Ode an die Nations League
Länderspiele machen plötzlich wieder Spass. Da ist es auch herzlich egal, dass kaum jemand den Turniermodus versteht.

Sie haben bei der Uefa schon gewusst, was sie da auf die fussballinteressierte Menschheit loslassen. Also haben die Leute des europäischen Verbands ein paar Erklärvideos zur Nations League ins Netz gestellt. Zusammen dauern sie 3 Minuten und 20 Sekunden. Das ist gar nicht so kurz, wenn man bedenkt, dass die beliebtesten Videos zur Evolutionstheorie zwischen 2 und 3 Minuten lang sind.
Nein, kein Mensch ohne Hochschulabschluss in Teilchenphysik versteht den Modus des neuen Wettbewerbs auf Anhieb. Aber das ist dann ja herzlich egal. Weil sie nicht aufgeben, die Schweizer. Obwohl sie rasch 0:2 hinten liegen gegen Belgien. Am Ende feiern sie einen der verrücktesten Siege in ihrer Länderspielgeschichte.
Video: Seferovic trifft zum 5:2
Und weil auch die Holländer nicht aufgeben. Obwohl sie rasch 0:2 hinten liegen in Deutschland. Am Ende bejubeln sie in der 91. Minute das 2:2, als wäre es ein Sieg. Oder die Engländer: Sie drehen ein 0:1 gegen Kroatien in der letzten Viertelstunde.
Viele Spiele dieser Nations League machen einfach Spass. Viel mehr Spass jedenfalls als jedes internationale Testspiel, das wir ohne diese Neuerfindung über uns hätten ergehen lassen. Wer braucht schon eine Partie zwischen der Schweiz und Katar vor 4200 entgeisterten Zuschauern? Die Spieler jedenfalls ganz offensichtlich nicht. Das haben sie mit ihrem lustlosen Auftritt in Lugano recht eindrücklich unter Beweis gestellt.
Freundschaftsspiele wirken heute wie ein Relikt aus einer Zeit, als Telefone Wählscheiben hatten und mit Zeitungen noch Geld verdient wurde. Nachdem Josef «Seppe» Hügi 1960 bei einem «freundschaftlichen Länderkampf» gegen Frankreich vor 40'000 Zuschauern fünf Tore erzielt hatte, sagte er vor dem nächsten Training mit dem FC Basel: «So, jetzt mache ich nichts mehr. Verbessern kann ich mich sowieso nicht mehr.» Damals hatten Test- und Wettbewerbsspiele von Nationalmannschaften noch einen praktisch gleich hohen Stellenwert.
Video: Später Tiefschlag für Deutschland
Heute gilt für die Profis bei Freundschaftsspielen: Hymne abwarten, ja keine Verletzung riskieren – und auf schnellstem Weg zurück zum Club, wo das wirkliche Leben wartet. Wer will es ihnen verübeln, wenn einer wie Granit Xhaka pro Saison alleine mit seinem Verein pro Saison 48 Spiele absolviert?
Indem sie die Zahl der Testpartien auf das unvermeidbare Minimum reduziert, gibt die Nations League dem Länderspiel deswegen auch so etwas wie verlorene Würde zurück. Aber nicht nur das: Sie bietet sogar bessere Unterhaltung als EM- und WM-Qualifikationen. Natürlich ist es für die kleineren Nationen schön, wenn sie dort auch einmal gegen die ganz Grossen antreten dürfen. Letztlich aber sieht das dann doch ermüdend oft so aus: Der Underdog verteidigt mit Mann und Maus, der Favorit müht sich mit mehr oder weniger grosser Unlust darum, seine Pflicht zu erfüllen.
Im neuen Wettbewerb dagegen treten Mannschaften gegeneinander an, die sich auf Augenhöhe begegnen. Wie sonst hätte der Schweizer Trainer Bernard Challandes mit seinen wackeren Kosovaren gegen Aserbeidschan ein echtes Finalspiel vor ausverkauftem Haus erleben dürfen? Wann hätte Gibraltar einmal zwei Spiele im selben Wettbewerb gewinnen sollen? Und sind wir ehrlich: Ein klein wenig lustig ist es schon auch, dass Joachim Löw in die Annalen eingeht als Weltmeister-Trainer, in dessen Lebenslauf nun auch noch ein Abstieg mit Deutschland steht.
Der Topskorer der höchsten Liga der Nations League heisst Haris Seferovic. Alleine dafür hat sich die Erfindung doch schon gelohnt.
Miesepeter dürfen gerne einwerfen, der neue Wettbewerb habe keinen echten Wert. Aber sie verkennen dabei eines: Vermutlich sind die Spiele zwischen den Nationen in der höchsten Liga genau deswegen so unterhaltsam, weil die Nations League kein grosses Renommee besitzt. An einer Europa- oder Weltmeisterschaft steht so viel auf dem Spiel, dass die meisten Teams in erster Linie nicht um den Sieg, sondern gegen die Niederlage spielen.
Die Nations League dagegen bietet genau die richtige Mischung, um auch einmal etwas zu riskieren: Die Spieler haben einen Anreiz, sich zu engagieren, weil es Ranglisten gibt, Auf- und Absteiger und sogar die kleine Chance, sich irgendwie für die EM zu qualifizieren. Andererseits ist es aber auch kein Weltuntergang, wenn der Aufstieg oder das Turnier der besten vier verpasst wird. Das ist genau die Atmosphäre, in der man mal aus einem 0:2 noch ein 2:2 macht wie die Holländer. Oder gleich ein 5:2 wie die Schweiz.
Wer jetzt immer noch nicht überzeugt ist von der Grossartigkeit des Wettbewerbs, sollte sich kurz dies vor Augen halten: Der Topskorer der höchsten Liga der Nations League heisst Haris Seferovic. Alleine dafür hat sich die Erfindung doch schon gelohnt.
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