Jeden Tag ein wenig besser werden
Der Berner Yannick Weber arbeitet in Hamilton hart an seiner Rückkehr in die NHL. Das 21-jährige Verteidigertalent will sich für die Montreal Canadiens empfehlen – und für die Olympischen Spiele in Vancouver. Ein Besuch in Kanada.
Fremder, kommst du nach Hamilton, dann bleibst du nicht lange. Hamilton ist: hässlich und dreckig, laut und stinkig, es ist eine Durchgangsstation am riesigen Ontariosee, eingepfercht zwischen der Millionenmetropole Toronto und der Touristenattraktion Niagarafälle. Hamilton mit seinen über 500 000 Einwohnern ist derart abgekämpft und ärmlich, dass es sich nicht mal eine kleine Schicht Schminke gönnt, um sich zu verschönern. Die Wirtschaftskrise ist an jeder Ecke zu spüren, Arbeitslose lungern herum, die Stahlindustrie darbt heftig und damit auch der grösste Arbeitgeber. Auf und Ab zu Saisonbeginn Hier also lebt Yannick Weber, seit kurzem 21 Jahre jung und Berner und Eishockeyprofi und angestellt in der Organisation der Montreal Canadiens. Weber erscheint pünktlich vor dem Copps Coliseum, der Arena mitten in der Stadt. «Hamilton ist wirklich keine Schönheit», sagt Weber und ergänzt schmunzelnd: «Aber vielleicht muss diese Stadt hässlich sein, damit ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren kann.» Yannick Weber ist eine aufgestellte Person, selbstbewusst und gleichzeitig demütig, es ist diese bizarre Mischung, die im US-Sportbusiness gefordert wird. «Es ist hart hier und teilweise brutal, man muss mental stark sein», sagt Weber. Und: «Keiner wartet auf dich. Es liegt an dir, den weiten Weg in die NHL gehen zu wollen.» Weber sitzt in einem hübschen Kaffeeladen («dem einzigen guten in der Stadt») im Sheraton-Hotel, er ist ein aufmerksamer Gesprächspartner und interessanter Geschichtenerzähler. Hinter dem früheren SCB-Junior liegen schwierige Wochen, und die Kurzversion seiner Erlebnisse geht so: In der Saisonvorbereitung wurde er als letzter Verteidiger Montreals runtergeschickt in die AHL, zu den Hamilton Bulldogs. Das war ein Rückschlag. Doch dann verletzte sich der Starverteidiger Montreals, Andrei Markow, schwer. Und Weber erhielt unverhofft eine zweite Chance. Nach dem besten Saisonstart Montreals seit zehn Jahren (zwei Overtime-Siege auswärts) spielte Weber dreimal mit den Canadiens auf einem Roadtrip in Kanada – und verlor dreimal. «Ich spielte einmal gut, einmal schwach, einmal solid», sagt Weber. In der nackten NHL-Zahlenwelt aber stand nach drei Einsätzen: eine Minus-4-Bilanz. «Und wenn der Junge draussen ist bei Gegentoren, ist das nie gut», sagt Weber. Nach den Niederlagen in Calgary (3:4), Vancouver (1:7) und Edmonton (2:3) und seinen NHL-Partien 7 bis 9 war das Abenteuer beendet. «Der General Manager rief am Morgen nach dem Spiel in Edmonton an und erklärte mir, ich müsse wieder nach Hamilton», sagt Weber. «Er fragte bloss noch, ob ich heute oder morgen fliegen wolle.» Reagieren nach dem Schock Willkommen in der erbarmungslosen Welt National Hockey League! Der rüde Umgangston ist nichts für Schwächlinge, man könnte auch schreiben: nichts für Schweizer. Weber aber will mit den Vorurteilen gegen die verweichlichten Eidgenossen aufräumen. «Es ist hart, wenn man keine Gründe erhält, warum man runter muss», sagt Weber. «Aber ist jetzt halt so.» Jetzt also ist Weber wieder in Hamilton, gewissermassen in der Hölle. Und der Himmel (besser: das Paradies) ist rund eine Flugstunde entfernt. Nur 65000 Dollar verdient er jährlich («bei Montreal kommt eine Null dazu»), doch Geld ist für ihn noch kein Antrieb. «Am Anfang war es ein heftiger Schock, wieder in Hamilton spielen zu müssen», sagt Weber. «Aber es geht weiter.» Das Kurzarmshirt ist von den mächtigen Muskeln an den Oberarmen zum Zerreissen gespannt, das ist ein schönes Bild, um die Situation Webers zu erklären: Eigentlich fühlt er sich genug