«Nein, das sage ich Ihnen nicht»
175'000 Franken verdient Karin Keller-Sutter allein mit ihrem Baloise-VR-Mandat. Im grossen Interview spricht sie zudem über Departemente und eine mögliche Niederlage.

Sie verstossen gegen Ihr eigenes Prinzip: «Man kandidiert nur einmal für den Bundesrat», sagten Sie vor acht Jahren. Treten Sie jetzt nur an, weil Sie wissen, dass Sie gewinnen?
Ich kann nicht sicher sein, dass ich gewinne. Die Kandidatur bleibt ein Risiko. Es stimmt: Für mich war das Thema Bundesrat abgeschlossen. Nach der letztjährigen Wahl von Ignazio Cassis ist bei mir aber ein Prozess in Gang gekommen. In vielen ermunternden Gesprächen habe ich gespürt, dass ich einen parteiübergreifenden Rückhalt habe. Zudem bringe ich nun sieben Jahre Erfahrung im Ständerat mit. Der Karin von 2010 würde ich mit dem Wissen von 2018 sagen: Mach es nicht!
Das klingt, als würden Sie Ihre erste Kandidatur bereuen.
Nein, ich bin damals für meine Partei und die Ostschweiz angetreten. Aber ich war als Aussenseiterin chancenlos. Das unterschätzt man, wenn man von aussen kommt und gegen eine in Bundesbern etablierte Persönlichkeit antritt.
Ansonsten scheint Ihnen alles zu gelingen. Sie gelten als Multitalent, welches das landesübliche Mittelmass sprengt. Was können Sie nicht?
Ganz vieles! Ich bin zum Beispiel weder mathematisch noch musisch begabt. Schon in der Schule ging es mir so: Ich setzte mich voll für das ein, was ich gerne mache – für anderes weniger. Und wenn ich Freude an meinen Aufgaben habe, dann vermittle ich das wohl.

Neu dürften wieder drei Frauen im Bundesrat sein. Doris Leuthard findet, mehr Frauen in der Regierung führten zu mutigeren Entscheiden.
Das ist doch vielmehr eine Frage der Persönlichkeit. Es gibt auch mutlose Frauen. Ich werde nicht gern auf mein Geschlecht reduziert. Aber ich finde es aus anderen Gründen wichtig, dass die Frauen angemessen im Bundesrat vertreten sind. Sie tragen viel Verantwortung in der Gesellschaft, sind erwerbstätig, leisten Familienarbeit, bezahlen Steuern. Frauen müssen deshalb an der Macht beteiligt sein.
Gibt es eine spezifisch weibliche Politik?
Es ist ein Klischee, dass Frauen in der Politik emotionaler, sensibler und weniger analytisch seien. Das Spektrum ist genauso breit wie bei Männern. Und trotzdem haben Frauen eine andere Lebensrealität. Als bürgerliche Politikerin bin ich der Meinung, dass zum Beispiel Quoten oder Lohnanalysen nicht der richtige Weg sind, um eine echte Gleichstellung zu erreichen. Die Ziele teile ich mit linken Frauen – die Massnahmen nicht. Der Schlüssel liegt bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Video: Offiziell auf dem Bundesratsticket der FDP
Für welche Gleichstellungsmassnahmen setzen Sie sich denn ein?
Ich habe mich als St. Galler Justizdirektorin und im Ständerat zum Beispiel stark gegen häusliche Gewalt engagiert. Für mich ist die Vorstellung unerträglich, dass sich Frauen in den eigenen vier Wänden nicht sicher und selbstbestimmt fühlen können. Ich befürworte deshalb die Bemühungen von SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga, den rechtlichen Schutz der Betroffenen zu erhöhen. Zudem erachte ich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Schlüssel für echte Gleichberechtigung.
Für die Befürworter wäre dies mit einem Vaterschaftsurlaub oder einer Elternzeit besser gewährleistet.
Es leuchtet mir nicht ein, wie mit wenigen Wochen Urlaub Rollenbilder aufgebrochen werden sollen. Entweder lebt man in einer gleichberechtigten Partnerschaft, in der man sich über die Erziehungsarbeit verständigt, oder man wählt eine klassische Rollenteilung. Man kann die Männer nicht mit 14 Tagen Urlaub auf eine neue Rolle einschwören. Es werden jetzt viele Forderungen an den Staat herangetragen, die Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels sind. Aber der Staat kann das nicht alles finanzieren.
Die Ostschweizer erhoffen sich mit Ihnen mehr Einfluss in Bundesbern. Wie würde sich Ihre Herkunft auswirken?
Man sagt den Ostschweizern nach, dass sie eher nüchtern sind. Sie setzen auf die Eigenverantwortung, sind weniger etatistisch, aber setzen pflichtbewusst und exakt um, was aus Bundesbern kommt. Ich kann nicht abstreiten, dass ein Teil davon genetisch in mir drinsteckt. (lacht)
Sie haben nicht viele Mandate aus der Privatwirtschaft inne, dafür aber lukrative. Alleine als Verwaltungsrätin der Baloise-Versicherungen sollen Sie 240'000 Franken verdienen, konnte man lesen ...
... so viel ist es nicht. Es sind 175'000 Franken, inklusive gesperrter Aktien.
Verraten Sie uns, wie viel Sie summa summarum verdienen?
Nein, das sage ich Ihnen nicht. Ich bin eine normale Bürgerin, und wie bei jedem anderen Bürger ist das Erwerbseinkommen Privatsache. Es gibt da auch keinen Zusammenhang mit der Eignung für das Bundesratsamt.
Über Ihre Fehlgeburten haben Sie offen gesprochen, obwohl das ebenfalls Privatsache ist.
Ich habe darüber gesprochen, weil es bereits publik war. Vor der Bundesratswahl 2010 wurde ich in einer welschen TV-Sendung auf meine Kinderlosigkeit angesprochen. Ich wurde vor laufender Kamera gefragt, ob ich eine dieser kinderlosen Karrierefrauen sei. Da habe ich spontan entschieden, die Wahrheit zu sagen.

