Nun soll die Armee die Waldbrände löschen
Nach Drohungen der EU bezeichnet Präsident Jair Bolsonaro die Brände im Amazonas jetzt als Problem. Er kündigt an, hart durchzugreifen.

Man kann es immerhin als einen kleinen Fortschritt sehen, dass Jair Bolsonaro am Donnerstag von einem «Problem» gesprochen hat. In den Tagen zuvor hatte Brasiliens Präsident stets nur abgewiegelt, wenn es um die Waldbrände ging, die im Norden seines Landes wüten. Sie haben zu Besorgnis auf der ganzen Welt geführt, im Internet wurden Bilder der Waldbrände herumgereicht, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will das Thema ganz oben auf die Tagesordnung beim G-7-Treffen setzen. In Brasilien wurde dessen Vorstoss mit Unmut aufgenommen. Es entspreche einer «kolonialen Mentalität», twitterte Bolsonaro, dass Macron die Probleme im Amazonas diskutieren wolle, ohne dabei Länder aus der Region einzuladen. Macron wolle politisches Kapital aus einer «internen Angelegenheit Brasiliens und der anderen Amazonas-Staaten» schlagen.
Damit trifft er einen Nerv bei vielen Brasilianern. Sie sehen Amazonien, das zur Hälfte auf brasilianischem Gebiet liegt, als einen nationalen Schatz, den es zwar durchaus zu schützen gilt, dessen Ausbeutung ihnen aber auch zusteht. Für Bolsonaro ist die Erschliessung des riesigen Gebiets ein Kernpunkt seiner Politik. An die Macht kam er im letzten Jahr auch durch die Unterstützung der Agrarindustrie. Zum Dank gab Bolsonaro nach dem Amtsantritt riesige Flächen zur Abholzung frei, er schwächte die Umweltschutzbehörde mit Budgetkürzungen und stellte einen Minister an ihre Spitze, der öffentlich die «hart arbeitenden» Holzfäller lobt.
Unschöne Erinnerungen
Wenn nun eine ehemalige Kolonialmacht wie Frankreich sich zu Kritik aufschwingt, ruft das unschöne Erinnerungen hervor an Zeiten, als vor allem Europa über die Belange in Lateinamerika bestimmte – und den Kontinent ausbeutete. Es ist ein alter Albtraum der Brasilianer, dass fremde Kräfte sich des Amazonas bemächtigen. Schon die brasilianische Militärdiktatur schürte diese Ängste.
Auch die Tatsache, dass sich die Kritik bisher fast ausschliesslich gegen Brasilien richtet, empfinden viele als ungerecht. Lateinamerika ist unermesslich reich an Bodenschätzen, Öl, Gas, Mineralien und Erzen, Kupfer, Blei, Zink, Lithium. Diesen Reichtum wollen neben Brasilien auch Länder wie Chile, Argentinien oder Bolivien für sich nutzen. Sie bauen Kraftwerke, Dämme, Strassen und Stauseen – Megaprojekte, die sich immer tiefer in die Natur fressen. Gleichzeitig nimmt der weltweite Hunger nach Rohstoffen zu, vor allem China hat riesigen Bedarf. Landwirtschaftliche Produktion von Soja, Palmöl oder Rindfleisch führt zu enormem Flächenfrass.
Und das Interesse an Lateinamerikas Reichtümern wächst. Vor wenigen Wochen haben sich die EU und die Staaten des Mercosur, also Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, auf das grösste Freihandelsabkommen der Welt geeinigt. Europäische Autobauer feierten den Deal, weil sie sich über neue Absatzmärkte in vorher schwer zugänglichen Ländern freuten. Im Gegenzug werden die Zollschranken für Rindfleisch aus Ländern wie Argentinien oder Brasilien gesenkt. «Cars for Cows» wurde das Abkommen deswegen genannt, Autos für Kühe, und die weiden eben im Zweifelsfall auf Land, das einmal Regenwald war.
