Lieber Assad als Erdogan
Mit dem Abzug der Amerikaner verliert die kurdische YPG ihre wichtigste Unterstützung. Also bitten sie den Diktator in Damaskus um Hilfe.
Mit seiner überraschenden Ankündigung, die amerikanischen Truppen aus dem Norden Syriens abzuziehen, hatte US-Präsident Donald Trump vergangene Woche ein militärisches Rennen ausgelöst: Dass die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG sich ohne US-Unterstützung nicht in all jenen Gebieten halten können werden, die sie von der Terrormiliz Islamischer Staat befreit haben, schien jedem Beobachter klar zu sein. Unklar war hingegen, welcher Kriegspartei es zuerst gelingen würde, aus der neuen Lage Kapital zu schlagen.
Die Türkei sieht in den YPG eine Terrororganisation, deren Autonomiebestreben in Syrien indirekt auch die eigene nationale Einheit gefährdet. Mit einem Eingreifen droht Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan deshalb schon lange, zuletzt verlegte seine Armee immer mehr Truppen und Gerät an die Grenze zu Syrien – die Invasion schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
In den von grossteils islamistischen Rebellen kontrollierten Gebieten im Norden Syriens wiederum sammeln sich Kämpfer, die die säkularen Kurden zumindest aus den mehrheitlich arabisch bewohnten Gebieten vertreiben wollen. Und von Süden her hat der syrische Machthaber Baschar al-Assad seine Truppen in Bewegung gesetzt: Zu Beginn des Aufstandes hatte er geschworen, «jeden Zentimeter syrischen Boden» wiedererobern zu wollen. Was 2011 weltfremd klang, könnte nach nunmehr fast acht Jahren Bürgerkrieg in greifbarer Nähe liegen.
«Vor einer türkischen Invasion schützen»
Seit Freitagvormittag scheint die erste Etappe des Rennens in Nordsyrien entschieden zu sein: «Wir laden syrische Regierungskräfte ein, die Kontrolle in Gebieten zu übernehmen, aus denen sich unsere Kräfte zurückgezogen haben», schrieben die kurdischen Volksverteidigungskräfte auf Twitter. So wolle man die Gegenden «vor einer türkischen Invasion schützen».
Lieber Assad als Erdogan – diese Entscheidung hatte sich in den vergangenen Tagen angedeutet, immer wieder wurde über Verhandlungen zwischen den Kurden und dem Regime in Damaskus berichtet. Bislang waren die Gespräche jedoch an unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft Syriens gescheitert: Während die Kurden ein Föderalsystem forderten, um zumindest einen Teil ihrer momentanen De-Facto-Autonomie in eine Nachkriegsordnung hinüberzuretten, beharrt das Assad-Regime auf einem streng auf Damaskus ausgerichteten Zentralstaat.
Erdogan wirkt überrascht
Im Laufe des Freitags tauchten im Netz dann die ersten Fotos auf, die syrische Regierungstruppen in der Gegend um die mehrheitlich arabisch bewohnte Stadt Manbij zeigen sollen, die weit ausserhalb der kurdischen Siedlungsgebiete westlich des Euphrat liegt. Auf anderen Bildern war die Fahne der syrischen Regierung zu sehen, die neben YPG-Flaggen auf öffentlichen Gebäuden wehte. Die Echtheit der Bilder, die den Einmarsch von Assads Armee belegen sollen, konnte bisher nicht unabhängig bestätigt werden – auch die US-Armee äusserte sich nicht. Ob sie noch Soldaten in der Stadt stationiert oder diese schon abgezogen hat, ist unklar.
Während Recep Tayyip Erdogan wohl einer der wenigen Menschen war, die vorab über Trumps Rückzugspläne informiert waren, klang die erste öffentliche Reaktion des türkischen Präsidenten auf die jüngsten Entwicklungen überrascht: «Wir wissen, dass das syrische Regime einen psychologischen Vorstoss unternimmt», sagte Erdogan zu türkischen Journalisten in Istanbul. Sie hätten dort ihre Fahne aufgezogen, «aber gewiss ist nichts.»
Erdogan verwies darauf, dass eine hochrangige türkische Delegation – bestehend aus Aussen- und Verteidigungsminister, dem Geheimdienstchef und seinem engsten Berater Ibrahim Kal?n- für Samstag eine Reise nach Moskau geplant habe. Bei den Gesprächen dort soll es um die künftige Lage in Syrien nach dem angekündigten Abzug der US-Truppen gehen.
Nach diesen Konsultationen ist laut türkischer Regierung ein Gespräch zwischen Erdogan und seinem russischen Kollegen Wladimir Putin geplant – ob bei einer persönlichen Begegnung oder am Telefon war noch offen. Dabei könnte es dann weniger harmonisch zugehen als zuletzt zwischen Ankara und Moskau, denn Russland hat die Meldung vom Einmarsch syrischer Truppen in Manbij am Freitag sofort begrüsst – ohne die Beratungen mit Ankara abzuwarten. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sprach von einem «positiven Schritt», der helfen könne, «die Situation zu stabilisieren».
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