Macht ein Sitzungsgeld glücklich?
Die ordentlichen Gemeindeversammlungen waren so schlecht besucht wie noch nie in den letzten drei Jahren. Hasle und Ersigen haben sie deshalb abgeschafft. Im Oberaargau stellt das noch niemand zur Diskussion.

Mit Heimenhausen am letzten Mittwoch ist sie vorüber: die Saison der Frühlingsgemeindeversammlungen im Oberaargau. Es war mehr denn je eine Zeit der Zitterpartien für die Gemeinderäte. Gezittert haben diese jedoch nicht so sehr, ob ihre Vorlagen bei den Stimmberechtigten ankommen – sondern ob überhaupt jemand kommt. Denn vielerorts war die Jahresrechnung das einzige Geschäft. Deshalb geht es in erster Linie um die Rechenschaftsablage von Verwaltung und Gemeinderat, wie sie mit den ihnen anvertrauten Geldern umgegangen waren. Denn ausgegeben sind diese Mittel ja bereits.
Kein Wunder deshalb, glänzten die Bürgerinnen und Bürger vornehmlich mit Abwesenheit, wurde im ganzen Oberaargau mit 1739 Stimmberechtigten gar 2014 ein Minusrekord für die letzten Jahre verzeichnet. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es noch 1802, im Frühjahr 2014 immerhin noch 1882. Generell sind die Frühjahrsversammlungen schlechter besucht als die im Winter, an denen beim Budget es für die Anwesenden immerhin um die Festlegung der Steueranlage geht.
Die Kleinste ist die Grösste
Die Rangliste führt in diesem Frühling einmal mehr die kleinste Gemeinde an: Berken, wo 19 von 41 Stimmberechtigten anwesend waren, um unter anderem über den Verbleib im Schulverband Aare-Önz zu diskutieren. Das entspricht einer Stimmbeteiligung von 46,3 Prozent.
Von solchen Werten können andere nur träumen, zum Beispiel Herzogenbuchsee, wo sich nicht einmal 1 Prozent der Berechtigten in den Sonnensaal bemühten. Über die ganze Beobachtungsperiode betrachtet, sieht die Lage für die grösste Gemeinde mit Gemeindeversammlung im Oberaargau etwas besser aus, liegt doch der Durchschnitt bei 3,6 Prozent. Diesen Wert kräftig nach oben gehoben hat die Versammlung vom Frühjahr 2015, als ein Rekordaufmarsch von 404 Buchserinnen und Buchsern über die Zukunft ihres Gasthofes Kreuz mitbestimmen wollte.
Gemeindepräsident Markus Loosli (FDP) knüpft denn auch bei diesem Wert an, um das aktuelle Schlusslicht zu relativieren: «Wären damals nur 10 Stimmberechtigte mehr gekommen, hätten wir die Versammlung in die Kirche verlegen müssen.» Dieses Jahr jedoch gehörten die Buchserinnen und Buchser zu denen, die sich nur über die Rechnung und die Bauabrechnungen orientieren lassen konnten. Das Hallenbad hingegen stand bereits an einer ausserordentlichen Versammlung im März an, weil der Gemeinderat nicht bis zur ordentlichen Versammlung warten mochte – und lockte 227 Stimmberechtigte an – immerhin rund jeden zwanzigsten.
Abschaffung kein Thema
Angesichts ähnlich desolater Zahlen haben zwei Gemeinden im Emmental bereits die Konsequenzen gezogen und die ordentliche Frühjahresversammlung abgeschafft. Nur noch wenn nach der Publikation eine gewisse Anzahl Bürgerinnen und Bürger das Referendum ergreift, kommen die Jahresrechnungen in Hasle bei Burgdorf und Ersigen an die Gemeindeversammlung.
