so aufgewachsen und spüre es nicht. Ich glaube, meine Generation surft irgendwie gefilterter», sagt Rafaela Roth. Die junge Zürcherin ist Leiterin des Reporterteams bei Watson (heute arbeitet sie beim «Tages-Anzeiger»).
«Meine Generation surft irgendwie gefilterter.»
Und auch bei ihr sind Leidenschaft und Verantwortung für den Journalismus zu spüren, wenn sie findet: «Man sollte nie nach unten treten, immer nur nach oben. Nach unten sollte man zuhören.» Vielleicht sind die jungen Journalistinnen und Journalisten heutzutage gar nicht so anders. Aber die Art der Publikation, das Aussehen der Artikel und vor allem die Geschwindigkeit im Journalismus haben sich geändert.
Eine letzte Bastion der Altgedienten scheint da die Radiosendung «Echo der Zeit». Sie hat im Film die Rolle des intakten Qualitätsmediums, das immer noch mit genügend Ressourcen hintergründige Sendungen machen kann. Doch auch diese Welt ist im Wanken: Bei Drehabschluss war die Abstimmung über No Billag noch kein Thema.
So hat die Aktualität den Film überholt. Die Medienwelt befindet sich in einem riesigen Umbruch: Sind es Katzenbilder, auf die die Welt gewartet hat? Oder sind es doch eher die grenzwertig langen Artikel, die auf der neuen Bezahl-Onlinezeitung «Republik» zu finden sind?
Hat die Tageszeitung eine Zukunft, oder ist sie doch eher als Unterlage zum Kartoffelrüsten geeignet? Dieter Fahrer hat die Antwort noch nicht gefunden. Und entspannt sich derweil bei der Liveschaltung an eine Strassenkreuzung in einer US-Kleinstadt. Auch das ein Verdienst der neuen Medien.
«Die vierte Gewalt»: Mittwoch, 20.15 Uhr, Cineclub, Bern (mit Nick Lüthi), Donnerstag, 20.15 Uhr, Lido Biel (mit Bernhard Rentsch). Ab Donnerstag im Kino.
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