Foto-Adventskalender, Tag 10O Tannenbäumchen
Vor achtzig Jahren entstand diese augenzwinkernde Foto-Reportage über Menschen und Tännchen und deren Verwandlung zur Ware.

«Da kommen sie daher, frühmorgens im Nebel, bewaffnet mit langen Messern und einem guten Auge für die schönsten Bäume». So eindrucksvoll eröffnet der Berner Fotograf Eugen Thierstein seinen Bericht vom Holen der Tannenbäumchen im Wald im Dezember 1941, als beträten ein paar gedungene Verbrecher die Szene. Er fährt fort: «Jedes Jahr wiederholt es sich neu: erst merken wir kaum, dass es auf Weihnachten zugeht. Blatt für Blatt fliegt vom Kalender. 5. Dezember, 8., 15.; endlich beginnt sich so etwas wie ein vorweihnächtliches Gefühl zu regen und plötzlich, fast mit einem Schlag fühlen wirs: es weihnachtet. Das ist der Moment, wo wir die ersten Christbaummärkte begegnen, die unsere Strassen so herrlich, fast möchte man sagen festlich dekorieren. Was es aber an Arbeit und Mühe kostet, bis diese alljährlich nur einmal angebotene Ware verkaufsbereit hier in der Stadt steht, weiss kaum einer», schrieb Eugen Thierstein.


Eugen Thierstein fährt in seinem Bericht fort: «Frühmorgens folge ich dem Bannwart in den dunklen Forst. An einem vereinbarten Ort treffen wir, in diesem fahlen Morgenlicht kaum erkennbar, einige Bauern, die heute ihre Tannenbäume schneiden wollen. Seit Jahren schon besorgen sie den Chrisbaummarkt in der Bundesgasse. Unter ihnen ein junger Handwerker, der gleich mit dem Seitenwagen angefahren ist. Sein durch die Notlage etwas flauer Geschäftsgang zwingt ihn zu einem Nebenverdienst. Da kommt das Baumgeschäft gerade willkommen. Der Förster weist jedem der Interessenten einen ganz bestimmten Platz an, dort darf er sich die ihm am schönsten scheinenden Bäumchen aussuchen und schlagen. Da hat es grosse und kleine, junge und alte, dickästige und dünnästige, fette und magere. Das geübte Auge des erfahrenen Händlers findet bald die gangbarsten Grössen heraus, denn er weiss, was die Leute in der Stadt am liebsten haben.»


Dann: «Einige kräftige Schnitte mit der Säge und schon steht ein junges, zartes Bäumchen weniger in dem schönen Wald. Fast mit Bedauern sehe ich wie dutzende, ja hunderte der besten Exemplare geknickt, abgesägt, tot am Boden liegen. Der Förster liest mir meine Frage aus den Augen und beschwichtigt: Nei, nei, numme kei Angscht, dä Wald schtirbt nid us, das hie isch e Chrischtboum-Kultur. – Also vorgesorgt. Kilometerlang zieht sich ein dunkelgrüner Streifen dem Waldrand entlang, alles junge Tännchen. Sonst wäre es nie möglich, jedes Jahr mehrere Tausend Stück auszurotten, um sie in der Stadt zu verkaufen.»


Eugen Thierstein berichtet weiter: «Unser Handwerker hat bald ein ganzes Fuder voll geschnitten und ist am Aufladen. Lustig ist es zu sehen, wie er mit dem meterhoch beladenen Seitenwagen vorsichtig der Stadt zu gondelt, um seine seltene Fracht ohne Zwischenfall heimzubringen. Dort angelangt, beginnt die Arbeit eigentlich erst. Das Christbäumchen braucht auch einen Fuss, um auf dem Weihnachtstisch richtig stehen zu können. Äste werden, wenn nötig, versetzt, um dem Baum ein gefälliges Aussehen zu verleihen.
Dies Jahr wollen wir daran denken, wenn wir an einem kalten Dezembertag verheissungsvoll ein Tannli heimbringen und wenn unsere Kinder in der heiligen Nacht bei Kerzenlicht das Lied anstimmen:
Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen . . . »


Der Text und die Bilder von Eugen Thierstein erschienen in einer Ausgabe der Wochenzeitschrift «Berner Woche» vom Dezember 1941. Fotografen machten damals nicht selten beides, Bilder und Bericht. Es ist interessant Eugen Thierstein selber sprechen zu hören, oder zumindest zu lesen, was er geschrieben hat, um zu sehen, wie er diese Dinge beurteilte. Zu jedem Foto gehört eine Geschichte, ein Kontext, mehr als nur das Bild selber, und diese gibt es nicht überall zu sehen und zu erleben. Oft haucht erst ein Wissen und die Möglichkeit, Bilder in einem Zusammenhang zu sehen, den Fotos Leben ein.

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