Maurer kontert Widmer-Schlumpf
Finanzminister Ueli Maurer teilt die Skepsis seiner Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf ganz und gar nicht: Er ist überzeugt, dass die Abstimmungsvorlage zur Unternehmenssteuerreform III mittelfristig zu mehr Steuereinnahmen führt.
Sogar Ihre Vorgängerin – Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf – findet, dass die Unternehmenssteuerreform III den Firmen zu viele Erleichterungen gewährt. Sie kennt die Vorlage in- und auswendig.Ueli Maurer: Ich bin anderer Meinung. Und zwar entschieden. Das Parlament hat zwar die von Eveline Widmer-Schlumpf verantwortete Reform in mehreren Punkten korrigiert. Es hat aber nicht nur zusätzliche Steuererleichterungen für Firmen beschlossen, sondern auch Kosten bei der Emissionsabgabe gestrichen. Zudem sieht die Vorlage jetzt neu eine Begrenzung der Steuerentlastung bei maximal 80 Prozent vor. Ich bin deshalb überzeugt, dass die jetzige Vorlage für die Finanzhaushalte von Bund, Kantonen und Gemeinden kostenmässig mehr Sicherheit bietet als die ursprüngliche Fassung.
Eveline Widmer-Schlumpf fehlt die Balance: Zu viele Steuererleichterungen und kaum zusätzliche Einnahmen. So wurde die von den Kantonen gewünschte höhere Dividendenbesteuerung gestutzt. Kantone haben diese Möglichkeit und können die höhere Besteuerung von Dividenden freiwillig wählen. Beim Bund haben wir darauf verzichtet. Ich glaube, dass Eveline Widmer-Schlumpf das etwas überschätzt hat. Aber man kann objektiv eine andere Haltung vertreten. Ich vertrete mit mindestens ebenso guten Argumenten die Gegenthese.
«Ich bin anderer Meinung als Eveline Widmer-Schlumpf. Und zwar entschieden.»
Was halten Sie davon, wenn sich eine Alt-Bundesrätin in der heissen Phase eines Abstimmungskampfs kritisch zu einer Vorlage äussert? Ich war etwas erstaunt und dachte: Hoffentlich passiert mir das nie.
Was droht bei einem Nein zur Reform? In einer ersten Phase gehen Arbeitsplätze verloren, weil Firmen weniger in der Schweiz investieren oder andere Standorte suchen. Deshalb werden wir längerfristig hohe Steuerausfälle haben.
Und bei einem Ja? In diesem Fall werden wir auch Steuerausfälle haben. Aber das ist eine kurze Delle, und mittelfristig steigen die Steuereinnahmen von Unternehmen wieder, weil sie mehr in der Schweiz investieren.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund kommt zum Schluss, dass in den meisten Deutschschweizer Kantonen Steuererleichterungen für Firmen auch nach mehreren Jahren nicht zu höheren Einnahmen geführt haben. Das ist falsch. In den vergangenen Jahren gab es mehrere Steuerreformen. Und die Steuereinnahmen von juristischen Personen steigen seit längerer Zeit doppelt so schnell wie jene der natürlichen Personen. Bestes Beispiel ist Zug: Obwohl er ein kleiner Kanton ist, zahlt er heute einen der grössten Beiträge in den interkantonalen Finanzausgleich ein. Davon profitiert die ganze Schweiz. Wenn es Zug aber schlecht geht, weil die Firmen wegziehen, dann trifft das auch den Bauern im Bündnerland, weil der Kanton Graubünden weniger Geld aus dem Finanzausgleich erhält.
Beim Lesen der Argumente von Befürwortern und Gegnern beschleicht einen manchmal das Gefühl, eigentlich wisse niemand, was passiert. Die Stimmbürger kaufen die Katze im Sack. Es ist keine exakte Wissenschaft. Aber ich habe mit vielen Unternehmern gesprochen. Am WEF in Davos sagte mir jemand: «Bei einem Ja holen wir die 700 Arbeitsplätze aus Luxemburg in die Schweiz, bei einem Nein transferieren wir Arbeitsplätze aus der Schweiz nach Luxemburg.» Von einer anderen Firma hörte ich, dass sie bei einem Ja am Tag nach der Abstimmung ein Investitionsprojekt von 100 Millionen Franken auslöst, bei einem Nein geht sie damit in ein anderes Land. Ich könnte weitere solche Beispiele aufzählen.