Handelsabkommen gefährdet
Befürworter des Abkommens in der EU sagen, es sei der Hebel, um über Waldschutz überhaupt erst zu reden. «Ein Handelsabkommen mit dem Mercosur bringt das Thema der illegalen Amazonas-Abholzung auf den Verhandlungstisch», meint beispielsweise die deutsche FDP-Politikerin Sandra Weeser. Genauso sieht es die EU-Kommission.
Umweltschützer dagegen kritisieren den Deal scharf, und nach den Amazonas-Feuern mehren sich Stimmen, die einen Stopp der Verhandlungen über das Abkommen fordern. Das Lateinamerika-Hilfswerk der katholischen Kirche sieht in dem Abkommen sogar eine Ursache für die Brände. Dessen Brasilien-Experte Klemens Paffhausen sagte: «Die versprochenen niedrigeren Zölle auf Importe von Rindfleisch und Soja aus Südamerika führen zu mehr Abholzung und mehr Anbauflächen.» Die deutsche Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert gar:«Das Abkommen muss gestoppt werden.»

Irland prescht vor. Man werde keinesfalls für das Freihandelsabkommen stimmen, «falls Brasilien seinen Umweltschutzverpflichtungen nicht nachkommt», sagte gestern Ministerpräsident Leo Varadkar. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schloss sich an: «Unter diesen Umständen» könne sein Land das Abkommen nicht unterstützen. Finnland hat wegen der Waldbrände am Amazonas ein Einfuhrverbot für brasilianisches Rindfleisch in die EU ins Gespräch gebracht.
All das löst beträchtliche Unruhe in Brasilien aus: Blairo Maggi, Sojabaron und ehemaliger Agrarminister, sagte, Bolsonaros «aggressive» Rhetorik könne dem Ruf brasilianischer Produkte schaden. Und Marcello Brito, Vorsitzender der brasilianischen Agrarwirtschaft, glaubt, es sei eine Frage der Zeit, wann es zu ersten Boykotts gegen brasilianische Produkte komme.
Fehlende Ressourcen
Präsident Bolsonaro reagierte mit einem Sondertreffen seines Kabinetts. Die Frage ist allerdings, ob Brasilien überhaupt die Mittel hätte, das Feuer zu löschen. «Der Amazonas ist grösser als Europa, wie soll man da illegale Feuer bekämpfen?», sagt Bolsonaro. «Wir haben dafür nicht die Ressourcen.» Er hat nun die Entsendung von Soldaten zum Kampf gegen die verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet angeordnet. Bolsonaro erliess am Freitag ein entsprechendes Dekret - und kündigte ein hartes Durchgreifen gegen Brandstifter an.
«Wir sind eine Regierung der Null-Toleranz-Politik gegenüber der Kriminalität, und im Bereich der Umwelt ist das nicht anders», sagte der Staatschef am Freitag in einer Fernsehansprache.
Das Land hat eigentlich strenge Umweltschutzgesetze, allerdings werden diese nur selten angewandt. Amazonien ist dünn besiedelt, und oft gibt es nicht genug Beamte, um Brandstiftungen und illegale Rodungen zu verfolgen. Abholzen ist ein gutes Geschäft. Es geht auch um Landspekulation. Wer illegal ein Stück Regenwald abfackelt und Rinder darauf grasen lässt, hat gute Chancen, das Gebiet im Nachhinein als «landwirtschaftliche Nutzfläche» registrieren lassen zu können. Sind die Brände einmal gelegt, gibt es kaum Aussicht, sie zu löschen. Es fehlt tatsächlich an Feuerwehrkräften in der Region, sie haben auch keine Spezialausrüstung. Hier könnte Europa helfen.
Doch stattdessen sollen Gelder gekürzt werden: Norwegen und Deutschland haben die Finanzhilfe für den Amazonasfonds bereits gestoppt. Dessen Ziel: unter anderem der Kampf gegen Waldbrände.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch