Pop-BriefingLimp Bizkit – Muss das wirklich noch sein?
«Dad Vibes» beweist: Nu Metal hat sich 2021 überlebt. Immerhin: Die Specials leuchten, ebenso die allseits gefeierten Illuminati Hotties.

Das muss man hören
Tirzah – «Colourgrade»
Auf ihrem zweiten Album zeigt sich Tirzah mit gewohnter Reife: Die zehn Stücke sind stets auf das Nötigste reduziert. Die Singer-Songwriterin verweigert sich aber nicht ungewöhnlicher Geräusch-Eskapaden, trotz des minimalistischen Ansatzes: «Hive Mind» ist durchzogen von Hundegebell, «Send Me» endet unerwartet in einer E-Gitarren-Kakofonie. Dabei ist das Album stets intim – so sehr, dass auch ein Räuspern Platz hat, das anderswo vielleicht in der Schublade der misslungenen Aufnahmen verschwunden wäre.
The Specials – «Protest Songs 1924-2012»
Eine politische Band waren die Specials immer gewesen. Nach ihrem Studioalbum «Encore» von 2019 und der Corona-Zwangspause nahmen sich die Ska-Urväter des Protestsongs an. Aus über 50 Kandidaten wurden schliesslich zwölf aufgenommen, darunter Welthits wie Leonard Cohens «Everybody Knows» oder Bob Marleys «Get Up, Stand Up». Vor allem Letzteres, zurückgebunden auf Gitarre und Gesang, entwickelt eine eigene Kraft. Aber auch die unbekannteren Stücke haben ihren Charme. Ein reifes Spätwerk für Terry Hall, Lynval Golding, Horace Panter und ihre Band.
Illuminati Hotties – «Let Me Do One More»
Der Radiosender NPR feiert sie, die «New York Times» ebenso: Sarah Tudzin trifft mit ihrem Projekt Illuminati Hotties anscheinend einen Nerv. Das neue Album «Let Me Do One More» bietet einen Soundtrack für hippe Spätkapitalismuskritik, der aber auch Kampfeswille und Lebensfreude ausdrückt. Es ist vieles schlecht, aber nicht nur und nicht immer, scheint das Album zu sagen. Musikalisch changiert Tudzin entsprechend zwischen Riot-Grrrl-Punk und Indie-Pop.
Various Artists – «Do What You Love»
Das auf Film- und TV-Musik und allerlei anderes Abseitiges spezialisierte Label Trunk Records feiert sein 25-jähriges Bestehen mit einer Compilation, die wahre Freude macht. Hier gibt es Obskures, Unentdecktes, Exotisches irgendwo zwischen Jazz, Pop und, nun ja, Filmmusik halt. Der bunte Hund auf dem Cover sagt eigentlich schon alles. Er stammt vom Künstler David Shrigley.
Various Artists – «Late Night Tales Presents Version Excursion Selected by Don Letts»
Late Night Tales, die stets für hörenswerte Sampler stehen, die von hochrangigen Künstlern kuratiert werden, lassen Don Letts ran. Der Videograf von Clash, DJ und Mitgründer von Big Audio Dynamite präsentiert eine geschmackssichere Auswahl an Dub-Coverversionen, von Joy Division bis zu den Beatles.
Tocotronic – «Jugend ohne Gott gegen Faschismus»
Die Angry Young Men der Hamburger Schule altern zwar, müde werden sie anscheinend nicht. Tocotronic verzücken erneut mit einer geradlinigen Single, die Vorbote zum neuen Album «Nie wieder Krieg» ist. Eine Tour gibt es ebenfalls, einziger Schweizer Auftritt ist im Zürcher X-tra.
Limp Bizkit – «Dad Vibes»
Was ja leider nicht so gut altert: Rapmetal. Beziehungsweise die Bands, die um die Jahrtausendwende dieses Genre-Label Nu Metal trugen. Aktuelles Beispiel: Limp Bizkit. Die gibt es tatsächlich noch, sie veröffentlichen sogar neues Material. «Dad Vibes» wirkt doch irgendwie sehr aus der Zeit gefallen, fast etwas retrofuturistisch.
Das Schweizer Fenster
Laurin Huber – «Dog Mountain»
Der Experimental-Musiker Laurin Huber erprobt auf «Dog Mountain» über vier Stücke die Möglichkeiten von Klangkunst und Ambient. Eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinne des Wortes: «Storskog-Borisoglebsk» ist nach einem (oder dem einzigen?) norwegisch-russischen Grenzübergang benannt; prompt hört man sich auf dem Track durch Schnee stapfen und wähnt sich im Hohen Norden, wo man vielleicht wegen der Kälte, vielleicht wegen der anhaltenden Dunkelheit seinen Sinnen nicht ganz trauen kann.
To Athena & Hookups – «Called in Advance»
Nach ihrem letztjährigen Debütalbum «Aquatic Ballet» legt Tiffany Limacher alias To Athena mit «Called in Advance» nach: Grossspuriger Pop mit intelligentem Aufbau, Synthies und Streichern schmeichelt den Ohren.
Das blüht
James Gruntz kündigt in einem Promovideo drei neue Stücke an, auf denen er scattet und nicht singt. Scatman John hat diese im Jazz durchaus übliche Vokaltechnik einst berühmt gemacht, aber auch er, so Gruntz, habe in seinem ebenso epochalen wie nervigen Stück (Einschätzung des Redaktors, nicht von Gruntz) immer noch zusätzlich Text gesungen. Im Popkontext könnte dies einmalig sein, behauptet der Künstler.
Das Fundstück der Woche
Arte Tracks bietet immer wieder spannende Einblicke in die Welt des Musikgeschäfts. Diesmal: Wie Rap-Songs heute entstehen – mit mehreren Produzenten, die an einem Stück arbeiten. Das hat auch damit zu tun, dass mancher nur einzelne Versatzstücke liefert, kleine Loops, die dann vom Beatproduzenten ins Lied eingebaut werden. Einer von diesen Rohstofflieferanten ist der Heilbronner Denis Berger, in der Szene bekannt als Pvlace (Palace ausgesprochen). Er stellt Loops für Trap-Stars wie Migos, Young Thug, Future und viele mehr her.
Die Wochen-Tonspur
Laufend aktualisiert: die Wochen-Tonspur mit den erwähnten Titeln. Und noch mehr, zum Beispiel mit neuen Veröffentlichungen von Injury Reserve oder Moor Mother.
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