Milliarden Steuergelder bleiben im Dunkeln
Die Kantone melden oft sehr lückenhaft, wohin das Geld bei Ausschreibungen fliesst. Viele Ämter verletzen damit das Recht.

41 Milliarden Franken. Für diese Summe kaufen Bund, Kantone und Gemeinden jedes Jahr ein. Mit dem Steuergeld werden Strassen und Spitäler gebaut, IT-Systeme unterhalten oder Experten honoriert. Nun zeigt eine Auswertung der Daten der zentralen Beschaffungsplattform: Nur bei knapp jedem dritten Franken lässt sich einfach nachvollziehen, wohin die Milliarden tatsächlich fliessen. Das Volumen aller auf der Plattform publizierten Auftragsvergaben betrug 2017 nämlich nicht annähernd 41 Milliarden Franken, sondern nur knapp 13 Milliarden.
Die Online-Beschaffungsplattform heisst Simap und wurde vor rund einem Jahrzehnt von Bund, Kantonen und Gemeinden lanciert. Der Bund stellt seine Einkäufe inzwischen vergleichsweise umfassend ins Netz. Bei vielen Kantonen und Gemeinden hingegen klaffen grosse Lücken. Die Öffentlichkeit erfährt oft nicht, welche Firmen welche Aufträge in welchem Umfang erhalten.
Matthias Stürmer leitet die Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit an der Universität Bern. Er hat alle Simap-Daten von offenen und selektiven Vergabeverfahren von 2008 bis Mitte 2017 analysiert. Stürmers Auswertung zeigt: Die Hälfte der Kantone publiziert bei weniger als einem Viertel ihrer Simap-Ausschreibungen auch die dazugehörigen Zuschläge auf Simap. Bei manchen sind es nur ein paar Prozent.
Das ist besonders dann brisant, wenn die kantonale Gesetzgebung die Publikation auf Simap explizit vorschreibt, wie zum Beispiel im Kanton Wallis.
Wie ist das möglich? Telefonstafette im Wallis
Die SonntagsZeitung ruft bei Martin Zurwerra an, Dienstchef in der Walliser Verwaltung und zuständig für Beschaffungsfragen: «Ja, das ist schon ein Gesetzesverstoss, aber nicht so ein schlimmer», sagt er. Denn eigentlich sei die Publikation der Zuschläge ja bloss eine Formalität. Schliesslich würden Firmen, die sich erfolglos für einen Auftrag beworben hätten, direkt darüber informiert. Dann empfiehlt Zurwerra noch, mit einem Amtschef zu sprechen, der ja für die einzelnen Beschaffungen zuständig sei.
Anruf bei Martin Hutter, Chef vom Walliser Amt für Nationalstrassenbau. «Da bin ich selber überrascht. Aber die Staatskanzlei ist für die Publikation von Zuschlägen zuständig.»
Anruf bei Staatskanzler Philipp Spörri: «Nein, das macht die Staatskanzlei nicht. Wer eine Vergabe durchführt, also die Ämter, muss sie auch selber abschliessen, inklusive Publikation des Zuschlags. Und: Haben Sie schon mit Martin Zurwerra gesprochen?»
Transparenz-Schlusslicht sei Graubünden
So schliesst sich der Kreis. «Genau ein solcher Mangel an politischem Wille ist Teil des Problems», sagt Matthias Stürmer von der Uni Bern. «Dabei hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, zu wissen, wohin die Steuergelder fliessen.» Denn die Intransparenz begünstige Unregelmässigkeiten oder Vetternwirtschaft. Vielleicht sei es ja kein Zufall, dass eines der Transparenz-Schlusslichter seiner Auswertung der Kanton Graubünden sei, der jüngst mit dem Kartellskandal im Bausektor für Schlagzeilen gesorgt habe.
Anders als das Walliser verlangt das Bündner Gesetz keine Publikation der Auftragsvergaben auf Simap. Und so ist auch kaum eine Bündner Vergabe auf der Plattform zu finden. Dennoch wehrt sich Regierungspräsident Mario Cavigelli gegen den Vorwurf der Intransparenz. «Die Offertöffnungsprotokolle und die Zuschläge des Kantons werden seit bald 20 Jahren öffentlich publiziert und sind für jedermann einsehbar», argumentiert Cavigelli. Bloss: Auf der Bündner Website sind gerade mal die Zuschläge der letzten paar Monate abrufbar, anstelle des gesamten Archivs wie bei Simap. Zudem ist die Arbeit mit den Daten wegen des unterschiedlichen Formats viel umständlicher. «Solche Insellösungen bringen unnötige Hürden mit sich und sind ineffizient», sagt Matthias Stürmer dazu. Schlimmer seien nur noch die Kantone, die Vergaben in einem Amtsblatt auf Papier publizierten – oder gar nicht.
Lücken gibt es auch in Bern und Zürich
Grosse Kantone wie Bern oder Zürich kennen die Regel, dass zumindest Zuschläge ab einer gewissen Höhe auf Simap veröffentlicht werden müssen. Doch auch hier gibt es teils grosse Lücken. In der Auswertung lassen sich Dutzende Ausschreibungen über dem Schwellenwert finden, deren Zuschlag nie bekannt wurde – von Schreinerarbeiten über Strassenmarkierungen bis zur Rechtsberatung.
Dass es auch anders geht, zeigt Basel-Stadt. Der Halbkanton publiziert seine grösseren Vergaben fast vollständig auf Simap. «Das Transparenzgebot ist ein Grundpfeiler des Vergaberechts», sagt die Leiterin der kantonalen Fachstelle für öffentliche Beschaffungen, Luana Huber. «Unsere Publikationspraxis ist eine von zahlreichen Massnahmen, um möglichst klare und faire Ausschreibungsverfahren durchzuführen.»

Derzeit berät das Bundesparlament eine grosse Revision des Beschaffungsrechts. Kommt die Vorlage wie geplant durch, sind künftig alle Kantone und Gemeinden stärker in der Pflicht, ihre Vergaben auf Simap bekannt zu machen.
Ein Tag nach dem Telefongespräch schreibt der Walliser Dienstchef Martin Zurwerra noch eine E-Mail. Darin kündigt er an: «Wir werden in jedem Fall die Dienststellen in nächster Zeit anschreiben und sie darauf aufmerksam machen, inskünftig nicht zu vergessen, die Publikation der Zuschläge auf Simap vorzunehmen.»
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