Pro und kontra SRG: Das Gewitter auf Twitter
Der Abstimmungskampf zu No Billag wird auf Social Media so erbittert geführt wie nie – die Befürworter der Initiative zeigen sich dabei offener gegenüber ihren Gegnern als umgekehrt

Thomas Läubli und Rolf Schweizer haben vieles gemeinsam. Sie sind beide männlich, mittleren Alters, sie leben in der Schweiz und sind äusserst aktive Social-Media-Nutzer, genauer: der Internet-Plattform Twitter, wo User Mini-Texte mit maximal 280 Zeichen veröffentlichen. Die Herren publizieren dort sogar mehrheitlich zum selben Thema: zur No-Billag-Abstimmung. Zählt man die über 1300 No-Billag-Kurznachrichten von Schweizer und Läubli zusammen, liesse sich damit locker ein 100-seitiges Taschenbuch füllen. Läubli und Schweizer gehören damit zu den aktivsten Bürgern, die sich im Internet bereits zu No Billag geäussert haben.
Kennen gelernt haben sich die beiden noch nie. Sie haben daran wohl auch kein Interesse. Der eine, Läubli, ist ein passionierter Gegner der Initiative. Seit Monaten verschickt er Kurznachrichten wie: «Die Libertären treiben nicht nur bei No Billag ihr Unwesen. Im Kanton Zürich wird die Wasserversorgung einer Privatisierung unterzogen. Damit sind CVP, FDP, GLP und SVP für normale Menschen absolut unwählbar geworden.» Der andere, Rolf Schweizer, sitzt im Lager der No-Billag-Befürworter. Er schreibt: «Einen Vorteil hat die Abstimmung ja. Man sieht deutlich, wie überfordert die ‹Beamten› der SRG sind, wenn es ihnen an den Kragen geht. Und das hört jetzt nicht mehr auf. Die SRG ist am Ende, sie wissen es nur noch nicht.»
Gegenseitig lesen Schweizer und Läubli ihre Texte kaum. Sie abonnieren meist nur Kurznachrichten von Leuten, die derselben Meinung sind wie sie selber. Das Verhalten ist typisch für viele, die für oder gegen die No-Billag-Initiative schreiben. Das zeigt eine Analyse von 60'000 Texten, die von September 2017 bis Januar 2018 bei Twitter zum Thema No Billag publiziert wurden.
Von einer echten Debatte ist auf Social Media wenig zu spüren. Dabei tobt der Abstimmungskampf zu No Billag bereits seit letztem Oktober. Er ist damit der längste, heftigste und emotionalste Abstimmungskampf, den die Schweiz je erlebt hat. Bei Social Media war das Resultat vor allem die Bildung von Informations-Filterblasen. Der Begriff bezeichnet die Neigung von immer mehr Internetdiensten, den Nutzern zunehmend nur Inhalte anzuzeigen, die mit deren Weltanschauung übereinstimmen. Der Internet-Aktivist Eli Pariser hat den Begriff schon vor sieben Jahren geprägt; im andauernden NoBillag-Abstimmungskampf ist er so gültig wie nie zuvor.

Für die Analyse der SonntagsZeitung wurden die 46 aktivsten Pro-No-Billag-Twitter-Konten herausgesucht und mit den 46 Konten verglichen, deren Besitzer die Initiative am vehementesten ablehnen. Eruiert wurden diese Konten durch den Statistik-Blog Politan, der unter anderem von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Statistischen Amtes der Stadt Zürich und der Universität Zürich erstellt wird. Mithilfe eines Computer-Algorithmus haben die Wissenschaftler die Kurzmeldungen in zwei Gruppen sortiert: in Anti-No-Billag- und in Pro-No-Billag-Texte. Aufgrund dieser Analyse wurden auch die Nutzerkonten klassifiziert.
Mit diesen Ergebnissen hat die SonntagsZeitung die Frage untersucht: Leben die No-Billag-Gegner und -Befürworter bei Social Media tatsächlich in Parallelwelten, die keinen Austausch miteinander pflegen?
Das beliebteste und damit einflussreichste Twitter-Konto der Initiativgegner ist der offizielle Kanal des Nein-Komitees: «NoSendeschluss». Auf Platz zwei folgt der persönliche Account der Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Sie schreibt Sachen wie: «Eigentlich braucht die SRF-‹Arena› heute keine Gegner, die Befürworter demontieren sich ganz allein. Nein zu No Billag, so was noch nie erlebt.» Auf Platz drei kommt das Konto der Operation Libero: «Viktor Giacobbo versteht nicht, weshalb die No-Billag-Initiative gegen die Idee der Willensnation Schweiz die Abrissbirne schwingt. Wir auch nicht. Stimme auch du am 4. März Nein.»
Bei den Befürwortern gehört das einflussreichste Konto dem Initiativ-Komitee, gefolgt vom anonymen Konto @person_tw: «Make Medienvielfalt Great Again! Mit einem Ja zu No Billag!» Auf Platz drei kommt der SVP-Nationalrat Claudio Zanetti.

