Nachtruhestörung in der «absurdesten Krise aller Zeiten»
Wikileaks enthüllt neue Details über die diplomatische Krise zwischen Libyen und der Schweiz. Diese zeugen von einem gestörten Verhältnis zwischen der Schweizer Botschaft und Bern.

In der Affäre Ghadhafi wusste die US-Botschaft in Tripolis im September 2009 nach Angaben des deutschen Magazins «Der Spiegel» früh darüber Bescheid, dass die beiden Schweizer Geschäftsleute Max Göldi und Rachid Hamdani aus der Schweizer Botschaft gelockt und entführt worden waren.
Der «Spiegel» stützte sich in dem am Montag veröffentlichten Artikel auf von der Enthüllungsplattform Wikileaks zur Verfügung gestellte US-Depeschen aus der Botschaft in Tripolis. Göldi und Hamdani waren am 18. September 2009 von den Libyern verschleppt worden. Erst knapp zwei Monate später, im November, wurden sie zur Schweizer Botschaft zurückgebracht. Der «Spiegel» spricht von der «absurdesten Krise aller Zeiten» für die Schweiz.
Erstaunen bei Lazzarotto
Der Schweizer Geschäftsträger (»chargé d' affaires») in Tripolis, Stefano Lazzarotto, habe sich am 22. September erstaunt gezeigt, dass die Amerikaner Bescheid wüssten, schrieb der «Spiegel». Bern habe ihn angewiesen, die Sache geheim zu halten, soll er US- Diplomaten gesagt haben.
Nur zwei Tage danach machte der damalige Bundespräsident Hans- Rudolf Merz bei einem Treffen mit Staatschef Muammar al-Gaddafi in New York die Entführung öffentlich, wie eine SDA-Meldung von diesem Tag zeigt.
Schwacher Geschäftsträger?
Die US-Depeschen zeigen gemäss «Spiegel», dass Lazzarotto nicht darüber informiert worden war, dass die Schweiz die USA um Hilfe gebeten hatte.
Das Gespräch (mit Lazzarotto) habe «einen fehlenden Draht zwischen Bern und der Botschaft offenbart. Während die Schweizer Regierung auf Ministerebene Allianzen zu schmieden scheint, lässt sie die Botschaft schwach und verletzlich zurück, indem sie den Chargé uninformiert lässt», zitiert der «Spiegel» aus den Papieren.
Dass ein Diplomat vor Ort nicht über alle Versuche Berns informiert ist, sich Unterstützung zu sichern, erstaunt kaum. Normalerweise wird er nur über Kontakte informiert, wenn sie stehen.
In zehn Tagen sieben Kilo verloren
Lazzarotto beklagte sich gemäss dem Nachrichtenmagazin «10vor10» bei der US-Botschaft über fehlendes Einfühlungsvermögen seitens der Schweiz. Mitten in der Nacht würden sie ihn jeweils mit Telefonanrufen aus dem Schlaf reissen. So seien sich die Leute in Bern wohl nicht bewusst, unter welchem Druck er stehe und, dass er deshalb innerhalb von zehn Tagen rund sieben Kilogramm abgenommen habe.
Auch diese Beichte hätte Lazzarotto besser sein lassen, denn sie ist nun bis ins letzte Detail in den aufgedeckten Dokumente von Wikileaks nachzulesen.
Im GPK-Bericht nachzulesen
Der «Spiegel» berichtete auch über Missstimmungen zwischen Bern und dem am 1. Mai 2009 pensionierten Schweizer Botschafter, Daniel von Muralt. Dieser habe im Januar 2009 gegenüber US-Diplomaten geäussert, dass die Schweiz «zu weich» sei und dass Bern kein Verständnis für die libysche Sicht habe. Calmy-Rey soll er vorgeworfen haben, diese denke «typisch schweizerisch».
Dass es zu Unstimmigkeiten kam, geht bereits aus dem am Freitag veröffentlichten Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) hervor. Darin wird die vorzeitige Pensionierung von Muralts ausgeleuchtet: Das Aussendepartement (EDA) habe von Muralt bereits im Dezember 2008 die Pensionierung angeboten; dieser habe angenommen.
Die GPK nennt zwei Gründe: Erstens habe von Muralt sich nicht an Richtlinien des EDA gehalten und zweitens habe es «Meinungsverschiedenheiten» über die Strategie in der Krise gegeben.
SDA/mrs
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