Falls Sie das Departement des Innern übernähmen, wären Sie für den Versicherungsbereich zuständig. Könnten Sie diese Funktion glaubwürdig wahrnehmen, wenn Sie jetzt in dieser Branche so viel Geld verdienen?
Ja, das könnte ich. Ich habe meine Unabhängigkeit mit dem Nein zur Altersvorsorge 2020 bewiesen, mit welcher der Umwandlungssatz in der zweiten Säule gesenkt worden wäre. Ich halte auch die Forderung nach einem entpolitisierten Umwandlungssatz für unrealistisch. Auch wenn sie der Sache nach richtig wäre.
Die Altersvorsorge 2020 ist allerdings kein Ruhmesblatt des Parlamentarismus. Sie waren mitbeteiligt daran, dass kein Kompromiss zustande kam und die Vorlage abstürzte.
Wir haben bis zuletzt einen Kompromiss gesucht, was leider nicht gelungen ist. CVP-Präsident Gerhard Pfister hat ja inzwischen auch eingeräumt, dass wir ohne die 70 zusätzlichen AHV-Franken wohl eine Mehrheit für die Reform erreicht hätten. Er hat recht damit.
Als Regierungsrätin waren Sie für den Asylbereich zuständig. Später haben Sie bewusst auf andere Themen umgesattelt. Nun müssen Sie vielleicht das Justizdepartement und damit wieder das Asylwesen übernehmen. Wäre Ihnen das recht?
Es müsste mir recht sein. (lacht) Ich bin bei diesen Themen nicht mehr so à jour. Aber das Justizdepartement wäre eine interessante Aufgabe.
Was würden Sie in der Asylpolitik anders machen als Simonetta Sommaruga?
Wichtig sind vor allem rasche, effiziente Verfahren. Das führt zu schnelleren Wegweisungen, und es werden weniger falsche Hoffnungen geweckt. Man muss bestimmten Asylbewerbern von Anfang an reinen Wein einschenken und sie erst gar nicht auf die Kantone verteilen.
«Ich würde mich gerne stark einbringen, bei allen Geschäften im Bundesrat.»
Lieber hätten Sie aber wohl, das Justizdepartement bliebe Ihnen erspart ...
Meine Absicht wäre es sowieso, nicht bloss Departementsvorsteherin zu sein. Ich wünsche mir, dass die Bundesräte als Gremium handeln und einen gemeinsamen Willen dokumentieren.
Die anderen Bundesrätinnen und Bundesräte müssten also mit vielen Mitberichten von Ihnen rechnen.
Ich würde mich sicher gerne stark einbringen, bei allen Geschäften im Bundesrat. Es mag manchmal lästig sein und zeitverzögernd wirken, wenn man die Dinge gründlich diskutiert. Aber es führt am Ende zu besseren Resultaten. Ich finde es schade, dass es dem Bundesrat teilweise nicht gelingt, gegen aussen eine gemeinsame Linie zu vertreten. Das hat man etwa in der Europapolitik gesehen.
Glauben Sie, dass wir in zwei Jahren ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU haben werden?
Das ist nicht auszuschliessen, aber im Moment ist eine Allianz nicht in Sicht. Beim Lohnschutz etwa können wir der EU keinen Kompromiss anbieten, solange er innenpolitisch nicht abgestützt ist. Es gibt noch viele andere Stolpersteine: die Unionsbürgerrichtlinie, die rechts auf Widerstand stösst, die verbotenen staatlichen Beihilfen, die von der EU verlangte Guillotine-Klausel. Das sind für die Endphase einer Verhandlung viele Probleme.
Ihr Mitbewerber ist FDP-Ständerat Hans Wicki. Gibt es zwischen Ihnen politische Differenzen?
Ich kenne ihn politisch nicht so gut, da wir in keiner Kommission zusammenarbeiten. Mein Eindruck ist, dass wir beide typische Deutschschweizer Freisinnige sind, die rechts der Mitte politisieren.

Haben Sie ein Vorbild?
Beeindruckt hat mich der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er schrieb einmal, in der Politik brauche man Selbstdisziplin und Gelassenheit. Das kann ich eins zu eins unterschreiben.
Sie bewundern als Freisinnige einen Politiker der Sozialdemokraten?
Schmidt war faktisch ein Linksliberaler. Es gibt aber auch Bundesräte, die ich gut fand, vor allem Kaspar Villiger. Er war unaufgeregt und sachlich und hatte Erfolg – etwa mit der Einführung der Schuldenbremse. «Vorbild» sollte aber nicht heissen, dass man eine Person eins zu eins zu kopieren versucht.
Sollte es am 5. Dezember wider Erwarten doch schiefgehen, werden Sie 2019 aus dem Ständerat zurücktreten?
Ich würde als Ständerätin weitermachen. Ich habe mich innerlich auch auf die Möglichkeit eingestellt, dass ich am 5. Dezember nicht gewählt werde. Die Frage nach einer Bundesratskandidatur wäre dann ein für alle Mal geklärt, ich müsste auf keine Spekulation mehr antworten. Das hätte auch sein Gutes.
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