Neuer GesetzesentwurfNachrichtendienst droht mit drakonischen Bussen
Der Schweizer Geheimdienst will Angestellte der Hotellerie zur Kooperation zwingen. Wer sich weigert, dem drohen 100’000 Franken Busse.

Das neue Nachrichtendienstgesetz sorgt erneut für Aufsehen. Denn der Geheimdienst NDB will in gewissen Fällen ermittelnde und strafende Behörde gleichzeitig sein. Die Angestellten des Nachrichtendienstes erhalten demnach deutlich erweiterte Befugnisse. So müssen zum Beispiel Angestellte von Beherbergungsbetrieben dem Geheimdienst Auskunft geben sowie Aufzeichnungen von Videokameras und Daten über Gäste aushändigen.
Voraussetzung für diese Kooperationspflicht ist, dass der Nachrichtendienst «konkrete Bedrohungen erkennen, verhindern oder abwehren» will. Falls die aufgeforderten Personen den Anweisungen des Nachrichtendienstes des Bundes nicht folgen und etwa einen Termin nicht wahrnehmen, drohen ihnen saftige Bussen. Im Entwurf für das neue Gesetz, den der Bundesrat im Mai verabschiedet hat, heisst es dazu: Wer vorsätzlich einer Verfügung nicht fristgerecht nachkommt, wird mit einer Busse bis zu 100’000 Franken bestraft. Dieser Betrag ist fernab von allem, was bei vergleichbaren Übertretungen im Strafgesetz möglich ist.
Erstaunlich: Gastro Suisse, der Verband für Hotellerie und Restauration, unterstützt die geplante Bussenandrohung von 100’000 Franken. Auch wenn sie Angestellte betrifft, die für einen Jahreslohn von 40’000 oder 50’000 Franken arbeiten. Auf Nachfrage schreibt Gastro-Suisse-Sprecherin Astrid Haida, beim Betrag von 100’000 Franken handle es sich lediglich um eine Obergrenze. Sie geht vom Grundsatz der Verhältnismässigkeit aus. Man vertraue darauf, dass die Behörden diesem Grundsatz «umfassend Rechnung tragen» würden. Die Strafbestimmung gelte nur bei vorsätzlichen Verfehlungen. Sie zeigt Verständnis: Strafandrohungen müssten abschreckend sein, um eine Wirkung zu haben. Die Auskunftspflicht betreffe nur einen kleinen Kreis von Angestellten. Für diese gehöre der diskrete Umgang mit sensiblen Daten ohnehin zum Alltag, sagt Haida.
Auch Gastro-Suisse-Präsident Casimir Platzer sieht bei diesen Bussen kein Problem, wie aus einer Vernehmlassungsantwort an Bundesrätin Viola Amherd (Die Mitte) deutlich wird. Platzer legt darin besonderen Wert darauf, dass Auskünfte an den Geheimdienst geheim bleiben, da für betroffene Betriebe sonst ein Reputationsschaden drohe. Eine Kooperation, wie sich das wohl jeder Nachrichtendienst wünscht.
SBB machen mit
Betroffen von der neuen Bussenregelung wären auch Transportdienstleister und Vermittler von Transporten. Die SBB sehen in dieser Bestimmung kein Problem. Sprecher Oli Dischoe sagt, die SBB hätten auch bisher stets die Pflicht gehabt, den Verfügungen des Nachrichtendienstes Folge zu leisten. Diese Situation gelte unverändert im künftigen Recht. Auf den Umstand, dass auch Zugbegleiter oder Angestellte im Speisewagen von Bussen von bis zu 100’000 Franken bedroht sein könnten, gehen die SBB nicht weiter ein. Sie sagen lediglich, für den Austausch zwischen SBB und Nachrichtendienst bestünden fixe Kanäle und Ansprechpartner.
Wie in Nordkorea?
Anders sehen das Anwälte in Zürich und Bern. Rechtsanwalt Valentin Landmann, der in Zürich für die SVP politisiert, sagt nach Lektüre des vorgeschlagenen Gesetzestextes: «Wer beim Bund so etwas formuliert, passt besser nach Nordkorea als in die Schweiz.» Eine derartige Regelung sei eines liberalen Rechtsstaates unwürdig. «Wir brauchen keinen Nachrichtendienst, der die gesamte Gesellschaft durchdringt.»
Der Berner Anwalt Thomas Marfurt (FDP) analysiert: «Mit dieser Gesetzesbestimmung besteht die Möglichkeit, dass jemand 100’000 Franken Maximalbusse aufgebrummt bekommt, obwohl er oder sie von einem Untersuchungsbeamten vorgeladen wurde, der nicht einmal eine juristische Ausbildung hat.» Der Gesetzgeber würde sich mit einem Ja zu einer solchen Regelung selbst als inkompetent qualifizieren. «Wenn jemand einer Vorladung eines Staatsanwaltes nicht nachkommt, wird die Person polizeilich vorgeführt und nicht mit 100’000 Franken gebüsst», so Marfurt. Die strafrechtliche Praxis sehe vor, dass Bussen immer im Verhältnis zur Tat stünden.
Der Ball liegt bei Amherd
Die hohen Bussen des NDB sind auch Menschenrechts- und Fachorganisationen ein Dorn im Auge. Die Vereinigung der demokratischen Juristinnen und Juristen, der Verein Digitale Gesellschaft und Human Rights Watch fordern, dass die Bussen bis 100’000 Franken kurzerhand aus dem Nachrichtendienstgesetz zu streichen seien. Das geltende Gesetz sei ausreichend.
Die Organisationen bemängeln insbesondere, dass solche Bussen jene Geldstrafen um ein Zehnfaches übersteigen, die Gerichte verhängen können, wenn jemand ein Gerichtsurteil nicht befolgt.
Zuletzt sorgte die geplante Gesetzesanpassung für Aufsehen, weil der Nachrichtendienst das Berufsgeheimnis von Anwälten, Ärztinnen, Psychologinnen und Pfarrern bei Bedarf ritzen will.
Das Zeitfenster für die Stellungnahmen interessierter Berufsorganisationen, Parteien und Verbände ist vor wenigen Tagen abgelaufen. Nun liegt der Ball wieder beim Departement von Bundesrätin Amherd. Der Bundesrat dürfte das Gesetz im kommenden Jahr ans Parlament verabschieden.
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