Kaum ein Unternehmen dürfte von heute auf morgen aus der Schweiz abwandern. Das ist schon so. Gefährlicher ist, wenn Unternehmen Investitionen ins Ausland verlagern. Und davon wird es bei einem Nein eine ganze Reihe geben. Denn ein Nein wird als ein Signal für einen nicht mehr attraktiven Standort Schweiz aufgefasst. Im vergangenen Herbst war ich in den USA, wo man die Unternehmenssteuerreform III – die USR III – sehr gut kennt. Dort heisst es: Bei einem Ja bleibt die Schweiz weiterhin ein attraktiver Standort. Bei einem Nein verschwindet sie vom Radar. Es geht um den Ruf. Das schadet dem Wirtschaftsstandort Schweiz für Jahre.
Sie haben doch auch eine hohe Meinung von der Schweiz: Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir hier eine ausgezeichnete Infrastruktur, Rechtssicherheit, ein hohes Bildungsniveau, eine perfekte Lage im Herzen Europas: Das sind doch alles auch starke Argumente für die Standortwahl Schweiz? Ja, aber Steuern sind auch ein starkes Argument. Ein Unternehmen kann auch nur einen Teil ins Ausland verlagern. Hohe Steuern erleichtern solche Entscheide.
Die Schweiz hat ja heute schon eine der weltweit tiefsten Steuerbelastungen für Firmen. Für Statusgesellschaften wie Holdings steigen die Steuern mit der Reform. Bei diesen Firmen besteht das Risiko, dass sie ohne die mit der USR III vorgesehenen Ersatzmassnahmen andere Länder der Schweiz vorziehen.
«Zu den Unternehmen, die am meisten profitieren, gehören die hiesigen kleinen und mittelgrossen Betriebe.»
Aber abgesehen von diesen speziellen Gesellschaften hat zum Beispiel Luzern heute bereits einen der weltweit tiefsten Gewinnsteuersätze für Unternehmen. Zudem sollen die Gewinnsteuern mit der Reform nochmals deutlich sinken. Aber die Gegner behaupten, Privathaushalte müssten mehr bezahlen, damit internationale Firmen in der Schweiz bleiben. Das ist falsch. Denn die internationalen Statusgesellschaften wie Holdings werden in der Regel tendenziell mehr zahlen als bisher. Ganz sicher nicht weniger. Zu den Unternehmen, die am meisten profitieren, gehören die hiesigen kleinen und mittelgrossen Betriebe.
Städte mit Unternehmen, die heute viel Steuern zahlen, wird es hart treffen. So in Biel, wo selbst die freisinnige Finanzdirektorin die Reform ablehnt. Solche Städte und Gemeinden müssen halt ihre Ausgaben überprüfen. In Biel sind zum Beispiel die Sozialkosten stärker gestiegen als in den meisten anderen Schweizer Städten. Zudem überlässt der Bund den Kantonen total 1,1 Milliarden Franken. Die Bieler Finanzdirektorin – die ich übrigens persönlich kenne und sehr schätze – soll sich doch bitte einmal bei der Berner Kantonsregierung melden. Die Gelder, die jeder Kanton vom Bund erhält, können vor allem für Härtefälle verwendet werden.
Das Geld würde nicht reichen: Selbst mit dem Bundesbeitrag bleiben grosse Löcher, da auch andere Städte wie Bern hohe Ansprüche anmelden. Und der Kanton Bern erhält auch noch 1,2 Milliarden Franken Finanzausgleich aus der übrigen Schweiz. Der Kanton Zürich zahlt mehrere Hundert Millionen ein. Im Jammern sind die Berner stark. Aber im Ernst: Ich war auch einmal in einer Gemeindeexekutive. Ich glaube, manche Gemeinden haben ganz generell ein nicht besonders ausgeprägtes Bewusstsein, öffentliche Leistungen effizient zu erbringen. Diesen Eindruck erhalte ich schon nur, wenn ich unterwegs feststelle, wie viele Gemeindefahrzeuge jeweils unterwegs sind.

