Formel-1-Grand-Prix in ImolaRäikkönen zaubert, Hamilton ist angeekelt
Der Finne holt wie Teamkollege Giovinazzi Punkte für Alfa Romeo. Mercedes sichert sich mit Titel 7 den Rekord in der Formel 1. Hamilton feiert auf gewöhnungsbedürftige Art.

Nun sitzt er da, George Russell, an den Gittern der Strecke von Imola. Gekrümmt, in sich gekehrt. Ein sympathischer, netter, junger Brite ist er für gewöhnlich. Doch in dem Moment ist ihm nicht danach, weitere Sympathiepunkte zu sammeln. Einen WM-Punkt, das hätte es geben sollen, sein erster überhaupt bei seinem 34. Auftritt in der Formel 1. Er vergab ihn mit einer Peinlichkeit.
Also fuchtelt Russell jetzt mit den Händen, will die lästigen Streckenhelfer wegwimmeln, die ihn andauernd fragen, ob es ihm gut gehe. Er will nur eines: allein sein.
Der Ursprung seines Malheurs liegt bei Max Verstappen, der sich mit seinem Red Bull kurz zuvor ins Kiesbett verabschiedet hat und den Einsatz des Safety-Car nötig macht. Der rechte Hinterreifen hat sich 12 Runden vor Schluss in Luft aufgelöst und ein Rennen beendet, das der kämpferische Niederländer auf Rang 2 beendet hätte. So rutscht Valtteri Bottas, der mit beschädigtem Unterboden chancenlos ist gegen Lewis Hamilton, nach auf den 2. Platz – und Russell eben auf Position 10. Es lockt das erste zählbare Ergebnis für den Williams-Rennstall nach 22 Nullrunden.
Gas, Bremse, Gas, Mauer
Russell versucht, hinter dem Safety-Car die Pneus warmzuhalten, beschleunigt und bremst, beschleunigt – und kracht in die Mauer. Aus der Traum, es bleibt ihm die Embryohaltung am Gitterhag.
Dahinter freut sich einer, der sich zuvor noch geärgert hat: Kimi Räikkönen. 49 Runden lang hat er ausgeharrt mit seinen gelben mittelharten Reifen, er zauberte, lag zwischenzeitlich auf Rang 4 und hoffte, dass ein Einsatz des Safety-Car ihm die verlorene Zeit bei einem Boxenstopp verkürzen würde, weil dann alle langsam unterwegs sind. Vergeblich. Also holt ihn sein Team Alfa Romeo an die Box. 2 Runden später ist der Safety-Car da.
Punkte gibt es dennoch für den 41-jährigen Finnen, der von den Zuschauern zum Fahrer des Tages gewählt wird: dank Russell. Und dank Alexander Albon, der sich nach dem fliegenden Neustart dreht und das Desaster für Red Bull perfekt macht.
Neunter also wird Räikkönen, hinter ihm holt auch Antonio Giovinazzi einen Punkt. Es ist der erste Grand Prix mit zwei Autos in den Top 10 für den Schweizer Rennstall seit dem GP von Brasilien im vergangenen Jahr. Es ist ein Erfolgserlebnis in einer schwierigen Saison mit zuvor nur drei Platzierungen in den Punkten.
«Ich bin auf ewig dankbar, Teil eines solchen Rennstalls zu sein.»
Das Team ganz vorne dagegen dürfte längst vergessen haben, wann es letztmals einen Nuller gab. Im Sommer 2018 schieden beim Grand Prix von Österreich sowohl Lewis Hamilton als auch Valtteri Bottas aus. Davor und danach waren und sind die Mercedes-Piloten das Mass aller Dinge. Erster und Zweiter werden sie auch bei der Rückkehr nach Imola nach 14 Jahren und sichern ihrem Rennstall vier Grands Prix vor Schluss den siebten WM-Titel in Serie. Es ist Rekord.
Zudem wird einer der beiden auch in diesem Jahr mit Sicherheit Weltmeister. Hamilton müsste sich schon mächtig vertun, um seine 85 Punkte Vorsprung auf Bottas noch einzubüssen und nicht Titel Nummer 7 zu holen, womit er zu Michael Schumacher aufschliessen würde. «Ich schaue hier mein Team an und denke an die Männer und Frauen in der Fabrik, die unbesungenen Helden, die immer weiterarbeiten und weiterkämpfen», sagt der 35-jährige Brite nach dem Rennen ins Mikrofon. «Ich bin auf ewig dankbar, Teil eines solchen Rennstalls zu sein, der Rekorde bricht.»
Hamilton ist gar so euphorisiert, dass er sich dazu hinreissen lässt, bei Daniel Ricciardos «Shoey» mitzumachen. Der Australier, der als Dritter zum zweiten Mal für Renault auf dem Podest steht, hat den urwüchsigen Brauch in die Glitzerwelt der Formel 1 gebracht: Er leert den Champagner in seinen verschwitzten Schuh und trinkt daraus. Dass Hamilton das an diesem Sonntag aus dem gleichen Schuh tut, ist kaum Corona-konform. Und offenbar ziemlich eklig, wie sein Gesichtsausdruck vermuten lässt. Doch bei so vielen Rekorden, die er und sein Team in dieser Saison brechen, dürften allmählich auch die Ideen ausgegangen sein, wie sie diese feiern sollen.
Imola (ITA). Grand Prix der Emilia-Romagna (63 Runden à 4,909 km/309,049 km): 1. Hamilton (GBR), Mercedes, 1:28:32,430 (209,428 km/h). 2. Bottas (FIN), Mercedes, 5,783 zurück. 3. Ricciardo (AUS), Renault, 14,320. 4. Kwjat (RUS), AlphaTauri, 15,141. 5. Leclerc (MON), Ferrari, 19,111. 6. Pérez (MEX), Racing Point, 19,652. 7. Sainz (ESP), McLaren, 20,230. 8. Norris (GBR), McLaren, 21,131. 9. Räikkönen (FIN), Alfa Romeo, 22,224. 10. Giovinazzi (ITA), Alfa Romeo, 26,398. 11. Latifi (CAN), Williams, 27,135. 12. Vettel (GER), Ferrari, 28,452. 13. Stroll (CAN), Racing Point, 29,163. 14. Grosjean (FRA/SUI), Haas, 32,935. 15. Albon (THA), Red Bull, 57,284. – Ausfälle. Gasly (FRA), AlphaTauri (8. Runde/5. Platz): Hydraulik. Ocon (FRA), Renault (27./16.): Getriebe. Magnussen (DEN), Haas (47./18.): Kopfschmerzen. Verstappen (NED), Red Bull (50./2.): Reifenschaden. Russell (GBR), Williams (51./10.): Unfall.
Fehler gefunden?Jetzt melden.