stark für die NHL, er könnte ja auch jeden Tag zu einem anderen Verein getradet werden. Weber ist einer der hoffnungsvollsten Spieler der Canadiens und ein wertvolles Tauschobjekt. Peter DeBoer, sein Trainer bei den Junioren der Kitchener Rangers, ist heute Chefcoach der Florida Panthers, und der 41-Jährige hält sehr viel vom Berner. Die Verantwortlichen Montreals seien nervös, erklärt Weber, der Erfolg machte in den letzten Jahren einen weiten Bogen um die eishockeyverrückte Stadt, deshalb werde mit hektischen Transfers versucht, ein Siegerteam zu bilden. «Meine Zeit kommt noch. Und wir haben in Hamilton einen ausgezeichneten Trainer, der mir regelmässig sagt, die NHL sei nicht weit entfernt für mich.» Klinsmanns Dogma Guy Boucher heisst der strenge Coach der Bulldogs, er lässt jeden Tag hart und stundenlang trainieren. «Der Trainer sagt immer, er wolle uns jeden Tag ein bisschen besser machen.» Dieses Motto ist in Nordamerikas Sportwelt heilig, immer und überall, und man weiss jetzt, was der arme Jürgen Klinsmann damals gemeint hat. Der Fussballtrainer erwähnte dieses Credo ja bei seiner Installation als Trainer Bayern Münchens vor über einem Jahr, doch der Wahlkalifornier wurde für diese Aussage in Deutschland verspottet. «Unser Trainer sagt auch, wenn man nur an seinen Schwächen arbeite, werde man ein mittelmässiger Spieler», sagt Weber. Also feilt er weiter auch an seinem wuchtigen und präzisen Schuss, er trimmt seinen für die NHL kleinen Körper (1,78 m gross, 88 kg schwer) hart, er verbessert seine Skills als Spielmacher. Yannick Weber spricht und spricht. Über seine Kontakte zur Familie und den Freunden in Bern («zum Glück gibt es das Internet»), über seine Hobbys («dafür bleibt leider nicht viel Zeit, aber ich koche sehr gern») und über seine Freundin Florence Schelling, die in Boston studiert, Schweizerin ist – und Goalie der helvetischen Eishockey-Frauenauswahl. Und natürlich ist bald die Rede von Mark Streit, dem Vorbild Webers, der längst ein Freund geworden ist. «Seine fantastische Karriere ist ein Ansporn für mich», sagt Weber. Der Defensivtrainer der Hamilton Bulldogs, Daniel Lacroix, war letzte Saison in gleicher Funktion bei den New York Islanders, dem Klub Streits, tätig. «Er sagt mir oft, wie stark sich Streit, der immer ein ausgezeichneter Offensivverteidiger war, in den letzten Jahren defensiv verbessert hat. Bei Montreal durfte Streit ja noch selten hinten spielen», sagt Weber. Einzelkämpfer als Team Die Zeit fliegt, in einer halben Stunde fahren die Bulldogs mit dem Bus drei Stunden zum Auswärtsspiel über die Grenze in die USA nach Rochester. Weber geht noch rasch in sein Appartement mitten in der Stadt («das einzige Gebäude mit schönen Wohnungen in der City») – und zum Abschluss bleibt eine Frage offen. Yannick Weber, sind diese NHL-Farmteams nicht reine Zweckgemeinschaften? Weber, der bereits mit 17 Jahren vom SCB nach Kanada wechselte, überlegt lange, dann sagt er ehrlich: «Doch, natürlich, jeder von uns will persönlichen Erfolg und so schnell wie möglich rauf in die NHL.» Aber: «Alleine erreicht man nichts. Wenn wir als Team siegen, ist das für alle gut. Die Hershey Bears wurden letzte Saison AHL-Champion, heute haben mehr als die Hälfte aller Spieler einen Stammplatz in der NHL.» Und dann geht der Einzelkämpfer, beseelt vom Willen, die Eishockeywelt zu erobern. Am Abend verliert er mit Hamilton 1:4 in Rochester, aber bereits am Morgen darauf steht das nächste (strenge) Training an. Yannick Weber wird wieder ein bisschen besser – und kommt seinem Bubentraum NHL-Stammspieler erneut ein Schrittchen näher. Fabian Ruch, HamiltonDieser Artikel bildet den Start zu einer Serie in loser Folge über Berner Sportler, die an den Olympischen Winterspielen im Februar 2010 in Vancouver teilnehmen werden.>
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