Polizeieinsatz bei Reitschule: Nause spricht von «Propaganda»
Ein Polizeiauto fuhr am Freitagabend mehrere Meter bei der Reitschule auf dem Trottoir. Die Polizei muss sich nun harsche Kritik anhören. Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause weist diese zurück.

Der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause ist am Telefon hörbar verärgert. Zur Fahrt eines zivilen Polizeiautos auf das Trottoir vor der Reitschule vom Freitagabend will er sich nur knapp äussern: «Ich habe das von der Reitschule veröffentlichte Video mehrmals angeschaut. Darin sehe ich, dass Vermummte Straftaten begehen. Die Darstellung der Reitschule, dass es sich um eine Amokfahrt der Kantonspolizei handle, weise ich in aller Form zurück. Das ist Propaganda.»
Auf die Nachfrage, ob das zivile Polizeiauto seiner Ansicht nach nicht zu schnell über das Trottoir gefahren sei und somit Reitschule-Besucher gefährdet habe, will er sich nicht äussern. Er betont aber, dass am Freitagabend keine Ambulanz vorgefahren sei und dass die Behörden keine Kenntnis von verletzten Personen hätten. Sollte es tatsächlich Verletzte gegeben haben, stehe es diesen frei, Anzeige zu erstatten.
Quelle: RJG Bern Facebook (aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden die Gesichter der Polizisten unkenntlich gemacht)
Sprayereien als Auslöser
Der Vorfall vom Freitagabend begann mit einer Sprayaktion: Eine Gruppe von Sprayern hat sich dazu auf die Neubrückstrasse begeben, die Busspur gesperrt und einen Graffito für die Kommunistin Ivana Hoffmann auf die Mauer gesprüht. Die Deutsche ist 2015 in Syrien im Krieg gegen den IS gestorben.
Gemäss der Revolutionären Jugendgruppe (RJG) sei die Gruppe ruhig geblieben, habe mit dem Sprayen aufgehört und sich zurückgezogen. Die Polizei habe Sprüherinnen und Sprüher anhalten wollen und sei dazu mit dem Auto aufs Trottoir gefahren. Zum Zeitpunkt der Verfolgung hätten sich zahlreiche Menschen auf dem Trottoir befunden. Die Polizei, so die RJG weiter, habe bewusst Unbeteiligte gefährdet und sei unnötig lange auf dem Trottoir weitergefahren.
Auf dem Video ohne Tonspur, das die Reitschule veröffentlicht hat, ist zu sehen, wie das zivile Polizeifahrzeug auf das Trottoir fährt und darauf einige Meter zurücklegt. Dabei folgen ihm einzelne vermummte Personen. Eine Flasche fliegt gegen das Auto. Im Hintergrund sind eine Handvoll Personen zu sehen, die dem Auto ausweichen. Laut der Reitschule sei dabei eine Person am Bein verletzt worden. Die Polizei betont, dass bei ihr keine Meldung über Verletzte eingegangen sei.
Die Medienstelle wollte gestern keine weiteren Aussagen zum Vorfall machen, auch Fragen nach der Angemessenheit und der Zweckmässigkeit des Einsatzes nicht beantworten. Stefan Blättler, der Kommandant der Kantonspolizei, stand für Auskünfte nicht zur Verfügung.
Polizei sah es anders
Die Kantonspolizei bestätigte am Samstag den Einsatz an der Neubrückstrasse, schilderte die Vorgänge jedoch anders: Laut Mediensprecherin Sarah Wahlen hat eine Patrouille der Kantonspolizei vermummte Personen beim Sprayen im Bereich der Neubrückstrasse entdeckt.
Als sich das zivile Polizeifahrzeug den Vermummten genähert habe, hätten sich die meisten von ihnen in Richtung der Reitschule zurückgezogen. Eine Person habe jedoch weitergesprayt und gegen das Fahrzeug geschlagen.
Die Patrouille versuchte, diese Person anzuhalten. Als sich das Polizeifahrzeug ihr näherte, sei die Person auch in Richtung Reitschule geflohen. Die Polizisten hätten daraufhin versucht, der Person mit dem Auto zu folgen. Dazu seien sie auf das Trottoir gefahren, um die Person anschliessend zu Fuss anzuhalten.
«Als sich das Polizeifahrzeug auf dem Trottoir befand, stellten sich mehrere vermummte Personen in den Weg und bewarfen es mit Gegenständen», sagt Sarah Wahlen. Um niemanden zu gefährden, hätten die Polizisten ihren Einsatz abgebrochen. Im Schritttempo seien sie weitergefahren und sobald wie möglich auf die Strasse eingebogen.
Reitschule widerspricht
In einer Medienmitteilung vom Samstagabend widerspricht die Reitschule den Darstellungen vehement. Die Polizei sei gezielt in eine Gruppe von Menschen auf dem Trottoir gefahren. Viele hätten sich mit einem Sprung zur Seite retten müssen, um nicht vom Auto erfasst zu werden.
Die Polizei betonte gestern, dass bei ihr keine Meldungen von Verletzten eingegangen seien. Dem widerspricht die Reitschule: Es habe sogar mehrere Verletzte gegeben, schreibt sie. Eine Person sei zwischen dem Polizeiauto und einer Mauer eingeklemmt und dabei am Knie verletzt worden. Man erwäge, Strafanzeige einzureichen.
SP verlangt Untersuchung
Wie üblich nach solchen Vorfällen beginnt nun die politische Aufarbeitung. Die SP der Stadt Bern zeigte sich in einer Mitteilung vom Sonntag «besorgt» über die Geschehnisse vor der Reitschule. Es sei unklar, was die Polizei mit ihrem Vorgehen bezweckt habe. «Der Vorfall muss von einer unabhängigen Instanz untersucht und daraus Handlungsanweisungen für die Zukunft abgeleitet werden», fordert die Partei. Der Entscheid über die Durchführung einer unabhängigen Untersuchung müsste der Grosse Rat fällen, da der Kanton für die Polizei zuständig ist. Solche Vorstösse haben es indes schwer, eine Mehrheit zu finden, weil der Grosse Rat bürgerlich dominiert ist.
Die Juso Stadt Bern sind empört und werfen der Polizei vor, den Vorfall zu relativieren. Die Beamten hätten mit dieser Aktion schwerste Verletzungen oder sogar den Tod von Menschen hingenommen. «Wie rechtfertigt die Kantonspolizei derartige Interventionen unter Gefährdung von Leib und Leben, und wann wird sie endlich wieder unter Kontrolle gebracht?», schreiben die Juso.
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