Mit mutiger Strategie ans Limit
Seit drei Jahren hat Tadesse Abraham den Marathon-Europarekord im Kopf – morgen greift er in Dubai an.

Der Zettel hing drei Monate über dem Bett in seiner äthiopischen Bleibe, die Worte geschrieben im Imperativ und abgeschlossen mit einem Ausrufezeichen: «Go hard or go home!»
Tadesse Abraham ist nicht der erste Sportler, der sich mit dem Gib-alles-oder-geh-heim-Motto seinem Ziel näherte und sich damit Tag für Tag vor Augen hielt, dass er es nur so erreichen kann. Wenn überhaupt. Am Dienstag ist der Schweizer Rekordhalter von seiner Trainingsbasis in Addis Abeba in die Emirate geflogen, wo er morgen (3 Uhr MEZ) in Dubai zum Marathon startet. Er sagt: «Ich möchte herausfinden, wo mein Limit ist» und meint damit: Er möchte schneller laufen denn je, er möchte sogar schneller laufen, als es je ein Europäer getan hat.
Es ist Abrahams erstes Rennen über die 42,195 km seit seinem EM-Silber im August in Berlin. Und es ist das erste seit langem, bei dem er die Zeit in den Mittelpunkt stellt. Das war an der EM nicht so, an den Olympischen Spielen in Rio (7.) nicht, und in New York, wo er 2017 hervorragender Fünfter wurde, ist die Strecke für eine Spitzenzeit zu anspruchsvoll. Deshalb nun also Dubai: Flach, schnell, vier Spitzkehren, sonst nichts.
Rekordhalter ist Mo Farah
Mit 36 Jahren ist Abraham auch für einen Marathonläufer in einem reiferen Athletenalter, er weiss, dass er mehr Starts hinter als noch vor sich hat. Auch deshalb Dubai. Denn seit er Anfang 2016 in Seoul in 2:06:40 Stunden eine Topzeit lief und den Europarekord um nur vier Sekunden verpasste, schwirrt ihm diese Marke im Kopf herum. Und endlos viele Chancen, sie anzugreifen, bleiben ihm nicht mehr. Allerdings: Die Entwicklung hat auch auf europäischer Ebene nicht Halt gemacht, der Rekord wurde seither dreimal verbessert. Zuletzt im Oktober, als Grossbritanniens Star Mo Farah in Chicago in 2:05:11 triumphierte.
«Go hard» bedeutete für Abraham das härteste Training überhaupt – aber nicht nur. Er erzählt, dass er noch nie drei ganze Monate in eine Marathon-Vorbereitung investierte, nie so hohe Belastungen ins Programm einbaute wie diesmal, nie so lange und so schnelle Einheiten absolvierte wie über den Jahreswechsel. «Ich bin sehr gespannt, wozu ich nun fähig bin», sagt er.
Seine All-in-Strategie erscheint mutig. Denn als er nach Olympia den Umfang auf rund 230 Kilometer in der Woche erhöhte, büsste er den Effort schnell mit einem Ermüdungsbruch am Kreuzbein. Seither bekämpft er eine mögliche Dysbalance zwischen Belastung und Belastbarkeit mit alternativen Trainingsformen.
Als Abraham im Oktober nach Addis Abeba dislozierte, schloss er sich der einheimischen Läufergruppe an, mit der er seit 2016 jeweils unterwegs ist. Dennoch waren die letzten drei Monate speziell: «Die Trainings waren auf eine Endzeit von 2:03 bis 2:04 ausgerichtet, ich habe alle mitgemacht», sagt er nicht ohne Stolz.
Mit den Äthiopiern Lemi Berhanu, dem Boston-Sieger 2016, und Guye Adola, der 2017 in Berlin dem späteren Weltrekordhalter Eliud Kipchoge fast den Sieg streitig machte, führten zwei absolute Spitzenläufer den Trainingstross an. Sie beide gehören morgen zu den Sieganwärtern.
Klar ist für Abraham aber, dass er nicht den Schnellsten und ihren Tempomachern folgen wird. «Ich habe mir beim Organisator einen eigenen Pacemaker erkämpft. Man wollte das nicht, hat nach langen Gesprächen aber eingewilligt», erklärt er.
Sponsor mit sozialem Projekt
Unabhängig davon, wie das Rennen ausgeht, kann Abraham 2019 bereits einen nicht selbstverständlichen Erfolg verbuchen: Nachdem sein bisheriger Hauptsponsor den Vertrag nicht verlängerte, ist sein Management andersweitig fündig geworden.
Für die Versicherungsgesellschaft Generali Schweiz, die ihn bis nach Olympia 2020 unterstützen wird, war sein Alter kein Thema, sein Hintergrund jedoch schon. Sie suchte in ihm nicht nur den Botschafter für die Laufserie, die sie sponsert, sondern auch einen Supporter in einem sozialen Projekt für benachteiligte Menschen. «Das war auch ich einmal, das ist meine Geschichte. Und diese Arbeit hört nie auf», sagt er. Bevor er sie aber aufnimmt, schnürt er morgen die Schuhe. Um ans Limit zu gehen.
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