Politikern fehlt oft eine Partei
Parteilose Politiker stellen zunehmend das Personal der Gemeinderäte, vor allem in Kleingemeinden. Dadurch könnten künftig ländliche Regionen von der kantonalen und nationalen Politik abgekoppelt werden.
Je kleiner eine Gemeinde ist, umso mehr parteilose Politiker stellen die Exekutive. Wie eine exklusive Auswertung einer Studie zeigt, trifft dies teilweise auf das Seeland, in hohem Grad aber auf den Berner Jura zu, wo die Mehrzahl der Gemeinden weniger als tausend Einwohner zählt. Die lokalen Parteien erodieren zwar schweizweit seit Ende der 80er-Jahre, doch im letzten Jahrzehnt hat sich die Entwicklung beschleunigt. Im Seeland gehören noch gut die Hälfte der Gemeinderäte einer Partei an, im Berner Jura nur noch jeder Dritte. In die Lücke springen Parteilose und Angehörige lokaler Gruppen (siehe Grafik). Vom System abgekoppelt Abgesehen von ihrer Unentbehrlichkeit, ihrem meist ausgeprägten Fachwissen und einem pragmatischen Politikstil birgt der Vormarsch der Parteilosen in kommunale Exekutiven mehr Risiken als Vorteile. Die Gemeindepolitik wird so weniger berechenbar, in den lokalen Gruppen kann sich mit jedem neuen Mitglied die politische Gewichtung verschieben. Vor allem aber birgt der Anstieg an Parteilosen eine Gefahr für Regionen, in denen die kleinen Gemeinden in der Mehrzahl sind: «In Zukunft können ganze Landstriche vom politischen System abgekoppelt werden», sagt Urs Meuli, Professor der Soziologie an der Universität und Mitautor der Studie. Kaum in Kantonalpolitik Denn für das politische System seien Parteilose verloren. «Viele Parteilose sind zumindest insofern ‹Lückenbüsser›, als sie mit ihrem Mandat kaum politische Ambitionen verbinden», schreiben die Autoren im ersten Kurzbericht zur Studie. Die Parteilosen strebten kaum eine Karriere auf überlokaler Ebene an. Und wenn, fehlt ihnen zumeist der Rückhalt der Partei, um zu reüssieren. Die einzige Parteilose im bernischen Grossen Rat, die Bielerin Monika Barth, wurden denn auch als SP-Frau gewählt. Sie verliess die Partei erst nach der Wahl. Längerfristig könnte die Entwicklung zu mehr parteiungebundenen Gemeindepolitikern gravierende Konsequenzen für ländliche Regionen haben. Ihnen fehlen zunehmend die durch eine Partei institutionalisierten Verbindungen zu den übergeordneten politischen Ebenen und dadurch der Einfluss auf deren Entscheidungen. Schaffen die Parteilosen den Sprung auch künftig nicht, sind die Regionen der kleinen Gemeinden «je länger, je mehr ausgeschlossen von der kantonalen und nationalen Politik», sagt Meuli. Hoffnung im Seeland Im Ansatz ist diese Tendenz in den Amtsbezirken Erlach und Nidau sichtbar, wo drei Viertel respektive gut die Hälfte der Gemeinden unter tausend Einwohner zählen. Aber auch im Amtsbezirk Büren gehören rund 43 Prozent der Gemeinden zu den Kleinen. Darum sind 63 bis 80 Prozent der Gemeinderäte der Seeländer Kleingemeinden parteilos. Noch ist die Situation im Seeland Hoffnung verheissend: «Überraschend wenig Parteilose regieren dort insgesamt», sagt Meuli. Dies sei auf die Vielfalt der Parteien zurückzuführen. Mehr als die Hälfte aller Exekutivpolitiker gehören derzeit einer Partei an: SVP, SP, FDP und BDP streiten um die Wählergunst. Heikel im Berner Jura Heikel ist die Situation dagegen im Berner Jura. Parteilose stellen in der Mehrheit der Gemeinden gar 83 bis 96 Prozent des Exekutivpersonals. Klein- und Kleinstgemeinden dominieren den Berner Jura, machen in Amtsbezirk Neuenstadt 80 Prozent aus, in Courtelary gut die Hälfte. Meuli hat zwei Erklärungen für die Absenz der Parteien im Berner Jura: Die SP ist schwach, stellt nur gerade 7,7 Prozent der kommunalen Exekutivvertreter. Den konservativen Parteien FDP (11,5 Prozent) und SVP (10,3 Prozent) fehlt daher ein Gegenspieler. «Es entsteht keine Dynamik», sagt Meuli. Deshalb fehle für potenzielle Neumitglieder der Ansporn, einer Partei beizutreten. Den Parteien geht langsam das Personal aus. Parteilose springen in die Lücke, damit die Gemeinderäte überhaupt noch entscheidungsfähig sind. Parlament als Parteimotor Kein Bedarf an Parteilosen besteht derzeit in den Gemeinden Lyss, Nidau und Biel. In den drei mittelgrossen bis kleinstädtischen Gemeinden versorgt ein lebendiger politischer Wettkampf die Parteien mit Nachwuchs. Es lässt sich vermuten, dass die Gemeindeparlamente die Parteienkultur belebt haben. Denn in anderen grösseren Gemeinden ohne Parlament wie Büren, Lengnau oder Brügg sitzen Parteilose oder Angehörige einer lokalen Gruppierung im Gemeinderat. In dieser Eigenschaft steht das Seeland quer zur Mehrheit der Schweizer Gemeinden: Gemäss dem Kurzbericht sind es nämlich «gerade die parlamentarisch verfassten Gemeinden, die mehr Parteilose in den Gemeindevorstand wählen». Jeannine Püntener/bt >
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