Die Schnittmenge abonnierter Konten von Gegnern und Befürwortern von No Billag liegt bei nur 17 Prozent. Auffällig sind zum Beispiel der Twitter-Account des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse oder die Accounts der bürgerlichen Politiker Gerhard Pfister (CVP) und Christa Markwalder (FDP). Ihnen folgen ähnlich viele Befürworter wie Gegner der Initiative. Auch das Twitter-Konto dieser Zeitung erreicht gleichermassen Gegner und Befürworter. Doch das sind die Ausnahmen.
Die Filterblasen sind nicht gleich dicht
In der Regel sind die No-Billag-Befürworter an anderen Befürwortern interessiert; und die Gegner an anderen Gegnern. Social-Media-Nutzer verhalten sich damit weniger wie mündige Bürger, die den Diskurs suchen, sondern vielmehr wie Herdentiere.
Die Analyse zeigt aber auch: Die Filterblasen der politischen Gegner sind nicht gleich dicht. Befürworter der Initiative sind mehr an Meinungen der anderen Seite interessiert als umgekehrt. So haben von den 46 berücksichtigten No-Billag-Befürwortern immerhin 13 die Meldungen der No-Billag-Gegnerin SP-Nationalrätin Badran abonniert, viele folgen auch den Politologen und No-Billag-Gegnern Mark Balsiger oder Claude Longchamp. Vergleichbare Konten auf der politischen Gegenseite wie dasjenige von SVP-Nationalrat Zanetti oder von «Weltwoche»-Autor Alex Baur kommen auf 8 respektive 4 No-Billag-Gegner, die ihre Texte verfolgen.
Über alle Konten gerechnet, ist das Ergebnis eindeutig: Die Befürworter der Initiative verfolgen viermal mehr Konten, die mit den Gegnern in Verbindung stehen, als umgekehrt.

Für SVP-Nationalrat Claudio Zanetti kommt das Ergebnis nicht überraschend. Er sagt: «Das Lager, das die No-Billag-Initiative ablehnt, ist mit dem linken Mainstream verbunden.» Innerhalb dieses Biotops sei wichtig, dass alle dem gleichen Narrativ folgten. Wie Künstler und Musiker im letzten Herbst dem Thema begegneten, sei eine Illustration davon. «Zuerst hielten sie sich schweigend zurück», sagt Zanetti, «und dann wurden sie, aufgefordert durch die Medien, durch Gruppendruck auf Kurs getrimmt.» In linken Kreisen habe Freiheit schon immer im Recht bestanden, im Gleichschritt mitzumarschieren. Da sei es gar nicht nötig, sich mit den Argumenten des gegnerischen Lagers auseinanderzusetzen. «Wozu auch?», fragt Zanetti ironisch.
Für den Online-Kampagnen-Experten Daniel Graf ist die grössere Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern vielmehr aus der Not heraus geboren. Graf sagt: «Die Offenheit der Befürworter ist ein Zwang, sicher keine Wahl.» Nur so könnten sie neue Zielgruppen beackern, wenn No Billag erfolgreich sein soll. Graf sagt: «Die Gegnerschaft hingegen spielt die Rolle der Burgherren, die bei einem Ansturm einfach die Zugbrücke hochziehen und sich auch nicht auf die Debatte einlassen wollen, weil diese Scharmützel der No-Billag-Seite zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen.»

Die einflussreichsten Konten zeigten die David-gegen-Goliath-Machtverhältnisse klar auf, so Graf weiter: Badran, Projer, Giacobbo seien Twitter-Shootingstars und Meinungsmacher. Auf der anderen Seite seien es fast nur «Underdogs», die zwar ab und zu in Kontroversen eine Sternstunde hätten, aber sonst kaum eine Rolle spielten im helvetischen Social-Media-Universum. «Ihr gemeinsames Markenzeichen ist die Provokation», sagt Graf.
«Viele Befürworter schreiben unter Pseudonym»
Der Community-Experte Christoph Hess weist darauf hin, dass es bei Twitter schlicht mehr NoBillag-Gegner gebe als Befürworter. Tatsächlich wird das Social-Netzwerk in der Schweiz von einem eher linken, urbanen Publikum genutzt. Hess sagt weiter: «Auffällig ist, dass viele der aktivsten No-Billag-Befürworter nicht unter richtigem Namen schreiben, sondern unter Pseudonym.»
Das tut einer der beiden eingangs erwähnten Herren auch: Rolf Schweizer wollte sich auf Anfrage nicht dazu äussern, warum er seinen Twitter-Account offenbar anonym und nicht unter dem richtigen Namen führt. Er wollte auch nicht darüber reden, warum er ein Problem mit der SRG hat oder warum er sich im Internet vor allem mit Menschen umgibt, die wie er der Meinung sind, dass die SRG wegmüsse.
Schweizer geniesst es, seine Meinung täglich via Twitter mit Tausenden anderen zu teilen – nur öffentlich darüber reden will er nicht. Es ist eine weitere grosse Gemeinsamkeit, die der No-Billag-Befürworter Rolf Schweizer mit seinem Kontrapart, dem No-Billag-Gegner Thomas Läubli, hat. Auch Läubli twittert lieber im Internet, als darüber zu reden.
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