Mehr Ärzte in den Berner Hausarztpraxen
Das Programm, das junge Mediziner in die Berner Hausarztpraxen bringen soll, ist beliebt. Doch Schlange steht niemand, stellt Stefan Roth klar.

Als Ärztin in Weiterbildung hält Eva Hugentobler ihre Sprechstunde so selbstständig wie nur möglich ab. Braucht die Assistenzärztin im vierten Weiterbildungsjahr Unterstützung, erhält sie diese im Zimmer nebenan.
In der Gruppenpraxis für Kinder- und Jugendmedizin im Könizer Liebefeld ist immer jemand vor Ort, die Wege sind kurz. «Das ist ein grosser Vorteil», findet die 30-Jährige, die von sich aus nach einer Möglichkeit suchte, den Alltag in einer Hausarztpraxis als Assistenzärztin kennen zu lernen.
Gleichzeitig lernt sie als angehende Allgemeinmedizinerin hier auch, Kinder zu behandeln. Eva Hugentobler ist seit acht Monaten im Programm, das der Kanton lanciert hat, um die Nachwuchsförderung in der Hausarztmedizin anzuschieben. «Meine Erwartungen wurden übertroffen», stellt sie fest.
Eva Hugentobler ist in guter Gesellschaft. Acht von zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Praxisassistenzprogramms praktizieren bereits als Hausärzte oder wollen dies künftig tun. Das schliesst die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) aus den Rückmeldungen von 151 der insgesamt 165 Ärztinnen und Ärzte, die das Programm seit 2008 durchlaufen haben.
Allerdings hatte das Projekt mit Startschwierigkeiten zu kämpfen. Sechs Praxisassistenzstellen bewilligte der Kanton zu Beginn. Die Nachfrage liess auf sich warten. Nach acht Monaten waren erst zwei Stellen besetzt. Erst als auch Praxen ausserhalb des damaligen Spital Netz Bern am Pilotprojekt teilnehmen konnten, besserte sich die Auslastung.
Das Angebot wuchs im vergangenen Jahr auf 21 Praxisassistenzstellen. 35 finanziert der Kanton ab heuer mit. Dadurch hat sich das Berner Programm zum schweizweit grössten Förderinstrument für den Hausarztberuf aufgeschwungen. Dass es sich etabliert hat, zeigt die jüngste Erhebung.
Das Berner Institut für Hausarztmedizin hat die Befragungen der vergangenen zehn Jahre ausgewertet. Wollten 2014 noch 67 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer «sicher» oder «ziemlich sicher» in einer Praxis arbeiten, sind es gemäss der aktuellen Umfrage 82 Prozent. Fehlte 83 Prozent vor fünf Jahren der Mut zum Einstieg in die Praxis, so fürchtet diesen heute jeder Zweite.
Das Projekt wurde grösstenteils auf dem Land (63 Prozent) und in der Agglo (30 Prozent) durchgeführt. Mittlerweile findet fast die Hälfte aller Einsätze in Gruppenpraxen statt.
Die Risiken...
Die Attraktivität des Hausarztberufes sei stark gestiegen, folgern GEF und Ärztegesellschaft des Kantons Bern aus diesen Zahlen. Die Ärzteschaft selbst setzt sich stark dafür ein, dass diese Form des Einstiegs in eine Arztpraxis weitergepflegt und -geführt wird. Dafür macht sich auch der Verein Berner Haus- und Kinderärzte/innen stark, wie dessen Vizepräsident Stefan Roth bestätigt.
Roth, der ausserdem Eva Hugentoblers Lehrarzt ist, unterstreicht die guten Erfahrungen und Rückmeldungen aus dem Programm. Er relativiert aber auch: «Es steht leider noch niemand Schlange, um in eine Hausarztpraxis zu kommen.» Der Kinderarzt warnt ausserdem davor, den Bedarf zu verkennen. Man dürfe nicht glauben, dass damit die Problematik gelöst sei.
«Es sind massiv mehr als 35 subventionierte Stellen nötig, um dem Hausärztemangel beizukommen.» Vielmehr sei ein ganzes Bündel an Massnahmen nötig, um die bereits laufende Ruhestandswelle altgedienter Landärzte und -ärztinnen abzufedern. Roth zweifelt nicht die guten Absichten der Berufseinsteiger an, in eine Hausarztpraxis einzusteigen. Aber er macht ein Fragezeichen bei den langfristigen Perspektiven. Während einer Weiterbildung stünden viele Ärzte am Scheideweg, oft entscheide der Lohn dann über die Ausrichtung.
...und die Nebenwirkungen
Sosehr eine Praxisassistenz auch für die Hausärzte Perspektiven schafft: Sie birgt auch Risiken. Gehen Assistenten wie Eva Hugentobler sehr selbstständig ans Werk, rechnet der Betrieb mit einem Nullsummenspiel. 1200 Franken schiesst der Kanton monatlich zu. Oft aber sei der Aufwand – personell und finanziell – höher, sagt Roth. Seine aktuelle Praxisassistentin sei «extrem engagiert und interessiert».
Nichtsdestotrotz kann sie in der vergleichsweise grossen Gruppenpraxis mit sechs Kinderärztinnen und -ärzten nicht mehr als 50 Stellenprozente übernehmen. Mehr geht nicht, weil die Patienten auch weiter betreut werden sollen, wenn Hugentobler Ende Oktober nach einem Jahr das Programm beendet. Sie weiss jedenfalls, dass sie als Hausärztin richtig eingespurt ist.
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