Attentat auf Ex-PolitikerMord vor laufender Kamera in Indien
Drei junge Männer erschiessen Atiq Ahmed, einen ehemaligen indischen Abgeordneten und verurteilten Schwerverbrecher. Drohen nun Unruhen?

Die Morde wurden live übertragen, auf mehreren Fernseh- und Onlinekanälen. Scheinwerfer leuchteten den Tatort des Verbrechens aus, als Atiq Ahmed, ein ehemaliger Abgeordneter des indischen Parlaments, und sein Bruder Ashraf erschossen wurden.
Man sieht auf den Aufnahmen die Mündung einer Pistole ins Bild ragen, direkt vor Atiq Ahmeds Kopf, dann drückt einer der Täter ab. Insgesamt wurden etwa 20 Schüsse aus nächster Nähe auf die Brüder abgefeuert. Nach Angaben der Polizei kamen die drei Angreifer auf Motorrädern und hatten sich mit Kameraausrüstung, einem Mikrofon mit dem Logo eines Fernsehsenders und gefälschten Journalistenausweisen unter die Medienvertreter gemischt. Die Ahmed-Brüder befanden sich in Gewahrsam der Polizei, die sie zu einer Routineuntersuchung in ein Spital in Prayagraj brachte.
Nicht nur die drastische Zurschaustellung, auch die Prominenz der Opfer und die möglichen politischen Hintergründe der Tat könnten nun im Zusammenspiel dazu führen, dass es zu gewalttätigen Unruhen in Uttar Pradesh kommt, dem mit etwa 200 Millionen Einwohnern grössten Bundesstaat Indiens. Dessen Regierungschef Yogi Adityanath von der Bharatiya-Janata-Partei (BJP) hat deshalb ein viertägiges Verbot von Versammlungen mit mehr als vier Personen erlassen und eine Untersuchung der Morde angeordnet. Und vor allem der Motive.
Schlachtruf gegen Muslime
Denn Atiq Ahmed, 60, war nicht nur ein lokaler Abgeordneter in Uttar Pradesh und sass ab 2004 im indischen Parlament. Er wurde auch beschuldigt, ein Verbrechersyndikat zu leiten, das in Mord, Entführung, Landraub und Erpressung verwickelt war. Er wurde in mehr als 100 Fällen angeklagt und 2019 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Die Ahmed-Brüder wurden gerade in Handschellen aus dem Spital geführt, als die Täter angriffen. Mindestens einer der Männer rief dabei «Jai Shri Ram» – diese Preisung von Gott Rama ist zum Schlachtruf für Hindu-Nationalisten gegen Muslime geworden.
Die Ahmeds waren Muslime, Regierungschef Adityanath wiederum gilt als Hindu-Hardliner. Seit er 2017 an die Macht kam, ist die Polizei von Uttar Pradesh berüchtigt dafür, Kriminelle, die angeblich versuchten, aus dem Gewahrsam zu fliehen, oder auf Beamte gefeuert haben sollen, zu erschiessen. Muslime, aber auch Dalits, die unterste Kaste der Hindus, sind unverhältnismässig häufig betroffen.
Insgesamt hat die Polizei von Uttar Pradesh in den vergangenen sechs Jahren mehr als 180 mutmassliche Verbrecher bei sogenannten Polizeibegegnungen getötet.
Erst vor einer Woche hatten Polizisten den 19-jährigen Sohn von Atiq Ahmed in der Stadt Jhansi erschossen. Er war im Zusammenhang mit den Verbrechen seines Vaters gesucht worden. Insgesamt hat die Polizei von Uttar Pradesh in den vergangenen sechs Jahren mehr als 180 mutmassliche Verbrecher bei sogenannten Polizeibegegnungen getötet.
Akhilesh Yadav, Vorsitzender der oppositionellen Samajwadi-Partei, deren Abgeordneter Atiq Ahmed bis 2014 war, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Ermordung seines ehemaligen Parteikollegen in Polizeigewahrsam zeige, wie die regierende BJP versage, wenn es darum gehe, Recht und Ordnung in Uttar Pradesh herzustellen. «Wenn jemand inmitten des Sicherheitskordons der Polizei durch Kugeln getötet werden kann, wie steht es dann um die Sicherheit der Allgemeinheit?»
Versagen der Polizei
Auch Kumari Mayawati, ehemalige Ministerpräsidentin des Bundesstaats und Dalit-Führerin, äusserte sich besorgt und forderte den obersten Gerichtshof auf, den Vorfall zu untersuchen. «Er wirft ernste Fragen über Recht und Ordnung und die Arbeitsweise der Regierung auf», sagte sie. Fast die Hälfte der Minister in Uttar Pradesh stehen laut der unabhängigen Überwachungsgruppe Association for Democratic Reforms im Verdacht, kriminell zu sein.
Atiq Ahmed hatte im vergangenen Monat eine Petition beim obersten Gerichtshof eingereicht, in der er behauptete, sein Leben sei durch die Polizei bedroht. Sein Anwalt Vijay Mishra bezeichnete seine Ermordung als schockierend und sprach von einem «klaren Versagen der Polizei bei der Gewährleistung der Sicherheit» seines Mandanten.
Die Angreifer wurden am Montag als Lavlesh Tiwari, 22, Mohit Puraney, 23, und Arun Kumar Maurya, 18, identifiziert. Die Männer erklärten, dass sie die Ahmed-Brüder töten wollten, «um die Atiq-Ashraf-Bande auszulöschen und uns einen Namen zu machen», wie sie in einem ersten Polizeibericht zitiert werden. Ob von den Ermittlern auch ein religiöser Hintergrund der Tat geprüft wird, wurde in dem Bericht nicht bekannt gegeben. Gegen das 20-köpfige Team der Polizei, das für die Sicherheit der Ahmed-Brüder hätte sorgen sollen, wurde bisher keine Untersuchung eingeleitet.
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