Beliebte Formel-1-SerieNetflix steht im Verdacht, Werbeverbote für Tabak zu umgehen
Eine internationale Anti-Tabak-Lobby mit Schweizer Beteiligung erhebt schwere Vorwürfe gegen den Serien- und Filmevertreiber. Er soll junge Zuschauerinnen und Zuschauer zum Nikotinkonsum animieren.

Die Zeiten, als Marlboro Ferrari sponserte und die Rennwagen wie rot-weisse Zigarettenschachteln aussahen, sind vorbei. Doch ausgestiegen aus der Formel 1 und ihren mehr als einer Milliarde Zuschauerinnen und Zuschauern sind die Zigarettenhersteller nicht. Nur nutzen sie die Anziehungskraft des Sports heute subtiler, indirekt und unter Ausnutzung rechtlicher Grauzonen.
Die Tabakkonzerne Philip Morris and British American Tobacco investierten letztes Jahr 40 Millionen Dollar in die Formel 1 und erzielten damit eine einmalige Werbewirkung.
Jetzt hat ein Netzwerk von Gesundheits- und Wissenschaftsorganisationen zur Eindämmung des Tabakkonsums namens Stopping Tobacco Organizations and Products (Stop) zum ersten Mal die versteckte Nikotinwerbung in der Formel-1-Serie von Netflix untersucht. Zum Netzwerk gehört auch die Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention Schweiz.
Die Dokuserie «Formula 1 – Drive to Survive» geht in die fünfte Saison und ist eine der erfolgreichsten Produktionen des Streamingdienstes. Netflix deckt indessen die Zuschauerzahlen nicht auf, weshalb Stop die Werbewirkung schätzen musste.
Eine Werbewirkung von 1,1 Milliarden Minuten
Das Ergebnis verblüffte die Forscherinnen und Forscher. «Wir wussten, dass ‹Formula 1 – Drive to Survive› den Sponsoren einen gewaltigen Schub versetzte», sagt Caroline Reid, eine der Verfasserinnen der Studie. «Aber auch wir wurden vom Ausmass der auf Tabak bezogenen Inhalte überrascht.»
Die Auswertung der Serie des vergangenen Jahres zeigt gemäss Stop, dass die Hälfte der Episoden schon in der ersten Minute Inhalte mit Tabakwerbung aufwiesen und die Zuschauer im Schnitt 34 Minuten Werbung der beiden Konzerne sahen. Weltweit lag die Werbewirkung bei 1,1 Milliarden Minuten.
Mehr als 180 Länder haben seit 2005 das Abkommen der Weltgesundheitsorganisation für eine restriktive Regelung des Tabakkonsums unterzeichnet. Da die offene Werbung für Zigaretten inzwischen auch in der Formel 1 verboten ist, zielt die auch auf Netflix gut sichtbare Werbung aufs Vaping und Kautabake ab.
«Wir können nicht in private Verträge oder in Medienabkommen zwischen den Teams und ihren Sponsoren eingreifen.»
Philip Morris erfand für die Formel 1 «Mission Winnow», eine tabakfreie Diskussionsplattform, doch wurde der Versuch dieser Imagewerbung rasch als verstecktes Sponsoring durchschaut. Im vergangenen Jahr verschwand das «Mission Winnow»-Logo von den Ferrari-Wagen.
Der Automobil-Dachverband Fédération Internationale de l’Automobile (FIA), der die Formel 1 veranstaltet, erklärte, «entschieden gegen die Tabakwerbung» zu sein. Aber auch: «Wir können nicht in private Verträge oder in Medienabkommen zwischen den Teams und ihren Sponsoren eingreifen.» Der Hauptsitz der FIA befindet sich in Paris, doch die Formel-1-Rennen werden vom Zweitsitz in Genf aus organisiert.
Tabakkonzerne sind bei Formel-1-Offensive in den USA dabei
Die Verwertungsrechte für die Formel 1 gehören seit 2016 dem US-amerikanischen Medienkonzern Liberty Media. Er setzt erklärtermassen darauf, die Formel 1 zu einem amerikanischen Sport zu machen und dafür Netflix als Kanal zu nutzen.
Dass die USA ins Zentrum gerückt sind, ist kein Zufall. In keinem Land hat die Formel-1-Serie von Netflix mehr eingeschlagen als dort. 45 Prozent der Zuschauer sind Amerikaner, was umso erstaunlicher ist, als die Nascar-Rennen lange Jahre dominiert hatten.
Philip Morris hatte sich 2008 aus den USA zurückgezogen, will aber dieses Jahr mit einer E-Zigarette auf den amerikanischen Markt zurückkehren. Mit Netflix steht dafür ein idealer Kanal zur Verfügung.
Die Serie ist so erfolgreich, dass sich dieses Jahr erstmals alle Rennställe daran beteiligen. 21 der 25 Werbepartner der Formel 1 seien US-Unternehmen, sagt Christian Horner, Teamchef des Red-Bull-Rennstalls. «Netflix hat mit Formel 1 ein junges Publikum und mehr Frauen für den Sport gewonnen.» Es sei wie «die Kardashians auf Rädern».
«Formel 1 will ein jüngeres Publikum gewinnen, und das passt perfekt zu den Plänen der Zigarettenhersteller.»
Auch traditionelle Medien profitieren vom Boom. Der Sportkanal ESPN etwa konnte das Publikum für Formel-1-Rennen mehr als verdoppeln. Und zum ersten Mal finden dieses Jahr drei Rennen in den USA statt.
«Formel 1 will ein jüngeres Publikum gewinnen, und das passt perfekt zu den Plänen der Zigarettenhersteller», meint Jorge Alday, Direktor des Stop-Partners Vital Strategies, einer auf Gesundheitsthemen spezialisierten Nichtregierungsorganisation. «Netflix ist das perfekte Vehikel dafür, weil Streamingplattformen schwer zu regulieren sind. Das erlaubt den Tabakkonzernen, weltweit restriktive Vorschriften zu umgehen.»
Wie wichtig die Werbung in den elektronischen Medien für die Tabakhersteller ist, zeigte 2018 eine Studie der nicht gewinnorientierten Organisation Truth Initiative. In 79 Prozent der Fernsehserien, die bevorzugt von Jungen konsumiert werden, sind Szenen mit Rauchern und Nikotinkonsum in jeder Form zu sehen. Mehr als ein Drittel der Jungen wird gemäss der Studie durch Filme und soziale Medien zum Rauchen oder Vapen animiert.
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