«OMG! Sie haben das Gottesteilchen!»
Die Medien schwärmen weltweit von der Entdeckung des Higgs-Bosons, des kleinsten Atomteilchens. Manche weisen zwar noch auf 0,0001 Prozent Unsicherheit hin – aber halten sich selbst nicht daran.
In einem sind sich die Weltmedien einig: Was die Cern-Physiker da entdeckt haben, nennen fast alle «das Gottesteilchen». Dabei war das damals nur ein Werbegag für ein Buch des Physikers Leon Lederman, der das Higgs-Boson «goddam particle» (gottverdammtes Teilchen) schimpfte – woraus sein Lektor «God particle» machte.
Jetzt ist es also – ziemlich sicher – entdeckt. Passenderweise jubelt die britische Boulevardzeitung «Sun»: «OMG!» – die Abkürzung für «Oh, my God!» Die Zeitung stellt sich düster vor, was bei einem Fehlschlag passiert wäre: «Wenn sie das Teilchen nicht entdeckt hätten, dann hätte man das ganze Standardmodell des Atoms in Fetzen reissen und zum Reissbrett zurückkehren können.» Nicht auszudenken.
«Higgs-Fahndung»
Die deutsche «Bild» bleibt uncharakteristisch zahm: «Es ist eine kleine Sensation.» Was, bloss eine kleine? Die Kollegen von «Spiegel online» sind dagegen, wie wir Schweizer sagen würden, gottenfroh, hat man den «Exoten im Teilchen-Zoo» endlich geschnappt: «Was sich hier anbahnt, ist für mich bisher die Entdeckung des Jahrhunderts», zitiert der «Spiegel» Joachim Mnich, den Forschungsdirektor des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (Desy).
Das Desy-Institut selbst vermeldet übrigens auf seiner Website noch keine Entdeckung: «Higgs-Fahndung» steht da. Nach dem Higgs-Boson wird also immer noch gefahndet. Das dafür in grossen Buchstaben.
Der ältere Herr, der 1964 zum ersten Mal in der nackten Theorie ein Teilchen der Teilchen entwickelte, steht nun im Mittelpunkt. «Peter Higgs kriegt endlich sein Boson», schreibt die französische «Libération». Die Landsleute von «Le Monde» bleiben im Titel noch leicht vorsichtig: «Das Higgs-Boson entdeckt, mit 99,9999 Prozent Gewissheit». Aber im ersten Satz lassen sie jede Vorsicht fahren: «Diesmal gibt es keinen Zweifel.»
«Teilchenfieber»
Von wegen Bestätigung alter Theorien: Das entdeckte Teilchen dürfe ruhig alles auf den Kopf stellen, findet «Le Monde»: «Die kleinste Anomalie, der kleinste Unterschied zum Standard-Boson, zu jenem, das in der Theorie definiert wurde, wäre weniger problematisch als vielmehr enorm aufregend. Das würde den Weg bereiten für eine Theorie jenseits der bestehenden.»
Unter dem Titel «Im Teilchenfieber» beschreibt die «Süddeutsche Zeitung» die Stimmung in der Fachwelt: «Teilchenphysiker konnten ihre Aufregung in den vergangenen Tagen kaum mehr unterdrücken. Ob man sie traf oder Blogbeiträge im Internet las: Mit fast kindlicher Vorfreude kreisten die Gespräche um ein ‹Seminar›, das an diesem Mittwoch am Forschungszentrum Cern abgehalten werden soll. Ihr Überschwang liess ahnen, dass der Begriff Seminar eine masslose Untertreibung ist.»
Das sieht auch die «New York Times» so: «Das könnte der Heilige Gral der Physik sein», schwärmt sie, «ein Teilchen, das die physische Welt neu definiert.» Eine Bestätigung seiner Entdeckung sei für heutige Physiker geradezu «ein Rendezvous mit dem Schicksal». Und sie hätten lange darauf gewartet: «Wohl seit letztem Dezember schon hielten Physiker den Atem an und stellten den Champagner kühl. Seit zwei Teams von je etwa 3000 Forschern die Trümmer der Urknall-artigen Feuerbälle aus den letzten Proton-Kollisionen sortierten.»
Lieber gemütlich ausschlafen
Trotz aller grossen Worte: Manche nehmen es ganz easy. Der US-Mathematiker und umstrittener String-Theorie-Kritiker Peter Woit kündigte an, er werde heute gemütlich ausschlafen und dann frühstücken. «Schliesslich haben wir Amerikaner Feiertag.» Aber er wünscht den Kollegen in Europa eine gute Party: «Ich hoffe, es gibt viel Champagner.» Sein Motto für heute: «Happy Higgs Day!»
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