Max und das subversive Meerschweinchen
Max Grüter ist ein verhinderter Kosmonaut. Und der gebürtige Horgner ist Künstler. Heute erscheint sein neustes Werk – das Titelbild des NZZ-«Folios».
Von Daniel Stehula Horgen/Zürich – Der Weg zu Max Grüters Orbit führt über eine steile Holztreppe in den Dachstock einer kleinen Elektrowerkstatt in einem Innenhof etwas abseits der Zürcher Langstrasse. An der Tür steht «Niveau sans frontières» und «Freidimensional». Man öffnet die Tür und steht in einer Werkstatt mit Bandsäge und Fräsmaschine. Man zieht einen Vorhang zur Seite, geht in den nächsten Raum. Es hängen Bilder von Astronauten an den Wänden. Es sitzen kleine Astronauten im Holzregal. Es hängt an der Wand wieder ein Schild mit der Aufschrift «Freidimensional». Und hinten, auf einem Holzstuhl vor den Computerbildschirmen, sitzt der Mann, der von sich behauptet, er sei ein Testpilot der Kunst. Hier sitzt Max Grüter. Troposphäre Er ist in Horgen aufgewachsen. In bescheidenen Verhältnissen, wie er sagt. In der gehobenen Gesellschaft merke man ihm das heute noch an. Mitte der Siebziger die Grafikerausbildung, seit Mitte der Achtziger das Leben als Künstler: Sein Galerist Stephan Witschi sagt, die Kunst sei für Grüter der Weg aus dem Kleinbürgerlichen gewesen. Der junge Max spielte Wasserball beim SC Horgen, erinnert sich noch gut an den schwarzen Strich auf dem Boden des Schwimmbeckens, über dem er im Training die Bahnen zog, ewig hin und her. Er erinnert sich an die Frauenskulptur hinter der Villa Seerose, auf der Treppe darunter der erste Joint, der Vorkurs für die Kunstgewerbeschule und bald der Umzug nach Zürich. Stratosphäre Schwarze Jacke, schwarzes Halstuch, schwarzer Mantel, schwarze Cowboystiefel, so sitzt Max Grüter vor seinen Computern, in denen alles entsteht, seit er sich Crossmedia-Künstler nennt. «Ich bin schon ewig da», sagt er, «nur hat mich noch niemand wahrgenommen.» Sagt er solche Sätze, dann versteht man, weshalb er sein Atelier die tiefstfliegende Raumstation in diesem Orbit nennt. Da kreist er auf seiner eigenen Umlaufbahn mit einem Lächeln in den Mundwinkeln und betrachtet den Alltag aus ironischer Distanz. Er gibt zu, ja, er habe viel ausstellen können, gute Projekte, grosse Skulpturen wie das «Tankmal 97» in Düsseldorf oder Aufsehenerregendes wie der «Himmelsruderer» im Wasser vor dem Strandbad Seerose. Und dann sind da die Titelseiten des NZZ-«Folios» seit 1991. Aber er sagt: «Wenn du immer da bist, vielleicht, sieht man dich nicht.» Mesosphäre Grüter startet den Computer auf, die Grafikprogramme, erklärt, wie er digital Astronauten modelliert und Meerschweinchen. Erst modelliert er Handschuhe, Arme, Beine, Köpfe, Raumanzüge, Raketen und was nicht alles. Dann setzt er die Teile zusammen. Ein Astronaut, der auf einem fliegenden Teppich sitzt. Grüter hat sich selber im Computer modelliert, lässt sich gratis herunterladen und nennt das Projekt «The Downloadable Artist», eine virtuelle Performance. Aus den digitalen Skulpturen produziert Max Grüter in seiner Werkstatt reale. Während Grüter am Bildschirm eine Hand an einen Arm setzt, sagt er: «Man kennt mich in der Kunstszene, aber ich werde weggeschwiegen.» Er glaubt, es liege daran, dass er seine Begabung für den Broterwerb einsetzte. In der Werbung hat er gearbeitet, als Illustrator für Zeitungen. Grüter hat zwei Kinder