
Man kann die Wut der Franzosen ja verstehen. Die Regierung in Paris hat jahrelang mit Australien über den Verkauf von U-Booten verhandelt – und dann sind die Amerikaner gekommen und haben sich das Geschäft geschnappt. Frankreich entgeht dadurch nicht nur ein Rüstungsgeschäft in Milliardenhöhe.
Frankreich wurde auch verraten und gedemütigt. Aus den empörten Äusserungen französischer Politiker – «Dolchstoss in den Rücken» – spricht Ärger über einen erheblichen finanziellen Verlust. Vor allem aber spricht aus ihnen verletzter Stolz.
Das ist der Grund, warum Präsident Emmanuel Macron am Freitag die französischen Botschafter aus den USA und Australien zu Konsultationen nach Paris rufen liess. Ein schärferer diplomatischer Protest ist unter befreundeten Ländern kaum möglich.
Frankreich ist tief getroffen, und Macron hat offensichtlich die Absicht, Washington seine Verbitterung deutlich und vor den Augen der Welt spüren zu lassen. (Dass er demnächst zur Wiederwahl ansteht und es bei den patriotischen Bürgern gut ankommt, wenn er den arroganten Amis mal die Leviten liest, mag ein zweites Motiv Macrons sein.)
Wie gesagt, man kann das verstehen. Einerseits.
Andererseits: Hört in Europa eigentlich niemand zu, wenn der amerikanische Präsident Reden zur Aussenpolitik hält? Diese Frage stellte sich schon, als die Europäer vor einigen Wochen über den angeblich so überraschenden Abzug der Amerikaner aus Afghanistan klagten.
Ja, die Umstände, unter denen die letzten US-Soldaten Kabul verliessen, waren chaotisch und tragisch. Aber dass Amerika seinen Krieg in Afghanistan beenden und alle GIs heimholen würde, hatte Präsident Joe Biden schon vor Monaten verkündet – mehrmals und mit Abzugsdatum. Die Taliban wussten jedenfalls sehr gut Bescheid, sie waren nicht überrascht.
U-Boote als Mitgift
Ähnlich ist die Lage auch jetzt. Biden hat seit seinem Amtsantritt in einem halben Dutzend Reden dargelegt, dass aus seiner Sicht das diktatorische China der grösste und gefährlichste Rivale der USA und des gesamten demokratischen Westens ist. Und dass er den wirtschaftlichen, militärischen und ideologischen Wettbewerb mit Peking um die Hegemonie im Pazifikraum und in der Welt aufzunehmen gedenkt.
Dass Australien dabei für Washington ein wichtiger Verbündeter sein würde – und, zumindest mit Blick auf diese Weltregion, ein wichtigerer als Frankreich -, darauf hätte auch Paris kommen können. Ebenso darauf, dass Australien eher Amerika als Frankreich wählen würde, wenn es sich im neuen Kalten Krieg zwischen China und den USA schon für eine Schutzmacht entscheiden muss.
Die U-Boote sind die Mitgift, die diesen australisch-amerikanischen Pakt besiegeln. Aber die strategischen Implikationen sind weit grösser. Und sie lagen für jeden, der sie sehen wollte, offen zutage. Vielleicht hätte Macron daran denken sollen, als er kurz vor Bidens Amtsantritt – und zu dessen Irritation – zusammen mit Deutschland schnell noch ein neues Investitionsabkommen der EU mit China durchdrückte.
Oder als er die Europäer öffentlich davor warnte, sich zusammen mit den USA gegen Peking zu stellen. Aus amerikanischer Sicht machte Frankreich sich dadurch nicht gerade zu einem verlässlichen Partner in dem Konflikt, der Bidens Meinung nach die nächsten Jahrzehnte dominieren wird.
Muss Biden jetzt zerknirscht tun?
In Washington wird Frankreichs Zorn deswegen zwar mit, wie es aus dem Weissen Haus heisst, «Bedauern» gesehen, aber auch mit einer gewissen Gleichgültigkeit, wenn nicht gar mit Häme. Die Vorstellung, Frankreich oder auch die Europäer wollten ernsthaft den Anspruch erheben, eine indo-pazifische Macht zu sein, gleichrangig mit Amerika und China, amüsiert viele Beobachter in den USA eher als dass sie Respekt einflösst. Das mag man überheblich finden, aber so ist es.
Trotzdem bleibt der diplomatische Schaden, der erheblich ist. Frankreich hat seinen Botschafter aus Washington zurückbeordert – ein beispielloser Schritt in der Geschichte dieser beiden alten Verbündeten. Das nützt niemandem, am wenigsten Biden, der weiss, dass Amerika Verbündete braucht, auch wenn er sich nicht immer so benimmt. Es stünde dem US-Präsidenten gut an, ein bisschen Zerknirschung zu zeigen, um Frankreich seinen Stolz zurückzugeben.
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Analyse zum U-Boot-Streit – Macron schäumt vor Wut, aber er hätte es wissen müssen
Hört in Europa eigentlich niemand zu, wenn der US-Präsident Reden zur Aussenpolitik hält? Dass Biden China als gefährlichsten Rivalen sieht und in diesem Sinne Bündnisse schliesst, ist schon lange absehbar.