Mauerrisse als Attraktion
StaufenDas beschauliche, 50 Kilometer von Basel entfernte Städtchen Staufen am Fusse des Schwarzwalds wird von «Risse-Touristen» heimgesucht.
Über Staufen im Breisgau thront eine Burgruine. Die 7800 Einwohner zählende Kleinstadt zwischen Basel und Freiburg nennt sich gerne Fauststadt. 1539 soll Dr. Faust, Johann Wolfgang von Goethes mutmassliches Vorbild für sein gleichnamiges Epos, in einer Kammer im Gasthaus Löwen am Marktplatz bei einer Explosion, vermutlich einem alchemistischen Experiment, sein Leben gelassen haben. In einer anderen Variante wurde er dort vom Teufel geholt. Soweit die Sage. Die traurige Realität ist heute für Staufen eine ganz andere: Seit September 2007 ist nichts mehr wie vorher. Damals wurden sieben Probebohrungen vorgenommen, um mit Geothermie-Sonden zu erkunden, ob sich das eben renovierte historische Rathaus, das Prunkstück der Stadt, umweltfreundlich mit Erdwärme heizen liesse. 140 Meter tief wurde gebohrt. Seither hebt sich der Boden im historischen Stadtkern um monatlich rund einen Zentimeter. An manchen Stellen sind es inzwischen mehr als 30 Zentimeter geworden. Die unmittelbar sichtbaren Folgen davon sind breite Risse in Hausmauern und unebene Böden. Einzelne Gebäude mussten geräumt und andere mit massiven Holzpfeilern gestützt werden. Doch das alles ist Flickwerk, denn die Gemäuer und die Böden sind weiter in ständiger Bewegung. Und die Gebäude sind nichts mehr wert. Über 270 Häuser sind inzwischen von den Schäden betroffen, rund 130 davon stark. Alles ist aus den Fugen geraten, die Stadt ist windschief geworden. Erinnerungen an Basel Als Erklärung für das Ungeheuerliche gilt inzwischen: In einer Tiefe von zwischen 60 und 100 Metern wurde bei den Bohrungen eine quellfähige Gesteinsschicht aus Gips-Keuper durchstossen. Darauf drang durch die Bohrlöcher Wasser in diese Schicht ein, und das lässt die unterirdische Gipsblase seither aufquellen. Mittlerweile senkt eine Pumpe permanent den Grundwasserspiegel, und einzelne Stellen wurden mit Beton verschlossen. Doch alle bisher ergriffenen Gegenmassnahmen haben den Prozess vielleicht verlangsamt, aber nicht gestoppt. Traumatische Erfahrungen anderer Art hat man mit Erdwärmebohrungen auch im 50 Kilometer entfernten Basel gemacht. Probebohrungen lösten dort im Jahr 2006 und Januar 2007 wiederholt leichte Erdbeben aus. Der Prozess vor dem Basler Strafgericht endete im Dezember 2009 mit einem Freispruch für den Projektverantwortlichen. Die Schäden in Staufen werden von den Behörden auf über 50 Millionen Euro, von der Interessengemeinschaft der Rissgeschädigten (IGR) auf über 100 Millionen geschätzt. Wenige Tage vor Weihnachten hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus die Stadt besucht und dabei ein Finanzierungskonzept zur Bewältigung der Schäden vorgestellt. Das Bundesland werde einen Drittel der Kosten übernehmen. Zusätzlich Geld beschaffen soll eine Spenden- und Solidaritätskampagne: Die Staufen-Stiftung hat im November eine Sonderbriefmarke und einen Staufen-Krug vorgestellt. Aushängeschild der Kampagne ist der baden-württembergische Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel. Es gibt Tage, da werden Schaulustige gleich busweise nach Staufen gekarrt – die «Risse-Touristen». Sie suchen mit der Kamera nicht Spuren von Faust, sondern Zeichen der unaufhaltsamen Zerstörung. Doktor Faust hatte nur sich selbst in die Luft gejagt. Katastrophe in Zeitlupe Am 8. Februar 1945 sorgte ein alliierter Luftangriff auf einen Schlag für schwere Zerstörungen in der Stadt. 78 Menschen kamen an jenem Tag ums Leben. Doch die gegenwärtige Tragödie verläuft gespenstisch langsam. In der «Süddeutschen Zeitung» sagt Bürgermeister Michael Benitz: «Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe.» Andreas Saurer>
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