und zwei Enkel. Er sagt von sich, er sei kein familienaktiver Vater gewesen. Aber er habe seine Kinder immer unterstützt. So habe er eine Babypause eingelegt, die seinem Image in der Kunstszene nicht gedient habe. Aber bei seinen Jobs habe er viel gelernt. «Und ich musste überleben. Ich hatte den Drang zur Kunst. Ich habe eine Begabung, der ich gerecht werden muss als Mensch.» Es sei viel zerbrochen in diesem Spannungsfeld. «Aber das kann ich nicht ändern.» Thermosphäre Wieder ein Haus in einem Innenhof, wieder abseits der Langstrasse, diesmal im Parterre. Öffnet man die Tür zu Stephan Witschis Galerie, sieht man als Erstes ein gigantisches geflecktes Meerschweinchen auf einem beinah 2 Meter breiten Bild. «184 Stunden hat der Computer gebraucht, das Meerschweinchen zu berechnen», sagt Grüter begeistert, als er auf das Bild zugeht, «es ist komplett am Rechner entstanden, und jetzt sieht man jedes Haar. Es wirkt fast dreidimensional.» An der Wand daneben hängen alte Bilderrahmen aus dem Zürcher Kunsthaus. Auf die Rückseiten hat Grüter weitere Meerschweinchen gemalt. In einem Rahmen hing früher «Die sterbende Valentine» von Ferdinand Hodler. So steht es auf einem blauen Etikett. Darunter liegt ein Meerschweinchen auf dem Rücken. In solchen Momenten grinst Grüter und sagt Sätze wie diesen: «Durch diese Rahmen scheint es so, als seien meine Bilder schon immer da gewesen. Aber sie sind immer falsch herum gehangen.» Stephan Witschi, der Galerist, sagt, der Humor sei der leichte Einstieg in die komplexen Gedanken, die hinter einem Grüter stecken. Und er ergänzt: «Der subversive Humor.» Die oft subversiven Meerschweinchen erscheinen schon in den frühen Werken Grüters. Namen darf er keine nennen, aber Witschi sagt, zwei der wichtigsten Schweizer Sammler besässen Werke Grüters. Und an den Kunstmessen ziehen die Meerschweinchen und Astronauten immer viele Menschen an. «Wir prüfen neue Märkte für Max», sagt Witschi, «zum Beispiel Asien.» Exosphäre Juri oder Neil? Armstrong oder Gagarin? Grüter sagt, der eine sei wohl ebenso eine Strebersau wie der andere. Aber die russischen Kosmonauten seien seinem Herzen näher. Weil die russische Raumfahrt märchenhafter sei. Weil die Kosmonauten Brot und Salz mitbringen, wenn sie die Raumstation erreichen. Weil sie als Erstes einen Apfel erhalten, wenn sie zurück sind auf der Erde. Das rührt Grüter. «Die Amis kriegen das nicht hin.» Die Astronauten in seinem Werk, das ist ein Gefühlsding. Den Bubentraum, einmal Astronaut zu sein, hat er weiterverfolgt, weil ihn die Figur des Raumfahrers interessiert. Die Arbeiten im Zyklus «My Private Space Programme» haben eine autobiografische Note. Der Astronaut im kleinbürgerlichen Alltag: beim Staubsaugen und Briefkastenleeren. Oder absurd: unterwegs mit dem fliegenden Teppich. Doch Astronaut hin, Meerschweinchen her: Grüter sucht kein Markenzeichen, das ihn unverkennbar macht. «Man soll mich an den Gedanken erkennen, die in einem Werk stecken», sagt er. Heute hat man dazu Gelegenheit – es erscheint das Oktober-«Folio» der «Neuen Zürcher Zeitung». www.grueter.comMonografie: Zürcher, Barbara u. a.: «Max Grüter. Houston, I am a problem». Edition Stephan Witschi. Zürich. Meerschweinchen hin, Astronaut her: Der Künstler Max Grüter hat kein Markenzeichen. Foto: Patrick Gutenberg
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch