«Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen»
In Gesprächen mit seinem Ghostwriter rechnete der deutsche Alt-Kanzler Helmut Kohl mit Weggefährten ab. Auszüge daraus erscheinen nun als Buch – was so aber nicht geplant war.

Mehr als 600 Stunden lang unterhielt sich der deutsche Alt-Kanzler Helmut Kohl Anfang Nullerjahre mit dem Journalisten Heribert Schwan. Im Hobbykeller des kohlschen Bungalows berichtete Kohl aus seinem politischen Leben und rechnete dabei mit Weggefährten wie auch politischen Gegnern gleichermassen ab.
Auszüge aus den Gesprächen Kohls mit Schwan sollen nun am Dienstag als Buch mit dem Titel «Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle» erscheinen. Wie das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtet, zitiert Schwan darin ausführlich aus den bisher geheimen Gesprächen mit Kohl.
Kohl hatte das letzte Wort
So gedacht war dies allerdings nicht: Kohl hatte den früheren Radio- und Fernsehredaktor Schwan 1999 beauftragt, als Ghostwriter seine Memoiren zu verfassen. Nachdem sich die beiden in den Jahren 2001 und 2002 zu 105 Interviewsitzungen getroffen hatten, verfasste Schwan bis 2007 auch drei Bände der kohlschen Memoiren. Die Vereinbarung war dabei offenbar klar: Kohl hatte das letzte Wort über den Text – und konnte somit gegenüber Schwan auch ungehemmt austeilen, ohne fürchten zu müssen, darauf behaftet zu werden.
Entsprechend hart ging Kohl mit seinen Weggefährten ins Gericht. «Mir war klar, dass Richard sich selbst für den Klügsten und Allermoralischsten hält», sagte Kohl laut dem «Spiegel» über den früheren Bundespräsidenten Richard Weizsäcker. Den späteren Bundespräsidenten Christian Wulff soll er als «Null» und «grossen Verräter» bezeichnet haben. Auch über die heutige Kanzlerin und damalige CDU-Chefin Merkel äusserte sich Kohl offenbar abschätzig: «Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen», soll er über die ehemals ostdeutsche Politikerin gesagt haben, die er nach der Wende selber gefördert hatte.
Verlag will Buch umgehend ausliefern
Ans Licht kommen diese Aussagen Kohls nun, weil der Alt-Kanzler Schwan von seinem Auftrag entband, noch bevor dieser den vierten Band der Memoiren verfasst hatte. Als der Journalist 2012 ankündigte, die Tonbänder für eine eigene Kohl-Biografie zu verwenden, klagte Kohl auf deren Herausgabe. Der Fall ist heute immer noch hängig vor den Gerichten. Schwan beruft sich darauf, dass Kohl ihm zugesichert habe, die Aufnahmen auch über die Memoiren hinaus verwenden zu dürfen.
Ob auch Schwans Buch die Justiz beschäftigen wird, ist noch unklar. Das Nachrichtenmagazin «Focus» berichtete, Kohl habe seine Anwälte beauftragt, die Publikation des Buches zu verhindern. Kohls Büro hat dies laut der Nachrichtenagentur SDA bisher nicht kommentiert. Der Münchner Verlag Heyne will an der Publikation festhalten. «Wir haben bisher keine Unterlassungsaufforderung bekommen, die Bücher befinden sich in der Auslieferung und sind dann ab Dienstag sukzessive im Handel erhältlich», zitiert die SDA eine Verlagssprecherin.
Ungewissheit über historische Tragweite
Von Interesse wird das Buch auch für die Historiker sein, welche fordern, dass die Gesprächsaufnahmen früher oder später in ein für die Forschung zugängliches Archiv gelangen. Nun könnten sie Aufschluss darüber erhalten, wie ergiebig Kohls Aussagen tatsächlich sind. Der «Spiegel» machte in seinem Artikel grösstenteils Äusserungen des ehemaligen Bundeskanzlers über Parteikollegen publik, aus denen eine grosse Verletztheit spricht – schliesslich war Kohl unfreiwillig abgetreten und wurde nach seiner Abwahl durch die CDU-Spendenaffäre bedrängt.
Von grösserer historischer Tragweite ist hingegen Kohls Aussage über die Bürgerbewegung in der DDR, welcher er eine bedeutende Rolle bei der Wende in der DDR abspricht: «Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre da plötzlich der Heilige Geist über die Plätze in Leipzig gekommen und habe die Welt verändert», soll Kohl gesagt haben.
Kohl publiziert eigenes Buch
Auch von Kohl selber erscheint diesen Herbst ein Buch. Der 84-Jährige, der 2008 bei einem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt, der seither im Rollstuhl sitzt und Mühe beim Sprechen bekundet, hat mit dem gut 100-seitigen Band mit dem Titel «Aus Sorge um Europa» einen Appell verfasst.
Wie einem bereits veröffentlichten Auszug zu entnehmen ist, sieht Kohl die Idee eines politisch geeinten Europas als Garantie für Frieden in Gefahr. Die Geschichtslosigkeit, die Mutlosigkeit und der Kleinmut, der sich selbst in Leitartikeln seriöser Zeitungen niederschlage, seien schlicht erschreckend. Kohl wird sich wohl wünschen, dass dieses Werk eine grössere Aufmerksamkeit erfährt als seine auf Tonbändern verewigten Äusserungen.
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