Können Sie ausschliessen, dass Privathaushalte wegen der Ertragsausfälle bei Unternehmen mit höheren Steuern zur Kasse gebeten werden? Ausschliessen kann man das nicht. Aber ich bin der Meinung, dass Gemeinden kurzfristig Einsparungen vornehmen können. Mit dem Verschieben von Infrastrukturprojekten um ein bis zwei Jahre beispielsweise sollten sich Steuererhöhungen für Privathaushalte vermeiden lassen. In Einzelfällen kann es trotzdem dazu kommen. Aber die Exekutiven von Gemeinden und Kantonen können ja oft auch im Gespräch mit Unternehmen eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden. So dramatisch, wie von den Gegnern behauptet, wird es in der Praxis nicht sein. Alle neigen im Abstimmungskampf dazu, ein wenig zu überzeichnen – manchmal auch ich, das gebe ich zu.
Sie haben für den Fall eines Neins ein Milliardensparpaket angekündigt. Meinen Sie das ernst? Ja.
Bei einem Nein könnte die Schweiz innert kurzer Zeit eine neue Vorlage bringen und einzelne umstrittene Elemente weglassen, sagen Kritiker aus dem gegnerischen Lager. Das geht auf der politischen Bühne leider nicht so rasch – im Gegensatz zu den Unternehmen, die bei einem Nein innerhalb weniger Monate Entscheide gegen die Schweiz fällen könnten. Bei einer neuen Vorlage müssten wir eine neue Vernehmlassung durchführen, wir müssten zusätzlich die Städte einbeziehen, da diese unzufrieden sind, und darauf folgt die parlamentarische Beratung. Wenn wir schnell sind, dauert das insgesamt drei Jahre.
«Bei einem Nein rechne ich mit Ertragsausfällen im Umfang von drei Milliarden Franken.»
Die Gegner sagen, das wäre in sehr viel kürzerer Zeit möglich. Die Reform muss ja nicht neu erfunden werden. Das würde ich auch sagen, wenn ich Gegner wäre. Aber das ist unrealistisch.
Warum braucht es sofort ein Milliarden-Sparprogramm, wenn die Reform innerhalb weniger Jahre neu aufgelegt werden könnte? Es dauert auch mehrere Jahre, bis ein solches Programm politisch umgesetzt werden kann. Aufgrund von Gesprächen, die ich mit Firmen geführt habe, ist von Ertragsausfällen im Umfang von rund drei Milliarden Franken auszugehen, die mit einem Sparprogramm aufgefangen werden müssten.
Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse legte Furcht einflössende Zahlen vor. Doch letztlich bleibt unklar, wie viel davon Angstmacherei ist. Ich glaube, es ist keine Angstmacherei, sondern es geht um seriöse Entscheide, welche die Firmen planen. Diese analysieren das wirtschaftliche Umfeld, Preise und Margen. Und wenn Unternehmen in der Schweiz ihre Kosten optimieren müssen, so sind die Steuern der erste Posten, bei dem sie nach Einsparungen suchen. Das findet statt. Im Falle eines Neins muss ich deshalb sofort ein Sparprogramm starten, das zwei bis drei Jahre später Wirkung zeigt.

In dieser Steuerreform hat es Elemente, die wirken für Privathaushalte ungerecht. So sollen Firmen auf einem Teil des Eigenkapitals neu einen fiktiven Zins abziehen können. Private Hausbesitzer dürfen das auf ihrem Liegenschaftswert nicht tun. Sie versteuern im Gegenteil sogar einen fiktiven Eigenmietwert. Wenn schon, muss man Unternehmen mit Unternehmen vergleichen. Eine Firma, die hohe Risiken eingeht, indem sie sich stark verschuldet, darf den Schuldzins von den Steuern abziehen ...
...diese Zinsen darf der Privathaushalt auch abziehen... Wir sind an Firmen interessiert, die Wirtschaftskrisen überstehen. Gesunde Finanzen mit überschüssigem Eigenkapital tragen dazu bei. Manche Unternehmen schaffen freiwillig Reserven, auf die sie in schwierigen Situationen zurückgreifen können. Es geht also um Sicherheit und Krisenresistenz. Es ist nichts als fair, wenn wir Firmen für solche Bemühungen steuerlich belohnen. Sonst haben sie einen Nachteil gegenüber Firmen, die sich über Fremdkapital finanzieren.
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