Im Oberaargau sei dieser Schritt kein Thema, sagt Barbara Lüscher, die Mediensprecherin des Regierungsstatthalteramtes Oberaargau. «Jedenfalls keines, das bis zu uns gekommen wäre.» Das gilt ebenso für Herzogenbuchsee und Huttwil – letzteres mit 1,4 Prozent Beteiligung auf dem zweitletzten Platz der BZ-Rangliste. Markus Loosli wie auch Huttwils Gemeindepräsiden Walter Rohrbach BDP) geben zu bedenken, dass die Gemeindeversammlung neben den Sachgeschäften eine der wenigen Gelegenheiten ist, wo Behörden und Verwaltung in direkten Kontakt mit den Stimmberechtigten treten können. Diese wollen sie und ihre Räte nicht missen.
Sitzungsgeld seit 2005
Ein Mittel gegen die Stimmabstinenz hat die Burgergemeinde Huttwil gefunden: 2005 führte sie ein Sitzungsgeld von 50 Franken ein. Seither strömen die Burgerinnen und Burger in Scharen an die Versammlung. Zwischen 120 und über 200 Anwesende werden jeweils gezählt – Zahlen, von denen Walter Rohrbach nur träumen kann, wenn nicht gerade die Zukunft des Städtlisaals zur Diskussion steht. In der Regel wird an der Gemeindeversammlung die Hundertergrenze nicht geknackt, obschon das Städtchen knapp 3500 Stimmberechtigte zählt und nur gut 500 Burgerinnen und Burger.
Eine Nachfrage beim Regierungsstatthalteramt Oberaargau zeigt: Ein Sitzungsgeld für die Gemeindeversammlung einzuführen, ist ebenso einfach möglich wie ein Ersatz der Gemeindeversammlung durch ein fakultatives Referendum. «Es braucht bloss eine Anpassung des Reglements», erklärt Barbara Lüscher. Dafür zuständig sind die Gemeindeversammlungen.
Anders als das fakultative Referendum ist ein Sitzungsgeld für Walter Rohrbach eine Idee, über die sich nachzudenken lohnt. «Natürlich ist es schade, dass es einen Köder braucht, damit die Bürger ein Recht wahrnehmen, das viele Menschen auf der Erde nicht habe», gibt er zu bedenken. Doch der Gemeinderat von Huttwil habe bereits «erste, noch ganz scheue» Versuche unternommen, die Gemeindeversammlung attraktiver zu machen. Letzten Winter offerierte die Gemeinde im Anschluss an die Geschäfte Glühwein und Zopf, nun eine Sommerbowle. «Die Geste kam bei den Anwesenden an», stellte Walter Rohrbach fest. Ein Sitzungsgeld sei hingegen im Rat noch nicht diskutiert worden. «Einen Gedanken ist es aber meiner Meinung nach wert.»
Vorbild Parlament
Über ein Sitzungsgeld zu diskutieren, scheint um so berechtigter, als es auch bei den Fusionsabklärungen Oberaargau-Nord um ein solches geht. Der Grundlagenbericht der interkommunalen Arbeitsgruppe sieht für die fusionierte Gemeinde ein 30-köpfiges Gemeindeparlament vor, das kaum gratis tagen wird. Das ist quasi ein sehr radikaler Schritt, um der Stimmabstinenz an den Gemeindeversammlungen entgegenzuwirken.
Fritz Scheidegger (SVP) musste die Gemeindeversammlung von Wangen an der Aare diesmal mit 1,5 Prozent der Stimmberechtigten durchführen. Als Co-Präsident der interkommunalen Arbeitsgruppe hat sich der Wanger Gemeindepräsident inzwischen davon überzeugen lassen, dass der im Norden des Oberaargaus angegangene grosse Schritt der richtige in die Zukunft ist. «Alles andere ist nur Flickwerk.»
Markus Loosli hingegen ist nach wie vor von der Gemeindeversammlung überzeugt, auch für Herzogenbuchsee. Er gibt zu bedenken: «Wir wählen auch die Kommissionen durch die Stimmberechtigten.» Dadurch seien in Herzogenbuchsee bereits heute 31 Volksvertreter in die Entscheidfindung einbezogen – einer mehr als in Oberaargau-Nord geplant. Zudem könnten so die Stimmberechtigten nach wie vor über die Gemeindeversammlung eingebunden werden. Ein Sitzungsgeld, ist er sich aber mit Fritz Scheidegger einig, braucht es dort als Lockmittel nicht.
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