Pussy Riot drohen drei Jahre Lagerhaft
Im Prozess gegen die feministische Protestband hat die Moskauer Staatsanwaltschaft drei Jahre Lagerhaft gefordert – für Rowdytum aus religiösem Hass. EU und Deutschland zeigen sich besorgt.
Im Prozess gegen die drei Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot hat die Staatsanwaltschaft eine Strafe von jeweils drei Jahren Lagerhaft gefordert. Staatsanwalt Alexander Nikiforow sagte, ein solches Strafmass würde den Umstand berücksichtigen, dass es sich bei zwei der drei Angeklagten um jünge Mütter handele. Er versuchte, die geforderte Strafe als mild darzustellen. Den Punk-Rockerinnen drohten wegen des Vorwurfs des Rowdytums bis zu sieben Jahre Haft. Unterdessen bekamen die Angeklagten weitere Unterstützung von prominenter Seite: Popstar Madonna forderte ihre Freilassung.
Das ursprünglich für diese Woche angekündigte Urteil wird nun am 17. August erwartet. Den drei Punk-Rockerinnen im Alter von 23, 24 und 29 Jahren wird vorgeworfen, einen Monat vor der russischen Präsidentenwahl die Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale gestürmt und Wladimir Putin von der Kanzel herab verunglimpft zu haben. Das Vorgehen der Behörden, insbesondere die seit fünf Monaten andauernde Inhaftierung der Frauen, ist international scharf kritisiert worden.
EU und Deutschland besorgt
Die Europäische Union und die deutsche Regierung zeigten sich besorgt über den Prozess, den Menschenrechtler als beispiellosen Justizskandal zur Einschüchterung der Opposition kritisieren. Es gehe um «Unregelmässigkeiten» seit der Verhaftung der drei Frauen im März ebenso wie um die Umstände der Untersuchungshaft und das Tempo des Gerichtsverfahrens, sagte eine Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. «Wir sind auch besorgt über Berichte über zunehmende Einschüchterung von Anwälten, Journalisten und möglichen Zeugen», führte sie aus.
Die EU, die das Gerichtsverfahren durch Diplomaten beobachte, fordere Russland auf, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen und ein faires Verfahren zu garantieren. «Die EU wird diesen Fall sehr genau weiter verfolgen», sagte Ashtons Sprecherin.
Unterstützung aus der Musikwelt
«Ich bin für die freie Meinungsäusserung und gegen Zensur und hoffe, dass die Richter Nachsicht zeigen», sagte Madonna am Montag während ihrer Russland-Tour der Nachrichtenagentur AP. Vor ihr hatten sich bereits andere bekannte Vertreter der Musikwelt für die Freilassung der drei Angeklagten ausgesprochen, darunter Pete Townshend von The Who und Neil Tennant von den Pet Shop Boys.
Auch der inhaftierte Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski meldete sich zugunsten der Musikerinnen zu Wort. Es sei schmerzlich zu sehen, was im Gericht geschehe, hiess es in einer am Montag von seinen Anwälten veröffentlichten Erklärung. «Das Wort 'vor Gericht gestellt' kann hier nur im Sinn einer mittelalterlichen Inquisition verwendet werden», erklärte Chodorkowski. Der Fall sei eine Schande für ein Land weltbekannter Humanisten und Wissenschaftler, «das sich rasch in eine rückständige asiatische Provinz» verwandele.
Chodorkowski wurde selbst wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung zu langjähriger Haft verurteilt. Kritiker vermuteten, dass gegen ihn vorgegangen wurde, weil er politische Ambitionen gegen Präsident Putin verfolgte.
Fall hat russische Gesellschaft tief gespalten
Der Fall Pussy Riot hat die russische Gesellschaft tief gespalten. Die russisch-orthodoxe Kirche erklärte, die Musikerinnen hätten eine Anklage wegen ihrer «blasphemischen» Tat verdient. Allerdings unterzeichneten auch Tausende Gläubige eine Petition, in der die Kirche zur Vergebung aufgerufen wird.
Die Bandmitglieder selbst erklärten, dass sie mit ihrer Aktion keine religiösen Gefühle verletzen wollten. Sie hätten ihre Verärgerung darüber zum Ausdruck bringen wollen, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill, die Regierung Putins unterstütze. Die Staatsanwaltschaft hielt dagegen, die Aktion der Punk-Rockerinnen sei nicht politisch motiviert gewesen. Die Angeklagten hätten stattdessen versucht, «Traditionen und Dogmen abzuwerten», sagte Staatsanwalt Nikiforow am Dienstag.
Angeklagte über Äusserung von Anwältin amüsiert
Eine Anwältin der Angestellten der Christus-Erlöser-Kathedrale, die in dem Fall um Pussy Riot als geschädigte Partei betrachtet wurden, äusserte am Dienstag ihre Unterstützung für das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmass. Rowdytum habe in Russland meistens mit einem betrunkenen Zustand der Verantwortlichen zu tun, die ihr Verhalten häufig bereuten, sagte Anwältin Larissa Pawlowa. Die angeklagten Pussy-Riot-Frauen hätten ihren Auftritt in der Kirche hingegen «gründlich» geplant und geübt und sie «waren sich ihrer Tat bewusst».
Als Pawlowa sagte, dass Feminismus in Russland nicht mit dem orthodoxen Glauben zu vereinbaren sei, reagierte eine der angeklagten Punk-Rockerinnen mit leisem Lachen.
«Zurück ins Mittelalter»
Die Anwältin der Pussy-Riot-Mitglieder, Wioletta Wolkowa, brachte vor Gericht den Vorwurf ihrer Mandantinnen vor, wonach diese während der Dauer des Prozesses an Schlaf- und Nahrungsentzug gelitten hätten. Sie sprach in diesem Zusammenhang von «Folter». «In diesem Prozess hätten die Behörden und nicht die Mädchen der russisch-orthodoxen Kirche einen niederschmetternden Schlag versetzt, sagte Wolkowa. »Die Zeit hat kehrtgemacht, zurück ins Mittelalter.«
Der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz kritisierte die geforderte Haftstrafe für die Bandmitglieder. »Der Antrag der Staatsanwaltschaft erinnert an mittelalterliche Hexenverfolgung«, erklärte Schulz am Dienstag. »Einem absurden und rechtswidrigen Verfahren soll nun die bereits zu Prozessbeginn geforderte harte Strafe für die drei jungen Frauen folgen. Wenn diese Strafe dem von Präsident Putin vorgegebenen 'milden Urteil' entspricht, ist das blanker Zynismus«, sagte der Grünen-Politiker.
SDA/kpn/ses
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